Mülheim. Bezirksregierung und Verkehrsministerium betonen die Notwendigkeit von Investitionen beim Ausbau des Schienenverkehrs.

Dass es nicht einerlei ist, welche Personen welche Posten ausfüllen, darüber kann in Mülheim ein kleines Lehrstück geschrieben werden. Eher gesagt, es ist bereits geschrieben worden und zwar von Anne Lütkes, die sich von Horst Becker gestützt weiß. Lütkes ist Regierungspräsidentin in Düsseldorf, Becker Staatssekretär im Verkehrsministerium, beide sind bei den Grünen und deswegen eint beide das Ziel, den „öffentlichen Nahverkehr als echte Alternative zum Auto“ auszubauen. So steht es wenig überraschend in einer Korrespondenz zwischen Düsseldorf und Mülheim, an der aber der Zeitpunkt überrascht.


Die Worte stammen aus einem Schreiben von Anfang August, in dem Lütkes eine „gewisse Besorgnis“ über die Nahverkehrsdebatte in der Stadt ausdrückt - lange vor Entscheidungen, lange vor der Entscheidungsreife. Lütkes sorgt, dass es „erstmals seit Beginn der 80er Jahre“ wieder Stimmen gebe, die eine Stilllegung der Straßenbahn forderten. Stimmen? Was Lütkes meinte, waren Überlegungen des städtischen Finanzcontrollings die Betriebskosten der MVG drastisch zu senken. Eine von vielen Optionen war der Ersatz der teuren Bahn durch den billigen Bus. Davon ist zwar längst keine Rede mehr, mithin ist der Anlass der Mahnschreiben auch hinfällig. Eine große Ratsmehrheit hat inzwischen deutliche Signale gegen diese Kehrtwende gegeben. Die 112 vor allem bleibt Bahn. Dennoch erschienen der Stadtverwaltung Ton und Trend der im Grund behördeninternen Post so brisant, dass sie den Fraktionen jetzt Kopien zur Verfügung stellten.

Flammende Plädoyers

Das ist nachvollziehbar. Die Briefe sind nichts anderes als flammende Plädoyers für die Bahn und zugleich eine in dieser Direktheit erstaunliche Anklage gegen die MVG. In höchsten Tönen lobt Lütkes etwa das „noch intakte“ kommunale Schienennetz des nördlichen und westlichen Ruhrgebiets, von dem die Mülheimer Gleise nicht zu isolieren seien und an dem Lütkes die Barrierefreiheit preist. Die Befürchtung dahinter ist klar. Reißt die erste Stadt die Schienen raus, ziehen andere möglicherweise nach, das Netz wäre dahin. Für Lütkes und Becker aber gilt, wie für alle Grünen, dass die Qualität des Angebots Nachfrage schafft. Dieser Grundsatz, der Elemente der Daseinsvorsorge berührt, ist den vorgesetzten Behörden so wichtig, dass sie auf die Investitions- und Betriebskosten nur bedingt eingehen.

Dafür kommt die MVG großflächig vor. Von „betrieblichen Missständen“ ist die Rede, von fehlender Sorgfalt, von der Unfähigkeit der Werkstatt und von einer „notleidenden Betriebsführung“. Das alles rangiert nur knapp unter „Saftladen“ und wurde von der MVG-Geschäftsführung schon, natürlich, mit Entrüstung zurückgewiesen.

"Problemfall Schienenverkehr"

Dabei sollte die Geschäftsführung der MVG durchaus beunruhigen, derart unter Beobachtung zu stehen. Sehr kleinteilig hat die Bezirksregierung offenbar die Um-und Zustände in Mülheim verfolgt. Der ersatzlose Ausfall von Fahrten ist notiert worden, die Pleitenserie im letzten Winter und vor allem, dass in Mülheim immer weniger statt mehr Niederflurwagen zum Einsatz kommen; ein „bundesweit einmaliger Trend“, wie Lütkes ätzend feststellt, der überdies, wie es drohend weiter heißt, die 160 Millionen Euro Steuergeld, mit denen Bund und Land einst den Schienenausbau förderten, in „nicht hinnehmbarer Weise in Frage stellt“.

Immerhin, die Behörden räumen den - auch finanziellen - „Problemfall Schienenverkehr“ ein, bieten der Stadtpolitik für die hohen Kosten der Bahn aber eine ganz andere Lösung an: die MVG auf Vordermann zu bringen. Da könnten erhebliche Sparpotenziale schlummern, lockt Lütkes und sie könnte sich sogar vorstellen, die 104 von der Essener EVAG statt von der MVG betreiben zu lassen. Die Hauptsache sei „ein klares Bekenntnis der Stadt zum Fortbestand der Straßenbahn.“

Große Koalition

Auf allzu großes Interesse dürfte dieser Fingerzeig kaum stoßen. Über der MVG wacht eine immer schon existente Große Koalition. Wolfgang Michels (CDU) sieht sich als heimlicher Wagenlenker, die SPD versteht sich in der Person von Dieter Wiechering als Schutzmacht der Beschäftigten und der Strukturen. Solange diese Altvorderen da sind, mault etwa die FDP, werde sich nichts verändern.

Dabei ließe sich Nahrhaftes aus den Schreiben ziehen. Lütkes erkennt die Notwendigkeit weiterer Investitionen bei einem Ausbau des Schienenverkehrs an und Staatssekretär Beckers sieht in dem inzwischen manifesten Erhalt der Linie 112 eine so „positive Nachricht“, dass er die Zuschüsse für den Neubau der August-Thyssen-Brück auf den Weg brachte.

Einen anderen Aspekt der Behördenpost hat man bei der Stadtverwaltung dagegen nur mit Erstaunen registriert. Bei Bahnlinien und -verbindungen wimmelt es von Details, bei der Finanzierbarkeit bleiben die Briefe vage. Dabei residiert im Haus der Regierungspräsidentin auch jene Kommunalaufsicht, die über die Haushalte der Städte wacht und nicht zu Unrecht drakonisch Disziplin einfordert. „Offenbar“, spottet ein hoher Beamter, „kommt es darauf an, wofür man Geld ausgeben will“. Dem Anschreiben, das die Stadtspitze den Kopien an die Fraktionen beigefügt hat, kann man mithin eine gewisse Ironie entnehmen. Man arbeite gerade an einer weiteren Stellungnahme für Düsseldorf, wolle aber den Fraktionen Gelegenheit geben, die Briefe „in ihrer fachpolitische Diskussion“ einzubeziehen. Für welches Fach steht da nicht.