Mülheim. Gerade noch die Mindeststundenzahl können Mülheims Grundschulen abdecken. Auch weiterführende Schulen suchen verzweifelt qualifizierte Kollegen.

Ob Lehrer und Lehrerinnen am Gymnasium Broich und an anderen Mülheimer Schulen fehlen? Und ob, ruft Schulleiterin Angela Huestegge bei einem kurzen Telefonat am Mittwochmorgen in den Hörer. Sie ist gerade auf dem Weg in den Unterricht. „Es ist super, super eng!“ Ähnliches berichten einige ihrer Kolleginnen und Kollegen bei der Umfrage dieser Zeitung. Vor allem die Suche nach qualifizierten Vertretungskräften bereitet Probleme. Doch Mülheims Schulamtsdirektorin Heike Freitag weiß auch: „In anderen Städten wie Duisburg ist die Situation deutlich schlechter.“

„Schlimmer geht immer“, sagt Freitag und räumt doch unumwunden ein, dass die Lage an den Mülheimer Grundschulen „nicht zufriedenstellend“ ist. Man könne aktuell nur noch „die untere Stundentafel“ erfüllen. Heißt: Das Minimum an vorgeschriebenen Stunden für die Erst- bis Viertklässler. Und das schaffe man auch nur, weil Personal von der einen zur anderen Schule abgeordnet werde. Zwei Kräfte seien sogar nach Duisburg geschickt worden, um dort gegen den Lehrer-Notstand anzukämpfen.

97 Prozent der Stellen besetzt? Nein, die tatsächliche Zahl ist niedriger, sagt die Expertin

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97 Prozent der Stellen an Mülheims Grundschulen sind laut Freitag besetzt, zumindest auf dem Papier. Doch dabei seien keine Langzeiterkrankten und keine Schwangeren mit Beschäftigungsverbot berücksichtigt worden. „Die tatsächliche Zahl ist also geringer.“ Und sie ändere sich Tag für Tag. Die Schulleitungen seien nahezu ständig damit beschäftigt, neue Leute zu suchen. Es werde immer schwieriger, Vertretungskräfte zu finden, vor allem solche, die vollständig ausgebildet sind. „Wir haben schon viele Studenten im Einsatz.“

Grundsätzlich gebe es „zwar ausreichend Stellen, aber eben nicht genug geeignetes Personal“. Heike Freitag appelliert an junge Menschen: „Studieren Sie Lehramt! Es ist ein toller Beruf – und Sie werden gebraucht!“ Gern denkt die Schulamtsdirektorin an Zeiten zurück, in denen auf eine einzige Stelle mal eben 160 Bewerbungen ins Haus flatterten. „Das ist leider schon mindestens zehn Jahre her.“

Vereinzelt muss Unterricht ausfallen: „Mal fällt eine Förderstunde weg, mal eine Sportstunde“

Die Willy-Brandt-Schule ist eine von den Mülheimer Schulen, an denen der Lehrermangel bereits zu realem Unterrichtsausfall führt. „Mal fällt eine Förderstunde weg, mal eine Sportstunde“, fasst Chefin Karin Rinn die Lage zusammen. „Unser Plan ist sehr eng gestrickt.“ Die Kürzungen beträfen viele Kinder und Jugendliche, „aber nicht in dramatischem Umfang“. Corona werde an der Styrumer Schule ebenfalls zum wachsenden Problem. „Bis zu den Ferien hatten wir viel Glück – nun habe ich fast jeden Tag eine Corona-Meldung auf dem Tisch.“ Natürlich falle auch deswegen Unterricht aus.

Neuer Umgang mit Corona bereitet Schulleitern Bauchschmerzen

Immer weniger Kinder und Jugendliche tragen während des Unterrichts Corona-Schutzmasken, berichtet Karin Rinn, Leiterin der Willy-Brandt-Schule. Dabei empfehlen viele Schulleitungen dies; doch es ist mittlerweile eine freiwillige Entscheidung. „Vor den Ferien hat das noch gut geklappt – nun gab es einen Bruch.“ Vor allem in der Oberstufe habe die Bereitschaft abgenommen, so Thomas Ratz, Chef der Gustav-Heinemann-Schule.

Das NRW-Schulministerium hatte festgelegt, dass sich am ersten Schultag alle Schüler in der Schule testen können. Material wurde zur Verfügung gestellt. Zudem haben alle Schüler fünf Selbsttests mit nach Hause bekommen. Wer morgens typische Symptome bemerkt, soll sich damit testen. Ist der Test positiv, ist ein Schnelltest oder ein PCR-Test einer offiziellen Teststation vorgeschrieben. Bei erneut positivem Test, muss sich die Person zehn Tage isolieren. Eine Freitestung nach fünf Tagen ist möglich.

