Mülheim. Senioren und Digitalisierung: Dass das klappt, beweist eine Mülheimer Einrichtung. Wie sich das Leben der Bewohner durch Technik geändert hat.
Geschwind fährt Johanna Thönneßen mit ihrem Finger über den Bildschirm, dann tippt sie auf ein Symbol und die Karte auf dem Monitor dreht sich um – Treffer! Die 91-Jährige spielt Memory an einem speziellen Computer, der im Foyer des Wohnstiftes Dichterviertel steht. Vor dem Gerät, der modernen Technik hatte die Seniorin keine Scheu, sagt sie, im Gegenteil: „Ich war neugierig drauf und hatte Lust, das kennenzulernen.“ Möglich gemacht hat dieses Kennenlernen, den Schritt in die digitale Welt, ein Projekt, gefördert mit Mitteln der Stiftung Wohlfahrtspflege, das der 32-jährige Roman Panchyrz im Wohnstift Dichterviertel an der Eichendorffstraße umgesetzt hat.
Manche der betagten Mülheimer im Wohnstift waren skeptisch gegenüber dem Internet
Wie in vielen Bereichen habe auch im Seniorenheim die Pandemie wie ein Beschleuniger gewirkt, um die Digitalisierung voranzutreiben, erzählt der 32-Jährige, der beim sozialen Dienst angestellt ist. „Wir haben uns die Frage gestellt: Was ist nützlich für die Bewohner und wie können wir Barrieren abbauen?“ Denn dass mancher der älteren Menschen dem Computer und „diesem Internet“ mit einer gewissen Skepsis gegenüber stand, das will Pflegedienstleiterin Simone Aßmann nicht verschweigen.
Um so schöner sei es jetzt, sagt die 53-Jährige, wenn sie bei ihren Rundgängen durchs Haus registriert, dass sich die Bewohner – darunter auch ehemalige Skeptiker – vor den Monitoren scharen, dort etwa den Wetterbericht oder die Nachrichten abrufen, sich Fotos von einem der letzten Ausflüge anschauen oder eines der Spiele machen. Für die Pflegedienstleiterin war das Anlernen der Bewohner am Computer gerade während der Hochphasen der Pandemie mit Lockdown und Besuchseinschränkungen auch ein Hebel, sie aus der Langeweile, teils sogar aus einer Depression herauszuholen.
Wenn Altenheim-Bewohner am PC sitzen, werden auch kognitive Fähigkeiten trainiert
Nicht nur schnöder Zeitvertreib steht bei dem Projekt unter der Leitung von Roman Panchyrz im Vordergrund, auch die kognitiven Fähigkeiten sollen trainiert werden, damit die grauen Zellen möglichst lange aktiv bleiben. „Das ist das Wichtigste", sagt auch Bewohnerin Johanna Thönneßen.
Verschiedene Optionen konnte das Wohnstift in dem geförderten Projekt, dessen Ergebnisse nun den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner bunter und interessanter machen, ausprobieren. So wurde etwa auch ein Ball getestet, erzählt Panchyrz, über den Volkslieder abgespielt oder Sprichwörter abgefragt werden konnten. „Der war am Anfang der Hit, aber dann ist das Interesse daran abgeflacht.“ Stattdessen haben in allen drei Wohnbereichen die speziellen Computer mit Touch-Screen-Monitor Einzug gehalten, über die sich Neugierige das Wetter, die Nachrichten oder die Uhrzeit anzeigen oder auch vorlesen lassen können. Auch Tablets sind inzwischen allgegenwärtig im Wohnstift Dichterviertel – darüber können die Seniorinnen und Senioren ihre Mahlzeiten auswählen.
Das Bedienprogramm dazu haben die Mitarbeiter des Wohnstiftes mitentwickelt. „Gerade für demente Menschen ist es mithilfe der Fotos von den verschiedenen Speisen einfacher, sich zu entscheiden“, hat Pflegedienstleiterin Aßmann die Erfahrung gemacht. Nicht nur den Bewohnern ist die neue Methode eine Hilfe, auch das Pflegeteam zieht Informationen aus der Auswahl des Einzelnen, registriert etwa wie viele Kalorien der Bewohner zu sich nimmt.
Computer und Apps nutzen die Mitarbeiter des Wohnstiftes auch für Gruppenaktivitäten
Johanna Thönneßen weiß gerade gar nicht mehr genau, was sie fürs heutige Mittagessen ausgewählt hat, doch die 91-Jährige ist überzeugt, dass es ihr schmecken wird: „Ich finde immer was Leckeres.“ Seit beinahe sechs Jahren lebt die Seniorin im Wohnstift Dichterviertel und fühlt sich sichtlich wohl: „Hier gibt es viele Angebote zum Mitmachen.“ Inzwischen eben auch digitale, denn mit Hilfe der speziellen Computer, erklärt Roman Panchyrz, finden auch Gemeinschaftsaktivitäten statt. „Ich projiziere etwa darüber eine App für Gedächtnisspiele auf einen großen Bildschirm, so können alle mitmachen.“
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An der digitalen Technik hat Johanna Thönneßen sogar so viel Gefallen gefunden, dass sie inzwischen ein eigenes Tablet angeschafft – „mit Romans Unterstützung“ – und in der Gemeinde zusätzlich einen Computer-Kursus absolviert hat. Doch so spannend und abwechslungsreich die 91-Jährige die Beschäftigung damit auch findet, bleibt sie der analogen Welt treu: „Ich stricke viel und jeden Sonntag spiele ich mit Bekannten Karten.“
Workshops für Angehörige geplant und Unterstützung durch Ehrenamtliche gewünscht
Die Digitalisierung am Wohnstift Dichterviertel soll weitergehen, blicken Simone Aßmann und Roman Panchyrz in die Zukunft. Als nächstes soll es Workshops für Angehörige geben, die dabei etwa erfahren, wie man mit den Bewohnern übers Smartphone oder Tablet mit Video-Funktion telefoniert.
Zudem würde sich das Team über ehrenamtliche Unterstützung freuen, die den Bewohnern die ersten Schritte im Umgang mit der digitalen Technik zeigt. Projektleiter Roman Panchyrz betont: „Das ist gezielt ein Appell an die Jüngeren, die wie selbstverständlich mit Smartphone und Tablet umgehen.“
Kontakt: 0208/409380