Mülheim. Das Hochwasser hält Mülheim in Atem: Ein Altenheim wird komplett geräumt, weitere Evakuierungen sind nötig. Die „Moornixe“ versinkt spektakulär.
Von einem „Jahrhundert-Hochwasser“ ist in Mülheim schon die Rede. Und es richtet immer mehr Schaden an. In einigen überfluteten Bereichen wird man den Strom abschalten. Die Stadt kündigt weitere Evakuierungen an, Menschen müssen ihre Wohnungen nahe der Ruhr verlassen. Das Gesundheitsamt ordnet an, dass das Trinkwasser abgekocht werden muss - vorsichtshalber.
Probleme gibt es auch am Ruhrdeich in Mintard, in Höhe Dicken am Damm. Dort wurde der Deich schon vor längerer Zeit durch Bauarbeiten beschädigt und kann jetzt das massive Hochwasser nicht mehr aus eigener Kraft halten. Die Barriere ist durchgeweicht, meldet die Stadt, es bestehe die Gefahr, dass der Deich bricht. Feuerwehrleute haben Sandsäcke herangeschleppt und die Stelle abgesichert. Am Donnerstagabend gab der Krisenstab der Stadt zudem bekannt, dass die Mintarder Straße/Ecke Landsberger Straße in Richtung Mintard und in der Gegenrichtung in Höhe Mintarder Wasserbahnhof in beiden Bereichen zur Sackgasse wird. Eine Durchfahrt ist an dieser Stelle nicht mehr möglich, heißt es bei der Stadt. Die Anwohner des Bereichs sollen zur Vorsicht evakuiert werden. Die Stadtverwaltung stellt als Notunterkünfte die Holzhütten auf dem Gelände der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft an der Mintarder Straße zur Verfügung. Darüber hinaus bietet SWB leerstehende Wohnungen als vorübergehende Notunterkünfte an.
Gefahrenmeldung erreichte die Mülheimer über die Warn-App Nina
Am Donnerstag um 12.08 Uhr hatte die Stadt eine Gefahrenmeldung über die Warn-App Nina abgesetzt. Vor Überflutungen an der Ruhr wird gewarnt, an allen Uferbereichen und insbesondere in den Straßen direkt am Fluss: Ruhrstraße, Heinrich-Melzer-Straße, Am Rathaus, Delle, Auf dem Dudel, Schleuseninsel, Luisental. Die Bereiche sollen nicht mehr betreten werden, die Bürgerinnen und Bürger sich in Sicherheit bringen.
Mülheimer Altenheim Franziskushaus wird evakuiert
Ab dem Mittag muss aus Sicherheitsgründen ein komplettes Altenheim evakuiert werden: das Franziskushaus am Luisental. Befürchtet werden nicht nur Überschwemmungen, sondern auch Ausfälle der Stromversorgung - lebensgefährlich für kranke und pflegebedürftige Menschen. Wie Stadtsprecher Volker Wiebels berichtet, werden die Bewohner teilweise in Krankenhäusern untergebracht, teilweise in der Innogy-Sporthalle. Sogar die Duisburger Feuerwehr hilft mit elf Fahrzeugen plus Besatzung bei der Evakuierung. Zwei Fahrzeuge mit Notstromaggregat fahren aus Duisburg zum Flughafen Mülheim.
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Regelrechtes Glück hatte am Donnerstagmorgen noch Tom Täger von der Mülheimer Musikschule. Sein Auto, das gemeinhin an den Bögen des prominenten Gebäudes an der Delle steht, kann er gerade noch wegfahren. Dann steigt die Flut an der Straße, die an der Grenze zu den Ruhranlagen liegt, ein sattes Stück an.
Sparkasse schließt Zentrale vorübergehend und räumt die Tiefgarage
Gegen Mittag geht hier niemand mehr rein oder raus: Die Polizei hat den Bereich ab der Kreuzung, wo auch die Tiefgarage der Sparkasse liegt, abgesperrt. Während sich der Keller der Musikschule füllt, ist Sparkassensprecher Frank Hötzel hoch alarmiert. Denn das zweite Untergeschoss der Tiefgarage kann jeden Augenblick geflutet werden. Das ist bei Hochwasserlagen eine Maßnahme, mit der die Sparkasse möglichen Schaden vom Gebäude – etwa durch den Druck des steigenden Grundwassers – abwenden kann. Nötig war das am Ende glücklicherweise nicht. Am Freitag, 16. Juli, wird die Hauptstelle der Sparkasse am Berliner Platz ab 9 Uhr wieder für den Kundenverkehr geöffnet, meldet das Kreditinstitut am Abend. Ob die Tiefgarage am Freitag wie gewohnt genutzt werden kann, sei allerdings noch unklar.
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Die meisten Fahrzeuge im Untergeschoss sind bereits weg, aber wohl nicht alle. Sicherheitshalber wird am Donnerstag die Hauptfiliale am Berliner Platz komplett evakuiert und geschlossen. Falls das Hochwasser abflacht, kann die Zentrale am Freitag wieder an den Start gehen – freilich bleibt die Tiefgarage wohl noch über Tage gesperrt.
