Mülheim. Schildkröte Pittermann lebt seit 60 Jahren bei Mülheimerin Beate Kempe-Tietze. Gemeinsam haben sie viele Phasen durchlebt, etwa die Pubertät.
Je oller, je doller? Im Fall von Pittermann könnte das durchaus zutreffen. Der ältere Herr geht gerne auf Wanderschaft. Dann fragt sich seine Gefährtin, die seit fast 60 Jahren an seiner Seite ist: Wo steckt der Kerl jetzt schon wieder? Dabei spricht Beate Kempe-Tietze aus Dümpten nicht von einem Zweibeiner, sondern von einem besonderen Vierbeiner.
Neugierig streckt Pittermann seinen Kopf nach oben, der Hals wird lang und länger, die dunklen Augen – nicht viel größer als Stecknadelköpfe – scheinen interessiert zu gucken. Sprechen die beiden Damen etwa über mich? Das tun sie – denn Beate Kempe-Tietze erzählt von ihrer rund 60 Jahre alten Landschildkröte. Fast ihr ganzes Leben teilt die 65-Jährige mit dem panzerbewehrten Vierbeiner.
Längst hat die Mülheimer Schildkröte Generationen von Hunden und Katzen überlebt
Etliche Hunde und Katzen der Familie hat Pittermann schon überlebt, die ungestümen Sprünge des jungen Border-Collie-Mischlings, der neben – und über ihm – über die Wiese tollt, nimmt der Schildkröten-Herr mit stoischer Gelassenheit. Er reckt stattdessen seelenruhig seinen Kopf nach vorne, öffnet das Maul und nimmt genüsslich einen Bissen Klee, der aus dem Gras lugt – augenscheinlich pures Schildkrötenglück.
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„Die Beziehung zu Pittermann ist schon anders als zu unseren Hunden oder Katzen“, räumt Beate Kempe-Tietze ein. Doch Reaktionen zeigt die Schildkröte durchaus, wenn auch etwas subtiler als die felligen Mitbewohner. „Wenn man an sein Gehege geht, dann kommt er angelaufen – es könnte ja was zu fressen geben“, erzählt die Dümptenerin schmunzelnd.
Von wegen ausbruchssicher: Pittermann schlüpft unbemerkt aus seinem Gehege
Hier aus seinem Gehege ist Pittermann kürzlich ausgebüxt – wieder einmal. „Einmal im Jahr ist er eigentlich immer mal weg“, sagt sein Frauchen. Dabei sei sie sicher, das Gehege, das in einer Ecke des naturnahen Gartens liegt, ausbruchssicher gestaltet zu haben. Pittermann beweist regelmäßig das Gegenteil, ist auch schon mal im Tierheim gelandet.
Kürzlich also war er mal wieder weg – hatte die Umfriedung seines Freilaufs doch irgendwie überwunden. „Man ist manchmal erstaunt, wie schnell er werden kann – vor allem, wenn es warm ist, denn Schildkröten sind wechselwarme Tiere.“ Und wie gut er klettern kann, über dicke Steine, zwischen Holzplanken durch (oder darüber hinweg – wie genau er ausbricht, das weiß nur Pittermann). Jetzt hat Beate Kempe-Tietze die Spalten zusätzlich mit Kaninchendraht gesichert. „Abwarten, wie lange es diesmal dauert, bis er ausbüxt.“
Im Winter, sobald es Frost gibt, buddelt Pittermann sich unter seinem Haselnussstrauch ein und kommt erst wieder zum Vorschein, sobald es im Frühjahr wärmer wird. „Dann weiß ich, dass der Frühling kommt.“ Beim Freilauf auf der Wiese, den die Schildkröte bei warmem Wetter auch regelmäßig genießen darf, müsse sie ihn genau im Auge behalten, sagt die Dümptenerin – denn sonst ist er flugs zwischen den Beeten verschwunden.
Landschildkröte mit 60 Jahren wohl im besten Mannesalter: Er ist wild auf Schuhe
Als Pittermann letztens nicht auffindbar war, bat seine Halterin auf Facebook um Hilfe – insgesamt 14 Tage wurde er schmerzlich vermisst. Schließlich bekam sie ihren alten Vierbeiner zurück. „Er war wohl auf der Straße unterwegs, wäre beinahe überfahren worden. Der Autofahrer brachte ihn zu einem Schildkröten-Kenner in der Nähe, der hat sich dann bei mir gemeldet.“
Wie sie und Pittermann einst zusammengefunden haben, weiß Beate Kempe-Tietze noch genau: „Ich war damals fünf, sechs Jahre alt und mit meinen Eltern im Märchenzoo am Blauen See in Ratingen. Da durfte ich ihn mitnehmen.“ Von da an gehörte Pittermann zur Familie. Die naturnahe Haltung im Garten – „er ist auch schon mit umgezogen“ – bekommt ihm augenscheinlich gut. „Sonst wäre er ja nicht so alt geworden“, meint Kempe-Tietze.
Mit seinen knapp 60 Jahren sei er wohl im besten Mannesalter und noch gar nicht so lange geschlechtsreif. Woran sie das festmache? „Wenn ich einen Schuh ins Gehege lege, der vorne recht rund ist, ist er ganz wild drauf.“ Angesichts seiner Lebenserwartung von 80 bis 120 Jahren denkt Beate Kempe-Tietze: „Pittermann könnte ein Erbstück für meine Kinder werden.“
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