Mülheim. Der Bund will, dass die OGS bis 2025 ausgebaut, ein Rechtsanspruch eingeführt wird. Warum das Projekt in Mülheim noch nicht Fahrt aufgenommen hat

  • Bis zum Jahr 2025 soll der Offene Ganztag in den Mülheimer Grundschulen ausgebaut werden.
  • Aktuell gibt es nicht einmal für die Hälfte der Schülerinnen und Schüler einen OGS-Platz.
  • Experten sehen noch viel Handlungsbedarf.

Die Ganztagsbetreuung an Grundschulen soll bis 2025 massiv ausgebaut werden. Jeder, der möchte, kann sein Kind dann von morgens bis nachmittags gegen 16 Uhr in die Schule schicken. So zumindest ist der Plan der Bundesregierung, die für das Vorhaben 3,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt hat.

Erwartet wird, dass künftig rund 80 Prozent der Eltern dieses Angebot in Anspruch nehmen – aktuell ist in Mülheim nicht einmal für die Hälfte der Grundschulkinder Platz im Offenen Ganztag (OGS). Der Ausbau ist „eine gewaltige Aufgabe“ für Stadt, Schulen und Träger, sagt Georg Jöres, Fachdienstleiter für Schule und Jugend bei der Caritas, die die OGS zurzeit an neun Standorten verantwortet.

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In der heftigen Diskussion um die Kürzung der städtischen Zuschüsse zur OGS war in den vergangenen Wochen immer wieder von dem womöglich ab 2025 geltenden Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz die Rede. Personal dürfe schon deswegen keinesfalls verloren gehen, war eines der Hauptargument der Kürzungsgegner. Wer sonst solle sich bald um die vielen, vielen Kinder kümmern?

Mülheimer Zahlen veranschaulichen die Herkulesaufgabe

Georg Jöres nennt Zahlen, um die Herkulesaufgabe zu veranschaulichen: „Zurzeit gibt es Plätze für rund 40 Prozent der etwa 6200 Mülheimer Grundschüler. Das sind ungefähr 2500 Plätze. In vier Jahren müssten es doppelt so viele sein, also rund 5000.“ Damit man den Jungen und Mädchen im Nachmittagsbereich auch dann noch ein pädagogisch wertvolles Angebot machen könne – musisch, sportlich und kulturell –, müsse eine Menge getan werden. „Die Stadt muss in Steine investieren, viele Schulen deutlich erweitern.“

Da Bauvorhaben oft zeitaufwendig sind, müsse man rasch handeln, fordert Jöres. Geld sei ja auch grundsätzlich versprochen, von Bund und Land. Doch schwierig könne es im klammen Mülheim werden, „weil die Kommune einen Eigenanteil aufbringen muss, um an die Mittel zu kommen“. Die Stadt habe mit ihren Planungen angefangen, so Jöres, sie überlege Schritt für Schritt, an welchem Standort was nötig und möglich ist. An einigen Schulen gehe es womöglich auch um einen Neubau.

Stadt Mülheim: „Rechtsanspruch ist bislang nur Ankündigung auf Bundesebene“

Die Verwaltung reagierte am Freitag zurückhaltend auf die Anfrage dieser Zeitung: „Beim Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz handelt es sich zurzeit lediglich um eine Ankündigung auf Bundesebene“, betonte Peter Hofmann, Abteilungsleiter für die Schulverwaltung. Unter welchen Bedingungen das aktuelle Ganztagsangebot in einen echte Anspruch umgewandelt werden könne, sei unklar und hänge von der ausstehenden gesetzlichen Regelung ab.

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Auch vom Land gebe es nichts Konkretes dazu. Man habe folgendes mitgeteilt: „Solange der Bund weder einen Entwurf zur inhaltlichen Ausgestaltung des Rechtsanspruchs vorlegt, noch die Verhandlungen mit den Ländern hinsichtlich einer auskömmlichen Finanzierung zu einem einvernehmlichen Ende bringt, kann die Landesregierung gegenüber den Kommunen keine Festlegungen treffen.“ Die Stadt als Schulträger wolle sich daher noch nicht weiter zur Sache äußern, so Hofmann. Klar sei aber, dass die Thematik „im Rahmen der derzeitigen Fortschreibung des Bildungsentwicklungsplans“ aufgegriffen werde.