Kindern mit negativem Test am Morgen sollen einen entsprechenden Brief der Eltern mit zur Schule bringen. Kommt das Kind mit Symptomen, aber ohne diesen Brief, können Lehrer einen Test in der Schule anordnen. Thomas Ratz kritisiert trotzdem, dass man „als Schule kaum noch Kontrollmöglichkeiten“ in puncto Corona haben. „Wir haben keinen Überblick mehr.“ Das bereite Bauchschmerzen.

Das größte Problem aber sei, dass es für schwangere Lehrerinnen nur dann eine Vertretung gebe, wenn ein Arzt ein offizielles Beschäftigungsverbot ausgesprochen hat. Sei dies nicht der Fall, müsse die Schulleitung die Entscheidung treffen, ob die Kollegin weiter in der Schule präsent sein muss oder von zu Hause aus arbeiten darf. Werde die Lehrerin nach Hause geschickt, weil die Verantwortung für das ungeborene Kind und die werdende Mutter zu groß ist, stehe man ohne Vertretung da. „Diese Regelung finde ich furchtbar“, sagt Karin Rinn, „darunter leiden alle.“

Drohender Unterrichtsausfall wird durch bezahlte Mehrarbeit der Kollegen ausgeglichen

„Leichte Kürzungen der Stundentafel in einzelnen Jahrgangsstufen“ meldet auch Patrick Rodeck, der seit kurzem das Gymnasium Heißen leitet. Er ist aber zuversichtlich, dass diese Probleme nach den Herbstferien behoben sind, „es laufen Stellenausschreibungen“. Rodeck lobt seine neuen Kollegen: „Das Schuljahr wurde gut vorbereitet.“ In der Innenstadt, an der Karl-Ziegler-Schule, fängt man drohenden Unterrichtsausfall „durch bezahlte Mehrarbeit der Kollegen“ auf, berichtet Chefin Ute Gibbels. Sie selbst habe gerade erst aufgestockt von fünf auf zehn Stunden. Größtes Problem sei dieses: „Wir kriegen unsere Stellen nicht besetzt. Es gibt keine Bewerber.“ Vor allem Fachkräfte seien Mangelware – allen voran in den Fächern Physik, Technik und Informatik.

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Dass es zunehmend schwieriger ist, examinierte Lehrer einzustellen, beklagt auch Jens Schuhknecht, der der Otto-Pankok-Schule vorsteht. Dort habe man aktuell mit „vielen Ausfällen durch Familienplanung“ zu kämpfen. Doch man habe „Glück gehabt“ und alle freien Stellen „mit tollen, engagierten Leuten“ besetzen können. Das sei nicht immer so: „Es melden sich sehr viele Quereinsteiger und Studenten. Die müssen nicht schlecht sein, doch da muss man schon genau hinschauen.“

Schwangere Kolleginnen wollten weiter zur Schule kommen, doch das Risiko war zu groß

Wegen drei schwangerer Kolleginnen muss Claudia Büllesbach, Chefin an der Gesamtschule Saarn, „weit über 70 Stunden“ auffangen. Die Lehrerinnen hätten zwar „gern weiter mitgearbeitet“, aber das sei nicht in Frage gekommen. „Und sie wären ja sowieso für mindestens 14 Tage raus, sobald wir einen Coronafall haben. So kann man keinen Stundenplan machen.“ Auch in Saarn versuche man, die Herausforderung durch Mehrarbeit zu bewältigen, dennoch falle in einzelnen Jahrgangsstufen Unterricht aus: „Fächer wie Religion oder Musik.“ Büllesbach hofft auf neue Stellen zum Stichtag 1. November. Insgesamt hält sie ihre Schule für „gut ausgestattet“.

So bewertet auch Thomas Ratz, Leiter von Mülheims größter Schule, der Gustav-Heinemann-Schule, die Situation. „Auf dem Papier stehen wir ganz gut da“, einzig Sonderpädagogen würden überall fehlen. In Pandemiezeiten aber könne man sich auf nichts verlassen: „Wenn mehrerer Lehrer positiv sind, müssen wir von heute auf morgen wieder improvisieren.“

Manche Mülheimer Schulleitungen sind mit dem Ist-Zustand auch gänzlich zufrieden

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Manche Mülheimer Schulleitungen sind derweil mit dem Ist-Zustand gänzlich zufrieden. So Heike Quednau von der Luisenschule: „Wir haben hier kein Problem, weder mit Lehrermangel noch mit Unterrichtsausfall.“ Ursächlich dafür sei sicher auch, dass Gymnasien oft „etwas privilegiert“ seien. Auch Grit Freiberg-Scheidt, neue Leiterin der Realschule an der Mellinghofer Straße, sagt: „Bei uns ist alles gut, wird sind versorgt.“ Verena Wettmann, die zum neuen Schuljahr Mülheims einzige Hauptschule, die Schule am Hexbachtal, übernommen hat, vermochte zur Personalsituation noch nichts zu sagen. „Ich bin erst ein paar Tage hier, ich arbeite mich gerade erst ein.“