Mülheim/Essen. Der Zeppelin NT hat dem Flughafen Essen-Mülheim einen spektakulären Antrittsbesuch abgestattet. Technik und Geschichte machen ihn so besonders.

Die Stippvisite des ab Mai 2024 fest am Flughafen Essen-Mülheim stationierten Zeppelin NT auf den den Raadter Höhen am verlängerten Wochenende war ein voller Erfolg. Noch mal ein Grund, das außergewöhnliche Flugobjekt näher zu betrachten – und die Piloten-Ausbildung: Denn Zeppelin-Pilot ist ein höchst exklusiver Beruf. Astronauten gibt es deutlich mehr.

Wer zum ersten Mal in einem Zeppelin-Cockpit sitzt, gerät ins Staunen: Eine Vielzahl an verschiedenen Hebeln, Bedienelementen, Überwachungsanzeigen und Displays nebst einem Sidestick als Haupt-Steuerorgan verwirrt den Laien. Der fühlt sich angesichts der Fülle an Anzeigen, Hebeln und Schaltern wie inmitten eines riesigen Wimmelbilds.

Ein Zeppelin NT ist trotz seiner imposanten Länge von 75 Metern erstaunlich agil

Das ist kein Wunder, denn zum einen ist der Zeppelin NT ein immerhin dreimotoriges Luftfahrzeug, zum anderen kann dieses Luftschiff sogar auf der Stelle in der Luft wenden. Das macht es trotz seiner imposanten Länge von 75 Metern erstaunlich agil. Denn mithilfe seiner Hightech-Steuerung kann er viel rascher als erwartet Richtungs- oder Höhenänderungen ausführen. Er kann sogar rückwärts fliegen. Das leisten in der Aviatik sonst höchstens noch Helikopter oder Senkrechtstarter. Ähnlich wie diese kann der Zeppelin natürlich auch auf der Stelle schweben.

Was ist das Geheimnis hinter dieser unerwarteten Manövrierfähigkeit? Beim Zeppelin NT geschehen Richtungs- oder Lageänderungen mittels seiner komplexen Schubvektorsteuerung. Mit deren Hilfe erhöhen zwei Propeller am Heck die Manövrierbarkeit. Zwar wird der Zeppelin NT bei seinem normalen Reisetempo von 65 km/h ähnlich wie ein Flugzeug durch Seiten- und Höhenruder im Heck gesteuert. Diese Ruder lassen aber bei Geschwindigkeiten unter 40 Kilometer je Stunde deutlich in ihrer Wirkung nach.

Das Zeppelin-Wochenende in Mülheim – unsere Berichte:

Mülheims neuer Zeppelin NT kann spektakulär im steilen Winkel starten

Durch Schwenken eines Heckpropellers nach unten kann die Nickbewegung des Luftschiffs verstärkt oder verringert werden. Ein zweiter dort angebrachter Propeller wirkt über ein Getriebe wie der Heckrotor eines Helikopters in seitlicher Richtung. Diese beiden Luftschrauben kompensieren also im Langsamflug die nachlassende Wirkung der Ruderflächen. Dazu kommt, dass die seitlich am Rumpf angebrachten Motoren in beweglichen Gondeln sitzen. Diese sind bis zu 120 Grad schwenkbar. Sie können also entweder horizontal ausgerichtet sein für den Reiseflug. Beim Start werden sie aber nach oben geschwenkt. Deshalb kann der Zeppelin spektakulär im steilen Winkel starten.

Dass dafür im Cockpit eine Vielzahl verschiedenster Hebel für Motoren, Propellerverstellung, Schubwinkel der Motorgondeln an Seite oder Heck und quasi eine Art Heckrotor vorhanden sind, wird beim Blick auf den Arbeitsplatz deutlich. Der Zeppelin NT entspricht bei den Rudereingaben einem Mix aus Flugzeug und Helikopter. Es gibt bei ihm einen Sidestick wie im Airbus. Mit dessen Hilfe wird das Höhen- und Seitenruder per Fly-by-wire, also ohne mechanische Verbindung zu den Rudern, gesteuert.

Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther hat viele tausend Flugstunden, auch aus Mülheimer Zeit

Zudem müssen die jeweiligen Gashebel der drei Motoren mit je 200 PS bedient werden. Dazu kommen die Hebel für die Verstellung beider seitlichen Schubgondeln und das Hecktriebwerk. Dann gilt es noch die seitliche Verstellung durch den Heck-Fan zu bedienen, vergleichbar einem Heckrotor im Helikopter. Zwar ist der ausgetrimmte Zeppelin im Reiseflug durch seine Eigenstabilität ohne ständige Steuereingaben auf Kurs zu halten. Sobald es aber etwa an den Landeanflug geht, sieht das anders aus. Da hat der Kapitän oder die Kapitänin buchstäblich alle Hände voll zu tun.

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Auch deshalb sind die Piloten auf Sonderflügen sehr erfahren. Bei diesen mehrstündigen Flügen sitzen immer gleich zwei Profis gemeinsam im Cockpit. Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther hat viele tausend Flugstunden und kommt ursprünglich aus der Militärfliegerei. Seine Kollegin und Flugkapitänin Kate Board war die weltweit erste Zeppelin-Pilotin und verfügt ebenfalls über mehrere tausend Flugstunden. Beide sind auch Fluglehrer und dürfen Prüfungen für Zeppelin-Piloten abnehmen. Fritz Günther ist auch schon Mülheims Luftschiff „Theo“ geflogen.

Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther und Kate Board, die erste Zeppelin-Pilotin der Welt, bei einem ihrer Rundflüge, die am vergangenen Wochenende vom Flughafen Essen-Mülheim aus starteten.
Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther und Kate Board, die erste Zeppelin-Pilotin der Welt, bei einem ihrer Rundflüge, die am vergangenen Wochenende vom Flughafen Essen-Mülheim aus starteten. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

Bei Rundflügen über dem Ruhrgebiet wird nur ein Pilot an Bord sein

Auf den Rundflügen überm Bodensee und ab 2024 über dem Ruhrgebiet ist hingegen immer nur ein Pilot an Bord. „Bei der Fläche brauchst du nur Plan A oder B. Beim Zeppelin musst du immer Plan A, B, C und D haben“, umschreibt Fritz Günther die Herausforderungen beim Sichtflug. Denn Wetter um- oder überfliegen, wie es ein Airliner kann, funktioniert im Luftschiff nicht: Lediglich 65 km/h Reisegeschwindigkeit und etwa 2500 Meter maximale Flughöhe machen das unmöglich. Dazu sollten drei Mann Personal am Boden am Landeort bereit stehen. Zum Andocken über Nacht ist zusätzlich auch ein Lkw mit einem ausfahrbaren Mast notwendig.

Wie aber wird man überhaupt Zeppelinpilot? Neben fliegerischem Können gehört ein bisschen Glück dazu, Zeppelin NT fliegen zu dürfen. Denn diese Gruppe ist sehr klein: So gibt es deutlich mehr Astronauten als Zeppelin-Piloten. Und man muss selbst als erfahrener Berufspilot auf Flugzeugen oder Helikoptern ziemlich umlernen, um einen Zeppelin zu steuern. Schließlich ist er länger als ein Airbus 340 und bietet dem Wind entsprechend viel Angriffsfläche.

Zeppelin-Reederei in Friedrichshafen bildet ihre Luftschiff-Führer selbst aus

Die Zeppelin-Reederei in Friedrichshafen bildet ihre Luftschiff-Führer deshalb von Beginn an selbst aus. Bewerber müssen bereits eine europäische Berufspilotenlizenz mitbringen, entweder für Flugzeuge oder noch besser für Hubschrauber. Denn Heliflieger sind bereits im Schwebeflug routiniert und Rückwärtsfliegen gewohnt. Aber auch Piloten von der Fläche können bei Eignung umsteigen. Mindestens 450 Flugstunden sind Voraussetzung, um überhaupt eine Chance auf Anstellung zu haben.

Der Zeppelin NT als Schatten auf einem seiner Rundflüge über Essen und Mülheim.
Der Zeppelin NT als Schatten auf einem seiner Rundflüge über Essen und Mülheim. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

Nach der Umschulung fliegt ein frischgebackener Zeppelinpilot erst einmal 150 Stunden unter Aufsicht eines erfahrenen Kapitäns, bevor er alleine mit Passagieren los darf. Vier Männer und eine Frau steuern derzeit im Wechsel die beiden in Friedrichshafen stationierten Zeppeline NT. Im kommenden Jahr kommt ein Zeppelin NT dauerhaft an den Flugplatz Essen-Mülheim. Deshalb werden nun drei neue Piloten ausgebildet, darunter Viktor Schacht aus Saarn.

Die Piloten sind zwischen 28 und 34 Jahre alt, haben zuvor bereits Flugzeuge und Helikopter gesteuert und werden vermutlich ab kommendem Jahr zunächst am Bodensee und später sowohl in Essen/Mülheim als auch Friedrichshafen eingesetzt. Vor wenigen Tagen im Mai haben alle drei bereits die theoretische Prüfung als Berufspiloten für Luftschiffe beim Luftfahrtbundesamt in Braunschweig bestanden.

>> RÜCKBLENDE: Die Geschichte der Zeppeline

Namensgeber Ferdinand Graf von Zeppelin hat die Giganten am Himmel gegen starke Widerstände und massive Rückschläge vor mehr als 100 Jahren entwickelt. 1917 starb der Luftfahrt-Pionier, der als Erfinder des Starr-Luftschiffs mit festem Innenskelett aus Aluminium gilt.

Die nach seinem Tod entwickelten Luftschiffe erreichten in ihrer Blütezeit riesige Ausmaße: Die größten, der 1936 in Dienst gestellte LZ 129 „Hindenburg“ und sein Schwesterschiff LZ 130 „Graf Zeppelin II“, hatten eine Länge von fast 245 Metern und einen Gasinhalt von etwa 190.000 Kubikmetern. Zum Vergleich: Ein moderner Zeppelin NT hat gerade mal 8000 Kubikmeter Gasinhalt.

Das tragische Ende der Hindenburg am 6. Mai 1937 im US-amerikanischen Lakehurst bei New York ist bis heute unvergessen. Kurz vor der geplanten Landung schossen urplötzlich Flammen aus dem Heck des Luftschiffs. Es fing an zu brennen und stürzte ab. 13 Passagiere, 22 Mitglieder der Crew und ein Mann des Bodenpersonals starben, Dutzende weitere an Bord überlebten wie durch ein Wunder.

Damals war die „Hindenburg“ mit dem feuerentzündlichen Gas Wasserstoff gefüllt. Heute fliegen alle Zeppeline NT mit unbrennbarem Helium. Erst 60 Jahre nach diesem Unglück gab es wieder einen echten Zeppelin am Himmel über dem Bodensee zu bestaunen. Im Herbst 1997 startete dieser seine Flugerprobung.

Mit einer Geschwindigkeit von etwa 65 Kilometer in der Stunde ist der Zeppelin NT innerhalb der Aviatik zwar so etwas wie ein fliegendes Mofa, dafür kann er mit vollen Tanks aber bis zu 1000 Kilometer weit fliegen. Im Gegensatz zum Helikopter bleibt er zudem viel länger, nämlich bis 22 Stunden, nonstop in der Luft.

Luftschiff „Theo“ und Mülheim – weitere Berichte: