Oberhausen. Hochkarätige Lesungen präsentieren Erinnerungen eines Zwangsarbeiters, eine prominente jüdische Familie und Joseph Beuys’ NS-Verstrickungen.
Vor bald 60 Jahren, am 2. September 1962, eröffnete im Schloss Oberhausen die Gedenkhalle, Konrad-Adenauer-Allee 46: Als städtische Einrichtung in Erinnerung an die Verfolgten des Nationalsozialismus arbeitet sie gegen das Vergessen und für das Miteinander aller Menschen in Oberhausen – und ist damit so alt wie keine andere NS-Gedenkstätte im Westen Deutschlands. Da wartet man mit dem Jubiläumsprogramm nicht bis zum Stichtag im Sommer – sondern legt bereits los.
So liest am Montag 11. April, um 18 Uhr Clemens Heinrichs, der Leiter von Gedenkhalle und Bunkermuseum, aus Andries ter Brugges Erinnerungsband „Zwangsarbeit und Befreiung. Erinnerung an Oberhausen 1943 bis 1945“. Der Niederländer Andries ter Brugge kam als 18-Jähriger im Juli 1943 nach Oberhausen und musste dort Zwangsarbeit für die NS-Kriegswirtschaft leisten. Nach seiner Befreiung am 11. April 1945 stand er im Dienst der US-amerikanischen Truppen bis zu ihrem Abzug aus dem Ruhrgebiet.
Die Publikation präsentiert seine Erinnerungen, die er – präzise und mit sicherem Blick für Details – bereits als junger Mann unmittelbar nach der Rückkehr in seine Heimat aufgeschrieben hatte. Erst auf Drängen seines Sohnes Jeroen – und nach vielen Besuchen als Zeitzeuge in Oberhausen – erschien dieses wichtige Zeitdokument 2019 im Laufen-Verlag, sorgfältig ausgestattet und ergänzt um Essays, in der Schriftenreihe der Gedenkhalle.
Auch Oberhausen war Station des Familien-Lebens
Anlässlich des Jahrestags der Kapitulation des Deutschen Reiches liest am Sonntag, 8. Mai, um 18 Uhr die Berlinerin Marcia Zuckermann aus ihren beiden Romanen „Mischpoke!“ und „Schlamassel!“ Die 75-Jährige, eine Großnichte der Philosophin Hannah Arendt, recherchierte ihre jüdisch-protestantische Familiengeschichte.
Ihre Urgroßeltern hatten 18 Kinder, von denen nur sieben Töchter das Kindesalter überlebten. Die Geschichte dieser sieben Familien – und damit auch ihre eigene – ist Grundlage für die beiden Romane. Marcia Zuckermann erzählt damit rund 300 Jahre deutsch-jüdischer Geschichte: eine Geschichte von Verfolgung und Widerstand, Auswanderungsschicksalen und Anträgen auf Wiedergutmachung in der jungen Bundesrepublik. Die historischen Hintergründe sind exzellent recherchiert, die Familienhistorie mitreißend und humorvoll erzählt. Marcia Zuckermanns Großvater, Wilhelm Arendt, hat sogar einige Jahre zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Oberhausen gelebt.
Zu einer Lesung und sicher angeregten Debatte lädt die Gedenkhalle am Sonntag, 15. Mai, um 16 Uhr ein: Dann präsentiert Ron Manheim in der Panoramagalerie des Kleinen Schlosses sein Werk „Beim Wort genommen – Joseph Beuys und der Nationalsozialismus“. Der 77-jährige Kunsthistoriker zeigt, wie sich Beuys auf die NS-Zeit bezog, wie er ein verfälschtes Bild der Verhältnisse entwickelte und auch seine eigene Biografie idealisierte.
Beuys‘ verquere Aussagen zur NS-Geschichte
Ron Manheim wendet sich Fragen zu, die bis heute nicht geklärt sind: Worauf Beuys‘ teils verquere Aussagen zur NS-Geschichte beruhen, was er damit bezweckte und wie sie sich zu seinen kunst- und gesellschaftstheoretischen Äußerungen verhalten könnten. Ron Manheims Forschungsschwerpunkte sind die Kunst des Expressionismus und die Kunstpolitik im Nationalsozialismus. Seit mehr als drei Jahrzehnten befasst er sich mit Werk und Leben von Joseph Beuys – und hat im Schloss Moyland seit 1991 das Joseph Beuys Archiv aufgebaut.
Führungen erklären die Dauerausstellung
Öffentliche Führungen durch die Dauerausstellung zur nationalsozialistischen Geschichte Oberhausens bietet die Gedenkhalle am Donnerstag, 21. April, und am Freitag, 20. Mai, jeweils um 16 Uhr. Treffpunkt ist vor der Gedenkhalle.
Für alle Termine bittet die Gedenkhalle, sich vorab unter 0208 6070 53 111 oder per E-Mail an info-gedenkhalle@oberhausen.de anzumelden, da die Teilnehmerzahl begrenzt ist.