Mülheim. In Mülheim-Raadt hängt seit Kurzem Wahlwerbung der AfD, offenbar wurde sie in der Dämmerung angebracht. Die Stadt will den Vorgang nun prüfen.
„Unser Land zuerst“, steht auf den Wahlplakaten, die seit wenigen Tagen an Laternenpfählen in der Parsevalstraße hängen. Die Plakate stammen von der AfD, sind offenbar am vergangenen Donnerstag zu später Stunde montiert worden. Sehr zum Ärgernis vieler Anwohner des Straßenzuges, der zuletzt immer wieder wegen Kritik an der Zentralen Unterbringungseinrichtung für Geflüchtete im Fokus stand. Viele von ihnen sind sich sicher: Die Platzierung der Wahlwerbung zur Europawahl im Juni ist bewusst gewählt, um die Debatte rund um die ZUE für politische Zwecke zu missbrauchen - ähnlich der Aktion im Juli 2023, als 500 sogenannte Bürgerbriefe in den Briefkästen von Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils landeten.
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„Hier hat es noch nie Wahlwerbung gegeben in der Straße“, erklärt eine Anwohnerin, die unmittelbar an der ZUE lebt. Seit 2017 wohne sie schon in Raadt und habe so etwas noch nicht erlebt. „Ich schaue aus dem Küchenfenster direkt auf eins der Plakate, ich werde davon gefühlt erschlagen. Die sind auch deutlich größer als andere.“ Die Anwohnerin, die lieber anonym bleiben möchte, geht davon aus, dass die Wahlwerbung am späten Abend angebracht worden sein muss. „Bestimmt erst nach 22 Uhr, sonst hätte ich das gesehen.“
Eine Sache stößt ihr, wie vielen anderen Anwohnern aber besonders sauer auf: Schräg gegenüber der ZUE liegt das Seniorenwohnstift Raadt, das als Wahllokal fungiert, auch am 9. Juni. Ist Wahlwerbung so nah an einem Wahllokal überhaupt erlaubt?
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Tatsächlich ja. Die „Bannmeile“, die sich unter der Raadter Nachbarschaft als Schlagwort verbreitet hat, in der Hoffnung, das Aufhängen der AfD-Plakate somit für unzulässig erklären zu können, gilt nur am Wahltag selbst. Dann sind Werbungen in Bild, Ton und Schrift in und unmittelbar um das Wahllokal herum nicht gestattet.
Mülheim-Raadt: Stadt prüft die Wahlwerbung der AfD
Dennoch: Ordnungsdezernentin Anja Franke erklärt auf Nachfrage, sich „den genauen Standort der Wahlplakate am Wochenende“ ansehen zu wollen. „Einschränkungen zur Zulässigkeit von Wahlwerbung aller zugelassenen Parteien ergeben sich aus Gründen der Gefahrenabwehr und aus Neutralitätsverpflichtungen“, so Franke. Für Wahlplakate gelte die Neutralitätspflicht in und an Wahllokalen. Aber, ergänzt die Dezernentin: „Über Zeiträume und Abstände kann man aber wiederum streiten: Die Grundsätze der Meinungsfreiheit und der Wahlfreiheit sind ebenso zu beachten und somit ist eine Interessenabwägung zu treffen.“
Man plane, „mit einem entsprechenden Hinweis und der Bitte um Beachtung des Neutralitätsgebots noch einmal seitens des Ordnungsamtes auf alle Parteien“ zuzugehen - auch die AfD. „Dabei konkretisieren wir die Hinweise in erforderlichem Maße“, erklärt Anja Franke.
Anwohner aus Mülheim fühlen sich an Juli 2023 erinnert
Für viele der entsetzten Anwohner ist das nur ein schwacher Trost. Sie fühlen sich an den Juli 2023 erinnert, als sie plötzlich einen „Bürgerbrief“ der AfD im Briefkasten liegen hatten. Der „AfD Kreisverband Mülheim an der Ruhr“, der das Schreiben seinerzeit unterzeichnet hatte, prangerte unter anderem an, dass das „Sicherheitsempfinden innerhalb des Stadtteils erheblich gestört“ sei.
Erst kürzlich war bekannt geworden, dass es seit Inbetriebnahme der zentralen Unterbringungseinrichtung an der Parsevalstraße in Raadt insgesamt 190 Einsätze von Polizei (83), Feuerwehr (35) und Rettungsdienst (72) gegeben hat. Nichtsdestotrotz sei man weit davon entfernt, sich unsicher zu fühlen, so ein weiterer Anwohner. „Natürlich lief und läuft nicht alles ideal“, so der Raadter. „Aber es entsteht der Eindruck, die AfD wolle uns bewusst provozieren.“ Immerhin, ein Gutes habe die Plakatierung: „Man merkt, dass sich alle in der Nachbarschaft einig sind und die Aktion und die Partei ablehnen.“
Mülheimer AfD wählte den Standort bewusst
Der AfD-Kreisvorsitzende Alexander von Wrese erklärt im Gespräch mit der Redaktion, den Standort in Raadt bewusst für die Plakatierung gewählt zu haben. Neben der Parsevalstraße hängt auch an den Haltestellen „Am Flughafen“ sowie „Windmühlenstraße“ an der viel befahrenen Zeppelinstraße Wahlwerbung - ein kleiner Radius. „Wir haben zum einen viel frequentierte Straßen wie die Kölner Straße oder die Mendener Brücke gewählt, aber eben auch Orte wie die Parsevalstraße.“ Wieso? „Weil wir dort ein brennendes, zentrales Thema haben.“
Den Vorwurf, die Debatte für den Wahlkampf zu instrumentalisieren, weist der AfD-Politiker von sich. „Das ist immer ein billiges Argument, wenn man unbequeme Themen aufgreift.“ Aus seiner Sicht betreibe die AfD regelkonformen Wahlkampf, in der Stadt seien rund 300 Wahlplakate verteilt worden und auch die Plakatierung in unmittelbarer Nähe des Wahllokals an der Parsevalstraße sei erlaubt - „soweit ich weiß“. Selbstverständlich werde man umplakatieren, falls sich etwas anderes herausstelle. Dass in den späten Abendstunden plakatiert wurde, bestätigt Alexander von Wrese. „Das ist mittlerweile Usus. In der Dämmerung vermeiden wir einige verbale Angriffe, die uns schonmal entgegenschlagen.“
In Raadt blieb die Aktion bis zur Fertigstellung unbemerkt, die Plakate hängen, eines davon unmittelbar vor der ZUE. „So etwas muss man in einer Demokratie aushalten“, sagt ein weiterer anonymer Anwohner. Der junge Familienvater sagt von sich selbst „kein Fan der ZUE zu sein“, die offensive AfD-Wahlwerbung in seinem Viertel wertete er als Irritation im ersten Moment, sagt nun: „Das ist so widerlich.“ Auch er erkenne einen kollektiven Aufschrei in der Nachbarschaft. Das beruhigt mich etwas.“
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