Oberhausen. Eine bescheidene Tafel ist nicht genug, meint Historiker Klaus Oberschewen: Die Zentrale der Polizeigewalt bereitet 1933 den Weg in die Diktatur.
Für das historische Datum des 8. Mai hätte sich Klaus Oberschewen eine andere Würdigung gewünscht. Während alle Welt versucht, die kryptischen Drohungen des Kriegstreibers Wladimir Putin zu interpretieren, dachte Oberhausens streitbarer Historiker an die „demokratische Erinnerungskultur“ in seiner Stadt: Ein Schauplatz schwerer NS-Verbrechen steht vor einer neuen Nutzung. Das vor 95 Jahren am Friedensplatz erbaute Polizeipräsidium – immer wieder erhitzt debattiert wegen seiner ausdauernd unvollendeten Renovierung – soll zur regionalen Niederlassung des landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB) werden.
Von unmenschlichen Verwaltungsakten bis zu brutalen Gewaltverbrechen, begangen in Uniform: Für Klaus Oberschewen belegt die NS-Geschichte des Polizeipräsidiums „als Lehrbeispiel, wie eine Demokratie sich selbst aufgibt“. Oder konkreter: Wie ein Rechtsstaat innerhalb eines Monats zum Unrechtsstaat wurde. Denn bereits in den ersten Tagen, nachdem der greise Reichspräsident Hindenburg nach langem Intrigieren Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, stürzten sich die Nazis planvoll auf den Polizeiapparat.
Am Oberhausener Polizeipräsidium erinnert eine unscheinbare Plakette an Wilhelm Weyer (1875 bis 1949), der bereits am 11. Februar – keine zwei Wochen nach den NS-Fackelzügen zur Berliner Reichskanzlei – zwangsweise beurlaubt, wenig später vollends kaltgestellt worden war. Der Beamte aus dem katholischen Zentrum hatte noch großes Glück, verglichen mit sozialdemokratischen Polizeipräsidenten des bis 1932 „roten“ Preußen: Viele wurden in den „wilden KZ“ während der ersten Wochen der Gewaltherrschaft zu Tode gequält oder in den Selbstmord getrieben.
400 SA-Leute wurden zu Hilfspolizisten
„Den Austausch des Polizeiapparates“ nennt auch Klaus Oberschewen einen „zentralen Punkt“ auf dem Weg in die NS-Diktatur. Karl Nederhoff, Oberhausens neuer Polizeipräsident aus den Reihen des stramm rechten, paramilitärischen „Stahlhelm“, ersetzte beflissen „viele einfache Polizisten durch SA-Leute“: 400 an der Zahl. „Dann ging der Terror los“. Viele der politischen Feinde der Nazis waren schon während der Weimarer Zeit „aktenkundig“ geworden, wie Oberschewen sagt. Die neuen „Hilfspolizisten“ brauchten nur die Akten zu öffnen.
Die Namen der schlimmsten Gewalttäter sind bekannt – dank der Aussagen weniger Überlebender. Vom gefürchteten SA-Mann Robert Esser ist nach den ersten Morden der zynische Satz überliefert: „Warum habt ihr nicht mehr erledigt?“ Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Esser als „Mitläufer“ eingestuft und nie gerichtlich belangt – obwohl der von ihm brutal misshandelte Hans Althoff mutig als Zeuge auftrat. Hiddesen in Ostwestfalen, weiß Klaus Oberschewen, war bei den NS-Verbrechern der ersten Nachkriegsjahre ein beliebter Ort: Dort stempelte man ihnen bereitwillig die „Entnazifizierung“.
Was Folterer wie Johann Litwinski ihren Opfern während der „Verhöre“ im Polizeipräsidium antaten, zeigt beispielhaft das Schicksal von Fritz Giga, der aus dem dritten Stockwerk gestürzt und – vermeintlich sterbend – auf dem Straßenpflaster zurückgelassen wurde. Von der Geschichte seiner tollkühnen Rettung erzählt „Das dritte Leben des Fritz Giga“. Das dramatische Solo von Autor Christian Franke, in dem Anna Polke als Schauspielerin brilliert, ist nicht nur für Klaus Oberschewen ein Glanzstück der Intendanz von Florian Fiedler am Theater Oberhausen: „In dieser Stadt ist einiges möglich an Erinnerungskultur.“
Für Historiker wäre noch vieles zu untersuchen
Darum sollte auch am Polizeipräsidium selbst noch mehr möglich sein als die bescheidene Tafel für Wilhelm Weyer. „Ich habe da keine Berührungsängste“, sagt Klaus Oberschewen, aktiv im „Langnamenverein“ VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Wie seine Mülheimer VVN-Kollegen könnte er eine zeitgeschichtliche Ausstellung im Präsidium einrichten, Führungen oder Vorträge anbieten.
Wissenschaftlich, meint der Historiker, gäbe es zu diesem Kapitel der NS-Tyrannei „noch eine Menge zu untersuchen“. Die Quellenlage sei an sich gut – dank des Stadtarchivs und der Gedenkhalle, die in diesem Sommer ihr 60-jähriges Bestehen feiert.
Flugblätter versteckt in der Seifenkiste
Else Jochem, die mutige Sozialdemokratin, verbreitete die Wahrheit über die Schreckensherrschaft in Flugblättern, versteckt in ihrer Seifenkiste. Mehrmals musste sie sich vom gefürchteten Johann Litwinski befragen lassen. Noch als das Polizeipräsidium in der ersten Nachkriegszeit als „Amt für Wohnungswesen“ diente, musste die tapfere Frau ihre Angst bezwingen, wenn sie die Amtsflure betrat. Heute wäre es für alle Oberhausener ein Leichtes, sich über die Zeitgeschichte ihrer Stadt umfassend zu informieren.