Mülheim. Kranke Eltern, finanzielle Probleme gefährden die Gesundheit vieler Mülheimer Kinder. Neue Zahlen der AOK rütteln auf: „Da muss was passieren.“
Ein Vater, der extrem übergewichtig ist oder an chronischen Rückenschmerzen leidet, eine Mutter, die es wegen Depressionen manchmal nicht aus dem Bett schafft: Das sind familiäre Belastungen, unter denen auch die Kinder leiden, die sie krank machen können. Die unter 18-Jährigen stehen im Mittelpunkt des Gesundheitsreportes 2023, den die AOK Rheinland/Hamburg gerade veröffentlicht hat. Er beruht auf den Abrechnungsdaten der großen Krankenkasse und enthält aufrüttelnde Zahlen, auch aus Mülheim.
Expertinnen und Experten haben sich auf Einladung der AOK zu einer Podiumsrunde in Essen getroffen, um die Ergebnisse zu diskutieren. Alle sind sich einig: „Da muss was passieren.“ Städteübergreifend, indem gute Ansätze ausgerollt werden. Denn es gehe nicht nur um den Gesundheitszustand der Kinder, sondern um die Entwicklung der gesamten Gesellschaft, sagte Oliver Hartmann, Regionaldirektor Ruhrgebiet der AOK.
AOK-Bericht zur Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in Mülheim
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Zahlen aus dem Gesundheitsreport 2023 verdeutlichen, wo die Probleme liegen. Rund 17 Prozent der AOK-versicherten Mülheimer Kinder haben mindestens einen Elternteil, der körperlich chronisch krank ist - etwa an Adipositas leidet, Bandscheibenschäden oder Diabetes. Knapp 16 Prozent der Kinder haben einen Vater oder eine Mutter mit psychischer Erkrankung - oft Depressionen, Angst- oder Belastungsstörungen.
Und 1,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen erleben die Suchterkrankung eines Elternteils mit, seien es Alkohol, Cannabis oder Medikamente. Betroffene Eltern können sich oft nicht ausreichend kümmern. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Nachwuchs Suchtprobleme entwickelt, ist laut AOK-Report deutlich erhöht. Insgesamt leben 59,3 Prozent der erfassten Mülheimer Kinder und Jugendlichen in einer gesundheitlich belastenden Situation, das wären fast zwei Drittel. Kann das sein?
Erfasst sind eher einkommensschwächere Familien
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„Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, aber relevant“, sagt Olga Dortmann, Referentin für Versorgungsentwicklung bei der AOK Rheinland-Hamburg. Die Kernaussagen könnten Signalwirkung haben für die gesamte Stadt. Nach Angaben der AOK sind insgesamt 26,5 Prozent der Mülheimerinnen und Mülheimer bei ihr versichert, fast 46.500 Personen. Bei den unter 18-Jährigen liegt der Anteil der AOK-Versicherten sogar noch deutlich höher, bei 34,6 Prozent, das sind 10.214 Kinder und Jugendliche in Mülheim.
„Die Versichertenstruktur unterscheidet sich von der Gesamtbevölkerung“, darauf weist die AOK hin. Tendenziell seien „nicht die einkommensstärksten Familien“ bei der AOK versichert, ergänzt Olga Dortmann. Dies sei historisch bedingt.
Viele Mülheimer Kinder leben von Sozialleistungen
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Tatsächlich befinden sich viele Mülheimer Kinder und Jugendliche, die im Gesundheitsreport erfasst sind, in finanziell schwierigen Verhältnissen: 43,8 Prozent von ihnen leben in Haushalten, die Sozialleistungen (Alg II) beziehen. Stadtweit kam eine vor gut zwei Jahren veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung auf eine Quote von 27,6 Prozent, hervorgehoben wurde allerdings auch, dass noch wesentlich mehr Kinder in Mülheim, rund 45 Prozent, von Armut bedroht sind.
Das ist fatal, denn: „Kinder, die in sozial benachteiligten Verhältnissen aufwachsen, haben ein höheres Risiko für gesundheitliche Probleme“, heißt es im neuen Bericht der AOK. Die Gründe seien vielfältig. Messbar erhöht ist das Risiko, dass schon Ungeborene Schäden erleiden, dass die Kinder später Entwicklungsstörungen im Bereich Sprache oder Motorik entwickeln, dass sie stark übergewichtig oder suchtkrank werden. Laut Report 2023 wurden bei etwa 13 Prozent der Sechs- bis 17-Jährigen in Mülheim Probleme mit der Sprachentwicklung diagnostiziert.
Mülheimer Präventionskette „MH/0/25“: von der Geburt bis zum Berufseinstieg
Damit es Mülheimer Kindern und Jugendlichen besser geht, wurde schon einiges angestoßen. Beispielsweise wurde eine „Bildungskette“ aufgebaut, die unter der Bezeichnung „MH/0/25“ arbeitet. Ihr Ziel ist Begleitung und Prävention von der Geburt bis zum Berufseinstieg. Das Programm wird vom Landesfamilienministerium finanziell gefördert.
Koordinatorin Sabine Gronek saß bei der AOK-Veranstaltung als Mülheimer Expertin auf dem Podium. Sie stellte das stadtweite Netzwerk vor, sprach aber auch ein strukturelles Problem an: Gerade Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen blieben oft zu Hause, obwohl sie eigentlich in die Kita gehörten. „Es sollte eine Verpflichtung zum Kita-Besuch geben“, meint Gronek, „wenn ausreichend Plätze da sind.“
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