Mülheim/Oberhausen. Für den OGS-Rechtsanspruch ab 2026 gibt es in Mülheim nicht genügend Plätze, in Oberhausen schon längst. Nur: Wie steht es um die Qualität?

Ab 2026 haben Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Noch aber fehlt es in vielen NRW-Kommunen massenweise an OGS-Plätzen. Auch in Mülheim gibt es „einen riesigen Nachholbedarf“, wie es Schuldezernent David Lüngen jüngst bei der WAZ-Familienkonferenz formulierte. Im nahen Oberhausen ist man da deutlich weiter. Der dortige Schuldezernent Jürgen Schmidt hat dafür verschiedene Erklärungen. Auch „Glück“ hat damit zu tun, räumt er ein.

In gut zwei Jahren tritt der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz für alle Erstklässler in Kraft, nach und nach dann auch für ältere Grundschulkinder. Die Stadt Mülheim setzt dieses Versprechen des Bundes an alle Familien massiv unter Druck. Es heißt: Nacharbeiten im großen Stil. Denn im Vergleich zur Nachbarstadt, die die angepeilte Betreuungsquote von 80 Prozent aller Jungen und Mädchen bereits vor geraumer Zeit erreicht hat, liegt man in Mülheim bis dato erst bei knapp 48 Prozent. Bislang wurden 109 Gruppen eingerichtet, so Lüngen, mindestens 61 Gruppen fehlen noch. „Immerhin konnten wir 2023 schon zehn neue Gruppen eröffnen, das waren rund 300 Plätze zusätzlich.“

„Wir haben einen sehr unterschiedlichen Stand an den Schulen“, so Mülheims Dezernent

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Das Wachstum sei aktuell ein gutes, es reicht aber lange noch nicht aus, um das große Ziel zu erreichen. „Wir haben auch einen sehr unterschiedlichen Stand an den Schulen“, weiß der Dezernent. Es sei jetzt wichtig, alle 22 Grundschulen genau in den Blick zu nehmen. Um so festzustellen: Wo gibt es noch Spielraum? Wo kann ausgebaut werden – und wo eher nicht? Und wie lässt sich das alles finanzieren?

Fragen, die sich der Oberhausener Kollege nicht mehr stellen muss. „Wir haben schon eine Quote von über 80 Prozent“, verkündete er jetzt auf Nachfrage. „Wir können jedem Kind einen Platz anbieten, das einen Platz haben will. Wir müssen niemanden ablehnen.“ Aus vielen Gesprächen mit den Fachleuten wisse er aber, dass die Situation anderswo zum Teil wirklich schwierig ist: „Manche sind gerade bei 30 Prozent.“

Jürgen Schmidt: „Vielleicht reichen die 80 Prozent bald gar nicht mehr aus“

Dabei sind 80 Prozent vielleicht nicht mal das Ende der Fahnenstange. Möglicherweise, so Schmidt, reiche es gar nicht aus, Betreuungsplätze für vier Fünftel aller Grundschulkinder bereitzustellen, vielleicht werde die Nachfrage in Zukunft noch größer sein. „Und da die Schülerzahlen ja sowieso steigen, brauchen auch wir in den kommenden Jahren noch zusätzliche Plätze.“

Dass man dennoch in einer deutlich besseren Lage ist als viele andere Städte, weiß er. Ursächlich dafür sei vor allem der Einsatz des Oberhausener Vereins zur Betreuung von Schulkindern, der seit kurzem den Titel „Kinderkosmos“ trägt. Dieser sei einst „von sehr engagierten Privatleuten“ ins Leben gerufen worden und habe schon vor der Debatte um den OGS-Rechtsanspruch dafür gesorgt, dass an Oberhausener Schulstandorten die Nachmittagsbetreuung ausgebaut wurde. „So hatten wir einen guten Grundstock.“ Nach und nach hätten andere freie Träger mitgezogen. „Man muss schon sagen, dass wir Glück hatten. Das war anderen Städten so nicht vergönnt.“

Auch in Oberhausen diskutiert man über multifunktionale Klassenräume

Aktuell sei man dabei, an verschiedenen der 29 Oberhausener Grundschulen Küchen und Mensen auszubauen. „Die sind oftmals viel zu klein.“ Man denke darüber nach, wie sich die Schulen sonst noch erweitern lassen. „Und wir sprechen mit Fachleuten zum Beispiel über die multifunktionale Nutzung von Klassenzimmern.“ Dass diese mittels weniger Handgriffe zu OGS-Räumen für den Nachmittagsbereich umgemodelt werden können, wird auch in Mülheim seit längerem diskutiert. So zum Beispiel am Runden Tisch, der eigens für den OGS-Ausbau eingerichtet wurde.