An der Ruhrpromenade schließen Cafés und Restaurants die Außenbereiche
An der Ruhrpromenade schreibt Ercan Keskin gerade seine Botschaft des Tages auf eine schwarze Tafel: „Heute nur to go“. Die Eisdiele, wie auch die weiteren Gastronomien der Ruhrpromenade, kann nur ohne Außenbereich oder gar nicht öffnen. Das Wasser schwappt auf das Promenadenpflaster. Keskin bräuchte wohl Sandsäcke, um seinen Keller zu retten. „Wo bekomme ich die jetzt her, aus dem Baumarkt?“
Nur noch sieben Stufen, dann hat das Wasser auch die Marina überschwemmt. Noch tänzeln die Boote im Becken und nicht vor dem Rathaus. Eine Bierflasche, die jemand vor Stunden auf einem Pfeiler abgestellt hat, ist Keskins Augenmaß: „Noch steht die auf dem Trockenen“, sagt der Eisdieleninhaber. Nach zehn Minuten treibt sie die Ruhr hinunter, wie vieles, was die Flut von den Ufern aufgelesen hat: Baumstämme, Waschmaschinen...
Pferdebesitzer bitten dringend um Hilfe, Ställe stehen unter Wasser
Auch Tiere sind in Not. So bitten Mülheimer Pferdebesitzer dringend um Hilfe, unter anderem auf Facebook. In Nähe der Ruhr stehen Ställe unter Wasser, Futter ist durchgeweicht. Die Pferde des Baumer Hofs in Saarn standen am Morgen noch auf der Weide. „Um viertel nach acht war noch alles in Ordnung, um 10 Uhr haben uns dann Passanten informiert, dass die Pferde teils bis zum Bauch im Wasser stehen“, berichtet eine Besitzerin, die sich mehr Informationen durch die Stadt mit Blick auf die Pferdewiesen an der Ruhr gewünscht hätte. Teilweise werden andere Stellplätze gebraucht, Sandsäcke und helfende Hände bei den Aufräumarbeiten.
Auch auf der Sportanlage von Blau-Weiß Mintard hat sich das Wasser breit gemacht. Das Clubhaus ist voll gelaufen, und offenbar haben die Fluten auch den Kunstrasen angehoben. Grüne Teile treiben an der Oberfläche. Der KHTC an der Mintarder Straße in Saarn sucht jetzt verzweifelt Helfer, die sein Clubhaus und die Geschäftsstelle vor dem drängenden Wasser schützen.
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Großes Chaos allerorten, dabei hatte es anfangs so friedlich ausgesehen. Während das Unwetter in vielen Städten schon dramatische Folgen hatte, sogar einige Todesfälle, gab es in Mülheim zunächst keine schwerwiegenden Schäden. „Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen“, bilanzierte Stadtsprecher Volker Wiebels noch am Donnerstagmorgen. Dann entwickelt sich die Lage rasant.
„Dramatisch wird es, wenn das Wasserkraftwerk ausfällt“
Die Ruhr trat nach stundenlangem Starkregen über die Ufer und bedroht die Mülheimer Innenstadt. „Das Wasser kommt uns schon entgegen“, meldete Feuerwehrsprecher Thorsten Drewes am Donnerstagmorgen von der Delle. Auch an der Ruhrpromenade steht da bereits das Flusswasser.
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Tiefgaragen in der City müssen geräumt werden, die Autos schleunigst weg. Mehrmals kommt am Donnerstag der städtische Krisenstab zusammen, um die weiteren Maßnahmen zu planen. „Dramatisch wird es, wenn das Wasserkraftwerk ausfällt und sich ein Rückstau bildet“, so der Stadtsprecher. „Das darf auf keinen Fall passieren, sonst haben wir ein massives Problem.“
„Moornixe“ knallt vor das Walzenwehr und versinkt in der Ruhr
Eine RWW-Sprecherin erklärte am Nachmittag, die Turbinen würden - bis auf eine - laufen. Das technische Personal rechne aktuell nicht mit einem Ausfall des Kraftwerks. Großes Aufsehen erregt ein Video, das auf Facebook kursiert: Es zeigt, wie ein Schiff - die stadtbekannte „Moornixe“ - auf das Walzenwehr des Wasserkraftwerks zutreibt, dort aufprallt und in der Ruhr versinkt. RWW prüft jetzt, ob das Wehr durch den spektakulären Crash beschädigt wurde. Die „Moornixe“ war bei weitem nicht das einzige Boot, das zerstört worden ist.
Nachts halfen 40 Mülheimer Feuerwehrleute noch in Solingen
Etliche Mülheimer Feuerwehrleute hatten in der Nacht und bis zum Morgen noch in Solingen geholfen. Die Bezirksregierung hatte Verstärkung angefordert. Zwei komplette Züge aus Mülheim rückten nach Solingen aus, insgesamt 40 Mann. Auch ein Patiententransportzug sei angefordert worden, berichtet Stadtsprecher Volker Wiebels, „er wurde aber Gott sei Dank nicht gebraucht“.
Damit immer genügend Einsatzkräfte in Mülheim bereit stehen, wurden zahlreiche freiwillige Feuerwehrleute und die Hilfsorganisationen vorsorglich alarmiert. Nach ihrer Rückkehr aus Solingen mussten die Einsatzkräfte gleich in Mülheim kräftig anpacken. Feuerwehrsprecher Thorsten Drewes sagte in einem Fernsehinterview: „Ja, das ist ein Jahrhunderthochwasser.“
Schon am Mittwoch hatte die Stadt Mülheim die Hochwasserstufe 1 ausgerufen und den Leinpfad auf der rechten Ruhrseite, insbesondere an der Mendener Straße, gesperrt. In der Nacht zu Donnerstag wurde die Hochwasserstufe 1C komplett aufgestellt, mit großräumigen Sperrungen an der Mintarder Straße, ebenso am Kassenberg, Fossilienweg und an der Florabrücke. Für die Hochwasserstufe 2 war schon einiges vorbereitet, Absperrungen standen bereit. Dass sich die Lage so schnell verschärft, damit hat offenbar niemand in Mülheim gerechnet.