Mülheim..

Nicht nur bei der Bezirksregierung ist das Unbehagen angesichts der Spardebatte für den Mülheimer ÖPNV groß, auch im Haus der Mülheimer Verkehrsgesellschaft selbst rumort es. Ein Mitarbeiter, der weitreichende Einsicht in die Geschäftspolitik des Hauses hat, redet im WAZ-Gespräch Klartext. Kernaussage: Kommunalpolitik und Stadt lassen die MVG am ausgestreckten Arm verhungern. Er fordert die Solidarität der Bürger ein, um Mülheims Straßenbahn als bedrohte Art nicht dem schleichenden Aussterben zu überlassen.

Der Mitarbeiter, der aus Angst vor Repressalien seines Arbeitgebers anonym bleiben will, sieht den aktuell dürftigen Zustand der MVG durch jahrelange Misswirtschaft und unreflektierte Kaputtsparerei begünstigt. Nicht dem aktuellen Geschäftsführer Klaus-Peter Wandelenus, der seit April 2007 die Geschicke im Unternehmen leitet, weist er die Verantwortung zu. Schuld am schlechten Zustand des ÖPNV, insbesondere des Straßenbahnverkehrs, seien dessen Vorgänger, die Stadt als Eigentümerin und die Politik.

Da wäre die Flotte der Straßenbahnen. „Wir brauchen ganz dringend neue Fahrzeuge“, sagt der Beschäftigte. Die Bezirksregierung spricht gar von einem Bedarf an 21 Wagen, das entspricht mehr als zwei Dritteln des Bestandes.

Probleme durch Einkaufspolitik

Die Flotte, so der Mitarbeiter, sei nicht nur „in die Jahre gekommen“. Auch die Einkaufspolitik vergangener Jahrzehnte mache heute enorme Probleme, die technischen Widrigkeiten seien enorm. Der Verkehrsbetrieb habe sich einen Fuhrpark mit Bahnen verschiedenster Spezialmodelle zugelegt, für die es heute nur sehr schwer Ersatzteile oder technische Lösungen gebe. In der Zeit vor Wandelenus seien Techniker aus den Werkstätten immer wieder abgeblitzt, wenn sie auf die Anschaffung von Ersatzteilen gedrängt hätten. „Die kaufmännische Leitung hat stets gesagt: Es ist kein Geld da.“

Stichwort Personalabbau. Im Zuge der Restrukturierung der vergangenen Jahre sind bei der MVG sozialverträglich Stellen gestrichen worden, „in der Verwaltung eher schonend“, sagt der Mitarbeiter. Im operativen Bereich aber, im Fahrdienst und in der Werkstatt, habe es große Einschnitte gegeben – mit der Folge erheblicher Arbeitsverdichtung.

Zusätzlich habe die alte Betriebsleitung für Demotivation in der Belegschaft gesorgt, indem sie, zuvorderst Joachim Exner (1999 bis April 2007), der Sparpolitik nicht ein einziges Mal die Stirn geboten habe. „Es gab niemanden, der der Politik mal gesagt hat: Wenn ihr den Geldhahn abdreht und keine neuen Getriebe für die Bahnen bestellt werden können, werden wir absehbar Probleme bekommen. Exner hat immer nur eins zu eins die politischen Vorgaben umgesetzt.“ Das Ergebnis sei bekannt: Immer mehr Bahnen fielen immer häufiger aus. Eine ausreichende Reserve gebe es , auch wenn Wandelenus gegenüber der WAZ Gegenteiliges gesagt hatte, nicht mehr.

"Trümmerhaufen"

Wandelenus habe 2007 „einen Trümmerhaufen“ übernommen: Riesig der Investitionsstau, widrig die technischen Gegebenheiten, demotiviert die Belegschaft. Die Kurve sei nur langsam zu nehmen, immerhin habe Wandelenus, wenn auch spät, umgesteuert. Ersatzinvestitionen würden getätigt, die neue Werkstatthalle zeige Wirkung, mehr Auszubildende würden übernommen, der Via-Verbund mit Duisburg und Essen beginne sich auszuzahlen.

Aber da ist auch die erneute Spardiskussion. Die Straßenbahn 110 soll nicht länger fahren, auch keine Bahn mehr zwischen Hauptfriedhof und Flughafen rollen. „Viele bei uns wundern sich, dass wir es als MVG nicht schaffen, die Bürger auf unsere Seite zu bekommen“, sagt der MVG-Beschäftigte. „Warum versuchen wir nicht erst mal, die Wagen zuverlässiger zu bekommen, an den Netzen zu feilen und die Wagen, die durch unsere neue Waschstraße nun sauberer sind, wieder vollzukriegen?“

Das Debakel mit den Straßenbahnen

Seine Devise: Bevor man vorschnell Straßenbahnlinien stilllegt, sollte man der MVG die Möglichkeit einräumen, ihren Job besser zu machen. Vielleicht erübrige sich dann die Debatte über das Aus für ganze Linien.

Etwa sei nicht nachvollziehbar, warum man der Straßenbahn auf vielen Strecken Konkurrenz durch parallel verkehrende Busse mache. „Ob das richtig durchdacht ist“, so der Insider mit Blick etwa auf die Linien 102 und 124, die auf ähnlicher Route von der City Richtung Dümpten unterwegs sind, „da habe ich meine Zweifel.“

Ob die MVG für ihr Straßenbahnnetz noch eine Chance von der Stadt als Auftraggeberin für ÖPNV-Dienstleistungen bekommt? Der Mitarbeiter zuckt mit den Achseln: „Ich weiß es nicht.“ Wünschen würde er es sich. Eine Straßenbahn sei unter Gesichtspunkten der Elektromobilität das moderne Verkehrsmittel schlechthin.