Mülheim. . In Mülheim sind immer mehr Menschen auf einen Zweit- oder Drittjob angewiesen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Pestel-Instituts in Hannover. Damit stieg der Anteil der Mehrfach-Jobber im Vergleich zu 2003 um fast 120 Prozent an. Betroffen sollen immer mehr Branchen sein.

Wie bitte, fragt sich Henrike Greven, Verdi-Geschäftsführerin in Mülheim, soll eine Zahnarzthelferin mit 1300 Euro brutto im Monat ihr Leben bestreiten? Wie soll ein Familienvater, der im Wach- und Sicherheitsdienst tätig ist, mit 1740 Euro all die steigenden Nebenkosten noch finanzieren?

Ein Anstieg von fast 120 Prozent

Die Gewerkschafterin wundert sich nicht über das Ergebnis einer Untersuchung, die jetzt das Pestel-Institut in Hannover vorlegte: Die Zahl der Menschen, die nebenher einen Zweit- oder gar Drittjob brauchen, um über die Runden zu kommen, steigt spürbar an: 4660 Berufstätige sind es inzwischen in Mülheim, die nebenher mindestens einen Minijob ausüben.

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Im Rückblick ist der Anstieg zu erkennen: Vor zehn Jahren noch, so Henrike Greve, habe der Anteil der Mehrfach-Jobber bei 2012 in Mülheim gelegen, ein Anstieg von fast 120 Prozent. Zugleich sei auch die Zahl derjenigen weiter gestiegen, die ausschließlich von Minijobs leben: 10 800 sind es nach Angaben von Verdi derzeit. Die Dienstleistungsgewerkschaft und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hatten die Studie in Auftrag gegeben. Ihr Resümee: „Die Spirale muss gestoppt werden. Wir brauchen nicht nur Mindestlohn, sondern einheitlich verbindliche Tarifverträge, an die sich alle halten.“

Ausstieg aus Tarifen

Gerade in dem Ausstieg aus den ­Tarifverträgen sieht Greven ein Hauptübel. Wer aussteige, zahle geringere Löhne, senke Preise, verzerre den Wettbewerb zu Lasten der Unternehmen, die ihre Mitarbeiten so bezahlten, das sie davon leben könnten.

Betroffen sollen immer mehr Branchen sein: der Handel, das Handwerk, aber auch Teile des ­öffentlichen Dienstes. Bahn- oder Busfahrer, die nach Dienstschluss noch Heizungen ablesen, seien ­inzwischen auch zu erleben, berichtet die Gewerkschaftsfrau mit Verweis auf eigenes Erleben. Mit 1900 Euro brutto müssen Fahrer heute ihr Leben bestreiten. Was vor einigen Jahren noch möglich gewesen sei, gehe heute angesichts der wachsenden Kosten in vielen Bereichen nicht mehr.

Vor allem Frauen sind von geringen Löhnen betroffen, nehmen ­Mini-Jobs an. Die Gewerkschaft warnt: „Wir werden in einigen Jahrzehnten eine Welle von Altersarmut bekommen.“

4660 Mülheimer mit Jobs nebenher – für Henrike Greven ist das auch ein Gesundheitsrisiko, an dem Arbeitgeber kein Interesse haben können. Diese bräuchten fitte Mitarbeiter. „Wie bitte, sollen aber Menschen volle Leistung erbringen, wenn sie 55 bis 60 Stunden in der Wochen auf den Beinen sind und arbeiten?“