Oberhausen. Erst waren die Corona-Zahlen in Oberhausen am geringsten – dann führte die Stadt die Liste an. Das Jahr mit dem unberechenbaren Virus.
Von der NRW-Kommune mit den geringsten Corona-Infektionszahlen zur Stadt mit dem höchsten Sieben-Tage-Wert im gesamten Bundesland: Oberhausens Corona-Chronologie ist beispiellos, nirgendwo in NRW hat sich die Unberechenbarkeit des neuartigen Virus deutlicher als hier gezeigt. Auch ein Oberhausener Krisenstab, den selbst Landes-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann für seine vorbildliche Koordination lobte, konnte nicht verhindern, dass eine Überlastung des Gesundheitsamtes und ein dreistelliger Inzidenzwert bitterer Alltag in der Stadt wurde – und Covid-19 über 110 Oberhausenern das Leben raubte.
„Der Schrecken saß tief“: Erster Corona-Verdacht Anfang März
Erstmals macht das Virus in Oberhausen am 1. März 2020 auf sich aufmerksam – zunächst nur indirekt. Die Besucher einer Musical-Vorstellung im Metronom-Theater dürfen ihre Sitze nicht verlassen, weil es im Publikum einen Corona-Verdacht gibt. Bestätigt wird dieser am Ende nicht, aber „der Schrecken sitzt tief“, schreiben wir – noch nicht ahnend, dass das Virus durch seine unbemerkte Verbreitung beinahe überall lauern kann. Und Musical-Besuche schon bald sehnsüchtig vermisst werden würden.
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Bis zum tatsächlich ersten Corona-Fall dauert es eine weitere Woche. Zwei Tage später, am 12. März, sind es schon drei – und der städtische Corona-Krisenstab entscheidet, ab jetzt täglich zu tagen. Aus heutiger Sicht befremdlich wirken die damaligen Fotos aus dem Krisengremium: Alle eng beieinander im geschlossenen Raum, ohne Maske oder Mindestabstand. Wir hatten alle noch viel zu lernen.
OB Schranz: „Solche Maßnahmen hätten die allermeisten nicht für möglich gehalten“
Schritt für Schritt nimmt die Stadt Abschied von der Normalität – das Tiergehege, Schwimmbäder, Schulen und Kitas machen zu. Die Krankenhäuser erteilen erste Besuchsverbote. „Wenn man die Oberhausener vor fünf Tagen gefragt hätte, ob der Staat zu solchen Maßnahmen greifen muss, hätten die allermeisten das nicht für möglich gehalten“, zeigt sich Oberbürgermeister Daniel Schranz selbst überrascht, wie weit er und andere Stadtoberhäupter gehen müssen, angetrieben und abgeschreckt von den Zuständen in Nord-Italien. Dort sterben so viele Menschen an Corona, dass die Armee die Leichname abtransportieren - die Bilder gehen um die Welt.
Mit dem ersten Lockdown beginnt das Corona-Kapitel der großen Solidarität. Die Oberhausener starten Hilfskampagnen für Ältere, die Kirchen loben den großen Einsatz der Menschen. Gleichzeitig beginnen die ersten großen Corona-Leidensgeschichten – das überbelegte Frauenhaus, die überlastete Telefonseelsorge, die Hotels, Taxi-Unternehmen oder Gastronomen, die bei einer Protestaktion leere Stühle vor das Ebertbad platzieren. Manche Betriebe müssen komplett aufgeben, wie das Brauhaus und das chinesische Restaurant „Pagoda“ am Centro. Am 14. April stirbt die erste Patienten, eine 66-jährige Dame, an den Folgen einer Corona-Erkrankung.
Die kleinen Lichtblicke für Kaisergarten-Tiere und Eisliebhaber
Viele Traditionen werden gebrochen: keine Fronleichnamkirmes oder Krööß, erstmals in der Geschichte wird kein Stadtprinz gekürt, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg findet keine Mai-Kundgebung statt. Die Gewerbesteuereinnahmen sinken so stark, dass der Stadtkasse eine zweistellige Millionen-Einnahme entgeht: Die Krise macht auf einen Schlag alle Sparbemühungen der vergangenen Jahre zunichte.
