Mülheim. Die Mülheimer Grundschule am Dichterviertel glänzte beim Deutschen Schulpreis 2021. Nun kann sie die vielen Neuanmeldungen kaum noch bewältigen.
In der Grundschule am Dichterviertel gibt es eine grüne Bank, bemalt mit bunten Blumen. Die „Freundschaftsbank“. Sie steht in den Pausen auf dem Hof, und Kinder, die gerade niemanden zum Spielen oder Quatschen haben, können dort Platz nehmen. Höchstwahrscheinlich wird sich jemand zu ihnen gesellen.
Die Bank steht nicht zufällig in dieser Schule. Sie passt zu dem Geist, der hier herrscht, und der in diesem Jahr auf großer Bühne gewürdigt wurde. Niemand soll allein gelassen werden. Erst recht nicht in der Krise. Mit ihrem Modell haben die Mülheimer im Mai den Deutschen Schulpreis gewonnen - dafür, dass sie „Bildungsgerechtigkeit fördern“.
Mülheimer Grundschule ausgezeichnet für ihren Umgang mit der Corona-Pandemie
Der angesehene Wettbewerb fand diesmal als Spezial-Ausgabe statt und würdigte die besten Konzepte zum Umgang mit der Corona-Pandemie. Vor allem Distanzunterricht, so die verbreitete und berechtigte Sorge, verschärft Ungerechtigkeit. Die Mülheimer Grundschule, wo nur wenige Kinder aus finanziell gut gestellten Familien kommen, arbeitet erfolgreich dagegen. Gerade, indem die Eltern eng eingebunden werden.
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So schnell wie möglich hatte das Team auf den ersten Lockdown reagiert, entwickelte Online-Unterricht ohne Arbeitsblätter, nach einem festen Stundenplan, täglich mit mehreren Videokonferenzen, hielt permanent Kontakt zu den Kindern, auch durch virtuelle Freizeitangebote. Die Jury des Deutschen Schulpreises war beeindruckt. In der Laudatio heißt es, in schwerer Zeit seien die Menschen an der Grundschule am Dichterviertel gewachsen.
Online-Preisverleihung durch den Bundespräsidenten
Die Preisverleihung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, am 10. Mai ab 11 Uhr, hätte in anderen Zeiten das Zeug zu einer fröhlichen Feier gehabt. Nun konnten nur ausgewählte Kinder, Gäste und das Kollegium im Gebäude Konfetti werfen. Alle anderen nahmen online teil, jeder immerhin ausgestattet mit einer Tüte, in denen außer Süßigkeiten auch eine Tröte steckte.
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Die neunjährige Naoual durfte den Bundespräsidenten persönlich sprechen: An der Seite von Schulleiterin Nicola Küppers war sie live zugeschaltet und erzählte Steinmeier, wie sie am Leseabend alle gemeinsam eine digitale Pyjamaparty gefeiert haben. Naoul, wie auch ihr Schulkollege Mio und die beiden gewählten Schülersprecher Naha und Maxime, werden als Viertklässler bald die Schule an der Bruchstraße verlassen. An den Schulpreis, dieses gemeinsam erlebte Highlight, werden sie sich immer erinnern, sagen die Kinder.
Südkoreanisches Fernsehteam filmte an der Bruchstraße in Mülheim
Eine große Welle habe der Schulpreis ausgelöst, berichtet Nicola Küppers, viele Anfragen gab es von Zeitungen, Fachblättern, Sendern. Im November war sogar ein Fernsehteam aus Korea an der Bruchstraße, hat dort gedreht. Das Filmmaterial über die ausgezeichnete deutsche Schule sei Teil einer verpflichtenden Fortbildung für südkoreanische Schulleitungen geworden, berichtet Küppers.
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Auch eine Welle von Neuanmeldungen verzeichnet das Team. Knapp 200 Mädchen und Jungen besuchen derzeit die Grundschule am Dichterviertel - weit mehr als die Hälfte sprechen zu Hause eine andere Sprache als Deutsch. Im nächsten Schuljahr werden es an die 230 Kinder sein. „Wir müssen ausbauen“, sagt die Schulleiterin, „und wir müssen wohl auch einzelne Kinder ablehnen.“ Mit großem Bedauern.
Doch auch die preisgekrönte Schule am Dichterviertel und ihre stets tatkräftig voranschreitende Leiterin bleiben von den alltäglichen Unwegsamkeiten nicht verschont. Personalmangel etwa gibt es hier auch. „Rein rechnerisch sind momentan drei Lehrerstellen vakant“, sagt Küppers. Die Leute seien schlicht nicht auf dem Markt. „Wir sind unterbesetzt“, so die Schulleiterin, „aber wir schaffen es ganz gut, das zu kompensieren, so dass kein Unterricht ausfällt und alle Fächer erteilt werden können.“
Im Schnitt 15 Prozent der Kinder in Quarantäne - täglich Videounterricht
Die vierte Pandemiewelle, die besonders Kinder und Jugendliche trifft, erschwert zusätzlich den Lernbetrieb. Immer wieder kommen auch positive Lolli-Tests in die Quere. Im Schnitt der vergangenen Wochen seien stets 15 Prozent der Kinder in Quarantäne gewesen, schätzt die Schulleitern. Sie säßen aber nicht mit ihren Aufgaben allein zu Haus, sondern schalteten sich online ein. „Wir haben ununterbrochen digitale Angebote und täglich Videounterricht.“
366 Bewerbungen, sieben Sieger
Insgesamt hatten sich 366 Schulen um den Deutschen Schulpreis 20/21 Spezial beworben, Thema waren zukunftsweisende Konzepte im Umgang mit der Corona-Pandemie.
Für das Finale waren 18 Schulen nominiert, sieben Preisträger wurden am Ende ausgezeichnet, darunter die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim.
Die Gewinner bekommen jeweils 10.000 Euro. Alle Finalisten können außerdem an einem zweijährigen Schulentwicklungsprogramm teilnehmen
Der Wettbewerb 2022 läuft bereits, die Bewerbungsfrist endet am 15. Februar. Das Motto lautet dieses Mal: „Unterricht besser machen“.
Dass es die Grundschule am Dichterviertel schon beim ersten Lockdown geschafft hat, für jeden Haushalt ein digitales Endgerät zu organisieren, „mit hohem Einsatz und viel Fantasie“, hat auch die Jury des Deutschen Schulpreises in ihrer Laudatio hervorgehoben. Vor diesem Hintergrund kann ein erneuter Lockdown - denkbar allemal - die Schulleiterin nicht schocken. „Ich ertrage alles, was kommt, mit der nötigen Prise Optimismus“, sagt sie.
Wenige Tage vor den Weihnachtsferien gab es eine große Digital-Probe für den Fall der Fälle. Alle Kinder mussten sich einloggen. „Wir haben getestet, ob wir noch auf dem Stand sind“, sagt Küppers. Sie sind es.