Berater im Ganztag haben sich an Grundschulen über die Raumsituation informiert

Zwei, die sich mit der Grundschul-Szene vor Ort bestens auskennen, sind Birte Kellermann, Leiterin der Grundschule am Krähenbüschken, und Andreas Illigen, Leiter der Schildbergschule. Sie sind seit Jahren offiziell eingesetzte „Berater im Ganztag“ und haben – noch vor Beginn der Pandemie – eine Reise von einer Schule zur nächsten durchgeführt. Diese habe zwar noch nicht unter der Überschrift „Ausbau wegen des Rechtsanspruchs“ gestanden, berichtet Kellermann, sondern war Teil des vom Ex-Bildungsdezernenten Ernst angestoßenen „großartigen“ Projekts Guter Ganztag. Doch man habe sich auch damals schon mit der Raumsituation beschäftigt. Und natürlich gebe es vielerorts Mängel.

Kellermann appelliert, die Schulen „in einen Brainstorming-Prozess zu schicken“, Steuerungsgruppen zu bilden, die unter anderem besagte Raumsituation unter die Lupe nehmen. Es gebe gute Konzepte, „Lernlandschaften, in denen sich Kinder von morgens bis nachmittags wohl fühlen“. Viele Kollegen hätten damit Erfahrung. Man müsse die eingespielten Teams vor Ort unbedingt einbinden, fordert Kellermann.

Schulleiterin fürchtet, Ideen des Guten Ganztags könnten auf der Strecke bleiben

Elementar ist für die Schulleiterin, dass die OGS „familienergänzend“ arbeiten kann und der „ganztägige Bildungsort“ erhalten bleibt. Keinesfalls dürfe im Ausbau-Prozess – oder auch wegen der städtischen Kürzungen – das gefährdet werden, was mit dem „Guten Ganztag“ erreicht worden sei. Alle Beteiligten müssten weiter „auf Augenhöhe“ miteinander wirken können, verzahnt bleiben. In den bewährten Tandemteams würden die Kinder „von morgen bis nachmittags gut begleitet“.

Träger müssen sich 2022 erneut um OGS bewerben

Damit am Tag X, nach dem flächendeckenden Ausbau, ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden ist, müsse heute schon mehr ausgebildet werden, sagt Georg Jöres. Die Caritas wolle diesen Job gern übernehmen, habe aber – so wie andere externe Träger – ein Problem: „Im Sommer 2022 müssen sich alle Träger wieder neu bewerben, um weiter im Offenen Ganztag tätig sein können.“

Man wisse also jetzt noch gar nicht, ob man 2025 überhaupt noch dabei ist, so Jöres. Man könne also nicht langfristig planen und sich auf die große Aufgabe „Rechtsanspruch“ vorbereiten.

Ein Anfang für das Mammutprojekt sei auf kommunaler Ebene sicher gemacht, sagt Jöres. „Aber nur, wenn wir jetzt wirklich loslegen und zügig weitermachen, können wir das bis spätestens 2030 tatsächlich alles umsetzen.“

Man müsse auch das OGS-Personal unbedingt halten, fordert Kellermann, dürfe nicht riskieren, dass es abwandert, weil zum Beispiel nur noch Teilzeitstellen angeboten werden. „Wir haben ja einen Fachkräftemangel.“ Und eine pädagogisch wertvolle Betreuung könne nicht von Müttern oder Quereinsteigern geleistet werden. Sinnvoll wäre es, so sagt sie, schon jetzt weitere OGS-Gruppen zu beantragen. „Den Bedarf gibt es, und so könnte man Personal retten.“

Der Rechtsanspruch muss erst 2029 vollständig umgesetzt sein

Andreas Illigen, der auch Sprecher der Mülheimer Schulleitervertretung ist, weist darauf hin, dass der Rechtsanspruch „sukzessive eingeführt“ wird. Erst 2029 müsse er voll umgesetzt sein. Man wisse vieles noch nicht, so auch ob man wirklich an allen Standorten derart viele OGS-Plätze vorhalten müsse. Die Debatte um die Kürzungen habe jene um den Rechtsanspruch vorübergehend „blockiert“. Auch sei der sonst regelmäßig zum Thema tagende Qualitätszirkel, dem Vertreter von Stadt, Trägern und Schulleitungen angehören, schon länger nicht mehr zusammengekommen.

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Illigen hält die Mittagsverpflegung für das größte Problem beim flächendeckenden Ausbau. „Keine Schule ist bislang so aufgestellt, dass sie so viele Kinder durchschleusen könnte.“ Schon jetzt hätten die Kleinen nicht viel Zeit zum Essen. Von den 320 Schildberg-Schülern besuchen 140 die OGS, nach dem Ausbau könnten es über 250 sein. Das sei unter den jetzigen Umständen nicht machbar. An der Raumsituation müsse sich viel ändern. Was genau, darüber solle die Stadt nicht allein bestimmen. „Sie kann den Schulen Hilfestellung bieten, muss ihnen und den Trägern aber viel Freiraum lassen.“