Mülheim. .

Manchmal können 200 Euro schneller eine emotionsgeladene Debatte entfachen als die Aussicht, dass die Stadtkasse am Ende dieses Jahres wohl ein Rekordminus von 132 Mio Euro wird bilanzieren müssen. So geschehen im Finanzausschuss des Stadtrates . . .

Tagesordnungspunkt 5 der Ausschusssitzung hat die Vorlage V 11/0940-01 zum Gegenstand: den Bericht zur aktuellen Haushaltslage. Das Deckungsloch im Etat wird laut Kämmerer um 49 Mio Euro größer ausfallen als ursprünglich geplant. Inklusive Pensionsrückstellungen werden der Stadt am Ende des Jahres 132 Mio Euro zur Deckung ihrer Aufgaben gefehlt haben. Ohne Frage: eine Finanzmisere sondergleichen.

„Wird das Wort gewünscht?“, fragt Heinz Braun, für die SPD Vorsitzender des Finanzausschusses, als besagter Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen war. Resonanz: null! Das horrende Defizit – wort- und kommentarlos zur Kenntnis genommen. Die Haushaltsdebatte – komplett verschoben in den Rat.

Verkümmert die Debattenkultur in Mülheim?

Ach doch, es geht ja anders. Tagesordnungspunkt 12 der Sitzung bringt eine Vorlage von Jugenddezernent Peter Vermeulen auf den Tisch. Wohlgemerkt: von Vermeulen. Dem Dezernenten mit CDU-Parteibuch, kritisch beäugt von der politischen Konkurrenz, mehrfach öffentlich angegriffen wegen seiner Rolle zuletzt bei umstrittenen Themen wie den geplanten Kürzungen im Kulturetat oder der Bildungspolitik.

Es geht nicht um viel Geld

Jedenfalls hatte dessen Dezernat auf Antrag von SPD, Grünen und FDP einen Beschlussvorschlag vorzulegen, der bei Bürgerinformationsveranstaltungen das Angebot einer Kinderbetreuung vorsieht. Bürgerinformationsveranstaltungen, etwa zum Klimaschutz, zum Haushalt oder zuletzt zur ÖPNV-Zukunft, gibt es wahrlich nicht viele. Es geht nicht um viel Geld.

Und doch hatte Vermeulen seinem Beschlussvorschlag gleich in Fettschrift zugefügt, dass es die Kinderbetreuung nur geben könne, wenn Mülheim nicht mehr unter Nothaushaltsrecht falle. Da platzt manchem Ausschussmitglied, allen voran SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering, der Kragen. Ein solcher Passus sei einmalig, bei anderen, weitaus teureren Angelegenheiten nie zu finden. Das lasse er sich „nicht gefallen“. Lächerlich sei das. Beschämend!

Schon zuvor hat es einen Akt der Theatralik gegeben. Annette Lostermann-De Nil, Ratsfrau der Grünen, ist demonstrativ von ihrem Platz aufgestanden, ist zu Kämmerer Bonan marschiert und hat vor ihm zwei 100-Euro-Scheine ausgefaltet. Die könne er als Spende verbuchen. Zweckgebunden! Für eben jene Kinderbetreuung. Lostermann-De Nil ärgert sich, dass die Stadt sich einerseits als kinderfreundlich zu vermarkten suche, andererseits ohne Kinderbetreuung Eltern die Teilhabe an öffentlichen Veranstaltungen verwehrt werde.

So kühl die Kenntnisnahme, so hitzig die Debatte

Von da an geht es hin und her. Etwa im Streit darüber, warum eine Kinderbetreuung als zusätzliche freiwillige Leistung zu werten und deshalb unter Nothaushaltsrecht und Finanzierungsvorbehalt gestellt werde, wenn hingegen die Bürgerinformationsveranstaltung als solche, ebenfalls als freiwillige Leistung, nicht unter Vorbehalt gestellt werde. Warum, fragt Achim Fänger (Wir-Linke), werde Kinderbetreuung etwa anders bewertet als die Bestuhlung auf den Veranstaltungen. Folge man dem Finanzierungsvorbehalt Vermeulens, müssten doch eigentlich alle städtischen Veranstaltungen im Stehen abgehalten werden . . . „Auf Stühle“, so Fänger, „würde ja auch niemand verzichten.“

So kühl die Kenntnisnahme des 132-Millionen-Lochs im Haushalt, so hitzig die Debatte um die Peanuts für die Kinderbetreuung. Ins Ränkespiel mischt sich auch die CDU ein, fordert eine Sponsorensuche für die Kinderbetreuung, Kinderbetreuung nur auf Abruf etc. Dieter Wiechering beantragt schließlich nach eigener Wortmeldung und Gegenrede, immer noch polternd, ein Ende der Debatte, die Ausschussmehrheit folgt ihm. Zum Verdruss der Minderheit. Was seien das denn für Methoden?

Ein Ja für die Kinderbetreuung

Vorsitzender Heinz Braun hat nun seine liebe Not, eine Abstimmung herbeizuführen, er lässt gleich über vier Detailfragen entscheiden. Sogar darüber, ob für die 200 Euro von Lostermann-De Nil eigens eine Haushaltsstelle einzurichten sei. Kämmerer Bonan blickt fassungslos drein.

Vermeulens Passus zum Finanzierungsvorbehalt fliegt raus. Bei drei Enthaltungen der CDU – Bernd Dickmann stimmt gar nicht ab – gibt es ein Ja für die Kinderbetreuung. Die Gemüter beruhigen sich wieder. CDU-Ratsherr Eckart Capitain schmunzelt müde: „Ich glaube, die 200 Euro brauchen wir hier selber für die Kinderbetreuung.“

Kämmerer Bonan jedenfalls werden sie nicht groß weiterhelfen. Er sieht vor sich ein Loch, in das 132 Mio Euro passen würden . . .