Auf der Suche nach Wegen aus der Misere geht es auch immer wieder darum, bei der Betreuung möglicherweise Kräfte aus Sportvereinen einzubinden. „Wir müssen alle gemeinsam in den Ausbau kommen“, findet David Lüngen. Doch einfach wird das sicher nicht, weiß auch sein Oberhausener Kollege. „Es stehen im Nachmittagsbereich gar nicht genug Leute zur Verfügung“, so Schmidt. Zum einen habe man in der Coronazeit „rund ein Drittel aller Übungsleiter verloren“ und es sei „schwierig, sie zurückzuholen oder neue zu finden“. Zum anderen seien viele der in Frage kommenden Helfer zu den klassischen OGS-Zeiten berufstätig und erst am späten Nachmittag einsatzbereit.

„Mülheim hat schon immer mehr Geld in die OGS gesteckt als Oberhausen“

Die Lage in Oberhausen mag sich gut anhören – doch Schmidt räumt ein, dass es auch dort Personalengpässe gibt und dass das Betreuungsangebot in seiner Stadt „nicht immer hoch qualifiziert“ war und ist. Aus Mülheim wisse er, dass man unter der Überschrift Guter Ganztag „schon immer deutlich mehr Geld“ in die OGS gesteckt habe. „Und auch wir müssen perspektivisch mehr Qualität in den Offenen Ganztag bringen.“ Dennoch sei es auch jetzt schon so, betont Schmidt, „dass viele Eltern mit unserem Angebot zufrieden sind und die OGS keineswegs nur als Verwahrstation empfinden“.

Apropos Geld: Das Land hat jüngst einen Bewilligungsbescheid über 9,2 Millionen Euro nach Oberhausen geschickt, so Schmidt. Damit könne man „drei bis vier Standorte“ ausbauen, schätzt er. „Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Und man hoffe, dass es absehbar nicht nur Geld für Baumaßnahmen gibt, „sondern auch für konzeptionelle, pädagogische Arbeit“.

„Leider werden wir auch qualitativ einsparen müssen“, fürchtet Mülheims Dezernent

Auch David Lüngen wartet darauf, „dass das Land tätig wird“. Man brauche eindeutig Unterstützung, um den vom Bund ersonnenen Rechtsanspruch umsetzen zu können. Einen entsprechenden Gesetzentwurf erwarte er im Januar, tragend sei die Frage: „Wie viel Personal mit welcher Qualität können wir überhaupt bieten?“ Während es in Oberhausen lediglich den Anspruch einer pädagogischen Fachkraft in der Leitungsposition gebe, verlange der Mülheimer Anspruch diese Qualifikation bei mindestens einer Person pro OGS-Gruppe. „In Oberhausen genügen laut Stellenbeschreibung pädagogische Kenntnisse. Das ist bei uns anders“.

Davon abweichen wolle man nicht, „ aber leider werden wir auch qualitativ einsparen müssen“, fürchtet Mülheims Bildungsdezernent. Stand jetzt kommen auf jede Gruppe 1,2 bis 1,8 Erzieher, Abweichungen in den unteren Bereich würden sich künftig kaum vermeiden lassen. Der Dreiklang der Finanzierung aus Landesmitteln, Elternbeiträgen und kommunalen Mitteln gibt den Städten nach Landesvorschrift mindestens jährlich 551 Euro pro Kind vor, die zu entrichten sind. „Oberhausen zahlt diesen Mindestbetrag. Wir haben 2023 nahezu das Doppelte, 1101 Euro pro Kind, dazugegeben“, ordnet Lüngen ein. „Wir wissen aber schon jetzt, dass wir das für den Vollausbau reduzieren müssen.“

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