Neben den tragischen Ereignissen, die vielen Familien viel Leid zufügen, keimen aber immer auch Hoffnung und Mut zur Kreativität auf. Die Stadt startet einen Kultur-Streaming Kanal, am Niebuhrg-Theater spielt man im Drive-In und von Bilderrahmen- bis Floristik-Geschäften findet ideenreiche Unternehmer Wege, um die Kunden nach Hause zu beliefern. Jeder, wirklich jeder, experimentiert im Netz: Von den Kirchen bis zu Düsterdisco und Jugendzentrum. Sogar richtige Corona-Gewinner gibt es: Der Mountain-Bike-Laden, der neu einstellen kann, die Möbelgeschäfte, die plötzlich mehr Umsatz machen, die Tiere im Kaisergarten, die nicht mehr gemästet werden. Und natürlich alle, die auch fernab der Kirmes, vom kultigen Eis von Schmalhaus probieren dürfen.
Oberhausen prescht bei der Maskenpflicht vor
Die Befreiungsschritte der harten Corona-Einschränkungen kommen im Frühsommer schrittweise: Am Muttertag gibt es Freude und Tränen bei den ersten Besuchen im Altenheim, einen guten Monat später dürfen auch alle Kinder wieder in die Kita und Schule. Aber schon Ende Juli titelt unsere Redaktion „Revier wird Corona-Hochburg.“ Aber Oberhausen bleibt weiterhin größtenteils verschont, es darf sogar noch nachgedacht werden über eine Christmette in der Köpi-Arena mit 2000 Gläubigen.
Mit dem Herbst 2020 lernt die Republik eine neue Vokabel: Den Inzidenzwert, die Neu-Infektionen unter 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. Am 15. Oktober erreicht Oberhausen die Inzidenz von 35, schon am 21. Oktober den Grenzwert von 50. Offenbar will der Oberhausener Krisenstab beweisen, dass beim ersten Lockdown doch nicht nur Glück im Spiel war und geht mit der Maskenpflicht in Fußgängerzonen weiter als andere Städte wie etwa die Nachbarstadt Essen. Den nötigen Effekt zeigt es nicht – wie auch ein stadteigenes Sonder-Hilfsprogramm für Kulturschaffende, das zunächst kaum ein Betroffener abrufen kann.
Oberhausen muss eine Ausgangssperre verhängen
Weniger als eine Woche später liegt der Schlüsselwert schon bei über 100. Im November sterben mehr Menschen an Corona als in der gesamten Zeit zuvor. Auch 25 Bundeswehrsoldaten und 82 Stadtbedienstete aus anderen Bereichen der Stadtverwaltung können nicht verhindern, dass manche Oberhausener viele Tage oder gar einige Wochen auf einen Anruf aus dem Gesundheitsamt warten müssen. Politik und Rathaus-Spitze scheinen hilflos; die Oberhausener müde und zermürbt von dem bisherigen Verlauf des Jahres.
Die Versuche, den Einzelhandel im Adventsgeschäft mit dem ersten Weihnachtsleuchten und mit Sonderverkäufen in leerstehenden Centro-Filialen zu helfen: Vergebens. Festgefangen im zweiten Lockdown konzentriert sich nun alle Hoffnung auf das Impfzentrum in der Willy-Jürissen-Sporthalle. Aber die frohe Botschaft des baldigen Impfbeginns wird zerstört durch plötzlich explodierende Infektionszahlen. Am 22. Dezember liegt die Inzidenz bei über 342, die Zahl der Toten übersteigt die Grenze von 100. Die Stadt verhängt erstmals eine nächtliche Ausgangssperre - und ist genauso geschockt wie ratlos. Oberhausen – die Stadt, dessen Immunsystem das Virus zunächst abhalten konnte - beendet das Jahr in Schockstarre und tiefer Trauer.
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