Mülheim. Mit ihrem digitalen Angebot steht die Grundschule Dichterviertel in der Vorauswahl zum Deutschen Schulpreis. So erreicht sie die Kinder.

Distanzunterricht an Grundschulen: Man hört von Lehrerkräften, die Arbeitsblätter ausfahren wie andere Pizza, von Kindern, die in der Funkstille verschwinden, von Eltern, die abends am Telefon hängen. Stressige Geschichten. Die Grundschule Dichterviertel versucht einen anderen Weg. Mit ihrem digitalen Konzept hat sie es jetzt in die Vorauswahl für den Deutschen Schulpreis geschafft.

Mülheimer Schulleiterin: Vorauswahl schon "eine Riesenleistung"

Dieser angesehene Wettbewerb kommt mit einer Spezialausgabe daher: Gewürdigt werden "innovative Konzepte", die in der Corona-Pandemie entwickelt wurden. Die Mülheimer Grundschule hat in der ersten Runde offenbar einen guten Eindruck hinterlassen. "Überhaupt in die Vorauswahl zu kommen, ist eine Riesenleistung", sagt Schulleiterin Nicola Küppers, voller Stolz auf ihr Team.

Ein gemeinsames Ziel habe das 20-köpfige Kollegium, das verstärkt wird von pädagogischen Kräften etwa in der OGS: "Wir wollen die bestmögliche Schule für unsere Kinder werden." Und das in einem anspruchsvollen bis problematischen Umfeld, denn die Grundschule Dichterviertel ist das, "was man gemeinhin Brennpunktschule nennt", so die Leiterin. Wobei sie den Begriff nicht mag.

Viele Kinder aus finanzschwachen Familien

Von den 190 Kinder, die die Schule an der Bruchstraße in Eppinghofen besuchen, haben knapp 70 Prozent einen Migrationshintergrund, 118 sprechen Deutsch nicht als Erstsprache. "Für die Mehrzahl gilt, dass die Eltern ein stark unterdurchschnittliches Einkommen erhalten und eine hohe Quote SGB-II-Leistungen bezieht", heißt es in der Bewerbung zum Wettbewerb. Doch die Schulleiterin schaut mehr auf die Entwicklung: In den vergangenen Jahren sei dort eine Schwerpunktschule für Inklusion und auch Hochbegabung entstanden. Die Ergebnisse der Lernstandserhebungen seien inzwischen überdurchschnittlich.

Im Gespräch hört man heraus: Das Kollegium will sich auch durch die Pandemie nicht entmutigen lassen. "Das Wichtigste in der Corona-Zeit ist Beziehung", sagt Nicola Küppers, "mit den Kindern in Kontakt zu bleiben." Den Distanzunterricht organisieren sie ohne Arbeitsblätter, ohne dass zu Hause ein Drucker benötigt wird. Und so, dass immer ein Lehrer, eine Lehrerin erreichbar ist.

Distanzunterricht ohne Arbeitsblätter, ohne Drucker

Der Schultag läuft nach einem festen Stundenplan, gegliedert durch drei Videokonferenzen, zu denen sich alle einloggen. Bei Bedarf auch die Eltern. Das beginnt um 8.30 Uhr mit einem virtuellen Morgenkreis für jede Klasse, um 10 Uhr folgt eine Zwischenreflexion, um 13.30 Uhr gibt es eine Abschlussrunde. Zwischendurch arbeiten die Kinder mit Selbstlernbüchern, lösen Aufgaben in Arbeitsheften, "dabei sitzt aber immer eine Lehrkraft im digitalen Raum", berichtet die Schulleiterin. Sie nennen es so: Fusion von Präsenz- und Distanzunterricht.

Viele weitere Elemente umfasst das digitale Lernen der Grundschule Dichterviertel, sogar Sportangebote, freiwillige Aktivitäten, die den Nachmittag im Lockdown füllen. Der Hauptstoff in den zentralen Fächern wurde auf einer digitalen Pinnwand (Padlet) hinterlegt. Sie seien drangeblieben, meint Nicola Küppers, hätten auch im Sommer nicht aufgehört mit dem digitalen Unterricht, ihn parallel laufen lassen, permanent geübt.

Eltern wurden in Kleingruppen geschult

Das Kollegium besteht keineswegs aus lauter Computerfreaks, sondern musste ebenfalls seit dem Frühjahr viel lernen, etwa, wie eine Videokonferenz funktioniert. Auch in der Elternschaft war intensive Nachhilfe vonnöten, um sich im Wirrwarr der Clouds und Plattformen zurechtzufinden. "Wir haben im Sommer fast wöchentlich in kleinen Gruppen Elternschulungen gemacht", berichtet die Schulleiterin.

Stand heute sei, dass 85 bis 90 Prozent der Kinder an den Videokonferenzen teilnehmen. "Und das ist sehr gut für eine Brennpunktschule." Einige müssten sich mit Handys behelfen, räumt Nicola Küppers ein. Doch auch bei der technischen Ausstattung hätten sie erfolgreich aufgerüstet. 32 I-Pads kamen schon vor Corona über eine Spende ins Haus, zehn folgten kürzlich von der Stadt Mülheim. 15 Laptops hätten sie über Labdoo günstig organisiert. Momentan hätten 27 Familien ein Leihgerät zu Hause, fast täglich kämen noch Eltern vorbei, um sich Geräte zu holen.

"Unsere Kinder sind immer benachteiligt - besonders durch Hausaufgaben

"Wir sind weit entfernt von einer Super-Ausstattung", sagt die Schulleiterin, dennoch klingt sie zuversichtlich und traut ihren Schülern eine Menge zu. Über die Aussage, Erstklässler könnten nicht mit digitalen Geräten umgehen, schüttelt sie nur den Kopf: "Natürlich können die das." Und was sie regelrecht aufregt: "Diese Diskussionen über die Pseudobenachteiligung durch digitales Lernen. Unsere Kinder sind immer benachteiligt", sagt Nicola Küppers. "Und besonders durch die Hausaufgabenstruktur im regulären Unterricht."

+++ SCHULPREIS SPEZIAL FÜR DIE CORONA-ZEIT

Der Deutsche Schulpreis 20/21 Spezial wird vergeben "für innovative Konzepte, die Schulen im Umgang mit der Corona-Krise entwickelt haben", heißt es auf der Homepage. Für Ideen, die das Lernen nachhaltig verändern.

Insgesamt haben sich 366 Schulen aller Arten aus allen Bundesländern beworben, davon haben es 121 in die nächste Runde geschafft. Sie werden zu einem digitalen Schulpreis-Camp eingeladen, das Ende Februar stattfinden soll.

Schirmherr des Wettbewerbes ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Sechs Preise à 10.000 Euro werden vergeben. Außerdem bekommen alle nominierten Schulen einen Anerkennungspreis in Höhe von 5000 Euro und werden in das Entwicklungsprogramm des Deutschen Schulpreises aufgenommen.