Mülheim. Wenn Kinder in drei Jahren einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung haben, muss Mülheim auch liefern. Eine Schule zeigt, wie es gehen kann.

Die Mülheimer Grundschullandschaft muss sich in den kommenden Jahren grundlegend wandeln, wenn ab 2026 bundesweit ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für wenigstens zwei Drittel der Grundschulkinder gelten soll. Auf die Stadt als Träger der Schulen rollt also eine erhebliche Aufgabe zu, Räume zu schaffen, die sie einerseits finanzieren muss und für die andererseits städtebaulich nur wenig Platz besteht. Den Lösungsansatz dafür könnte eine Mülheimer Grundschule bieten, die mit innovativen Lernkonzepten längst daran arbeitet. Und nun auch besonders gefördert wird.

Mit ihrem besonderen Konzept des selbstgesteuerten Lernens und der damit verknüpften offenen Ganztagsbetreuung (OGS) ist die Grundschule im Dichterviertel zwar ausgezeichnet worden. Nun aber erhält sie als eine von vier Schulen bundesweit auch die finanzielle und fachliche Förderung der Montag Stiftung, um ihren Ansatz weiter zu entwickeln. Das erklärte Ziel dahinter: Eine OGS-Modellschule zu schaffen, die als Vorbild für weitere Mülheimer Grundschulen dienen kann – und natürlich bundesweit.

Mülheim will Lernen und Betreuung an den Schulen verbinden

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Zum offiziellen Auftakt am Donnerstagabend unterzeichneten die Schule, die Stadt und die Montag Stiftung einen gemeinsamen Kooperationsvertrag, der schon einmal 100.000 Euro für die einjährige Prozessbegleitung in die Hand nimmt. Auch die Stadt hat erklärt, Mittel für mögliche Umbaumaßnahmen zu investieren. Nach einem Jahr soll das Projekt nicht beendet sein, aber soweit entwickelt, dass Schule und Stadt selbstständig daran weiterarbeiten können.

Im Kern geht es darum, die vorhandenen Schulräume so umzugestalten, dass sie möglichst vielseitig für Lernzwecke und die Nachmittagsbetreuung genutzt werden können. Und idealerweise so, dass Lernen und Betreuung nicht einfach hintereinander passieren, sondern miteinander verknüpft werden.

Barbara Pampe, Vorständin Montag Stiftung, erklärt den Ansatz des Projektes „Ganztag und Raum“, das bereits an einer Ulmer Schule umgesetzt wurde.
Barbara Pampe, Vorständin Montag Stiftung, erklärt den Ansatz des Projektes „Ganztag und Raum“, das bereits an einer Ulmer Schule umgesetzt wurde. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Grundschule im Dichterviertel geht seit Jahren voran

An der Grundschule im Dichterviertel läuft es seit Jahren längst so, sagt Schulleiterin Nicola Küppers, dass die Betreuenden vom Nachmittag in die Lernprozesse am Vormittag eingebunden sind. So vermitteln diese Erzieherinnen etwa in kleinen Gruppen die Techniken des Stop-Motion-Films, während die anderen im Regelunterricht sind. Statt klassisch Hausaufgaben zu pauken, stärkt man lieber soziale Kompetenzen, forscht mit digitaler Anleitung, reist digital in andere Länder, übt, wie man Referate hält, kritische Fragen stellt oder wie man eine Meinung begründet.

Trivial ist die Sache nicht, denn auch ansonsten sieht das von der Grundschule verfolgte Konzept des selbstgesteuerten Lernen vor, dass ein und derselbe Raum für viele Aktivitäten genutzt werden kann: Kinderparlament, Elterncafé, Anti-Aggressionstraining oder Team-Raum in denselben vier Wänden. Oder Stichwort: Mittagessen. Hier versorgt die Schule 120 Kinder in einem Raum, der maximal 30 zuließe.

„Ohne unser Team und die Eltern wäre unsere Schule nicht möglich“, ist Nicola Küppers, Schulleiterin der Grundschule am Dichterviertel, überzeugt. Jetzt soll an ihrer Schule der Ganztag so entwickelt werden, dass er zum Maßstab auch für andere Schulen in der Kommune und im Bund werden kann.
„Ohne unser Team und die Eltern wäre unsere Schule nicht möglich“, ist Nicola Küppers, Schulleiterin der Grundschule am Dichterviertel, überzeugt. Jetzt soll an ihrer Schule der Ganztag so entwickelt werden, dass er zum Maßstab auch für andere Schulen in der Kommune und im Bund werden kann. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Flexible Raumkonzepte müssen her: Mittagessen und Bücher verbinden sich nicht gut

Also werden auch Spielräume und die Bibliothek zu Speisesälen – „und Bücher verbinden sich nicht wirklich gut mit Mittagessen“, merkt Schulleiterin Küppers augenzwinkernd an. Und selbst der Flur und der Garten müssen als Lernraum effektiv ausgenutzt werden. Nur kostet das erheblichen Aufwand, die Räume jedes Mal umzubauen. Gute Konzepte sind daher gefragt.

Die will die Montag Stiftung mit Hilfe von Pädagogen und Architekten mit der Schule und den Kindern entwickeln. Das Kinderparlament hat sich bereits als „Baupilotentruppe“ formiert und ging mit der projektbegleitenden Architektin Fee Kyriakopoulos und der Berliner-Kiez-erfahrenen Lehrerin Karin Babbe zur ersten Bestandsaufnahme durch das Gebäude.

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Reichlich Erfahrung bringt die Bonner Stiftung bereits mit. In Ulm hat sie mit dem Projekt „Ganztag und Raum“ die Struktur der Martin-Schaffner-Schule massiv verändert – auch baulich. Dabei wurden die klassischen Klassenräume zur ,Homebase’ umgebaut und dafür Funktionen ausgelagert. So gewann man Platz für „Leiseräume“, Differenzierungsräume für die Inklusion, Themenräume, integrierte eine Theaterbühne.

Mülheims Schuldezernent David Lüngen sieht im Projekt an der Grundschule im Dichterviertel eine große Chance, das schulische Lernen mit der Offenen Ganztagsbetreuung neu zu verbinden.
Mülheims Schuldezernent David Lüngen sieht im Projekt an der Grundschule im Dichterviertel eine große Chance, das schulische Lernen mit der Offenen Ganztagsbetreuung neu zu verbinden. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Kiez-Arbeit und modernes Lernen: Wie die Stadt davon profitieren kann

Auch Beziehungen in den Kiez – oder das Quartier – will die Montag Stiftung anregen, wo sich durch Kooperation auch neue Lernräume ergeben können. Und stößt bei Küppers und ihrem Team auf offene Ohren. Nicht nur, weil man schon Familiengrundschulzentrum ist, sondern auch die Fühler etwa zum Seniorenheim und zu Kindergärten ausstreckte – „wichtig ist, dass Schule ein cooler Ort ist“, findet Küppers. Sie hat keinen Zweifel, dass auch die Stadt ideell wie finanziell hinter der Weiterentwicklung stehen wird.

Für die Stadt Mülheim kommt das Modell-Projekt indes wie gerufen. Denn für den Schuldezernenten David Lüngen ist der Offene Ganztag (OGS) ein wichtiger Bestandteil aller Schulen, der sich mit modernem Lernen verbinden soll. Erst im Juni warnten drei OGS-Träger vor einer drohenden „Katastrophe“, weil die Betreuungsquote derzeit erst bei 45 Prozent liege. OGS dürfe keine reine Verwahrung werden.

Mehr als 60 OGS-Gruppen müsste die Stadt angesichts steigender Schülerzahlen und des Rechtsanspruchs laut Schuldezernent wohl noch schaffen und in den Schulen verankern, kündigte Lüngen am Donnerstagabend an. „Wir brauchen ein pädagogisch-didaktisches Konzept und wir werden auch räumlich vor Herausforderungen gestellt, weil der Platz in einer Großstadt begrenzt ist“. Drei Jahre noch hat sie dafür Zeit.