Mülheim.

Zweimal in der Woche fährt Margret Draeger morgens mit dem Bus quer durch die Stadt, von Menden über die Innenstadt zum Rhein-Ruhr-Zentrum, um sich ein paar Euro zur mickrigen Rente dazuzuverdienen. Die 73-Jährige reinigt drei Stunden in der Woche einen Laden im Einkaufszentrum, damit sie sich ein bisschen Lebensqualität im Alter leisten kann. So wie Margret Draeger geht es vielen älteren Mülheimern. Ein Leben lang gearbeitet, doch im Alter nicht genug Geld.

„Ich habe 46 Jahre lang gearbeitet“, erzählt Margret Draeger. Erst als Kinderpflegerin in einem niedersächsischem Kinderheim, was „miserabel bezahlt“ worden sei, später erst als Kinderpflegerin bei einer Mülheimer Fleischerei-Familie, dann als Küchenkraft für den Bringservice der Metzgerei. „Als mir die Rente ausgerechnet worden ist, bin ich blass geworden“, sagt die 73-Jährige. Immerhin: Auf staatliche Grundsicherung im Alter ist sie nicht angewiesen. Von ihren 850 Euro Rente bleiben nach Abzug aller Fixkosten 230 bis 250 Euro zum Leben. An einen Urlaub, sagt die Seniorin, sei damit aber nicht zu denken. Mit den 100 Euro Extra aus dem Minijob schaffe sie es immerhin, „einen gewissen Lebensstandard“ zu halten. Nicht mehr hören kann sie, wenn Politiker sagen, lebenslanges Arbeiten solle sich im Alter auszahlen . . .

Fast 1500 Rentner beziehen Grundsicherung

Das hiesige Sozialamt zählt 1473 Rentner, die trotz Arbeitsleben auf Grundsicherung vom Staat angewiesen sind. Die Agentur für Arbeit führt in ihrer aktuellsten Statistik 1773 Mülheimer ab 65 Jahren, die noch einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen müssen oder wollen – fast 80 % mehr als noch vor zehn Jahren.

Altersarmut, warnen Sozialamtsleiter Klaus Konietzka, Verdi-Geschäftsführerin Henrike Greven und Ulrich Schreyer, Geschäftsführer beim Diakoniewerk Arbeit & Kultur, wird zunehmend zum ausgewachsenen Phänomen. Da ist der hohe Sockel der Langzeitarbeitslosen, für die der Arbeitsmarkt seit langem verschlossen ist und die kaum etwas für ihre Altersvorsorge tun können. Da sind die prekären Beschäftigungsverhältnisse, die Brüche im Arbeitsleben, die Mini-Löhne, die schon heute viele trotz Arbeit von aufstockenden Geldleistungen nach „Hartz IV“ abhängig machen. „Der Anteil der Rentner, die arbeiten müssen, steigt“, sagt Henrike Greven. „Da kommt in 10, 20 Jahren eine richtige Welle auf uns zu.“ Die Gewerkschaftsfunktionärin hat schon viele Ältere ihren Rentenbescheid über 500, 600 Euro vorlegen sehen. „Da geht es dann ohne Sozialamt nicht mehr.“

Mindestlohn gegen Altersarmut

Greven fordert, zumindest als Einstieg zum Kampf gegen zunehmende Altersarmut, einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ulrich Schreyer hält beim Blick auf die verfestigte Massenarbeitslosigkeit auch in Mülheim weiterhin die Schaffung eines staatlich finanzierten dritten Arbeitsmarktes für nötig. Anders könne man das gute Drittel der Mülheimer, das seinen Lebensunterhalt aktuell nur mit staatlichen Subventionen bestreiten könne, nicht vor Altersarmut bewahren.