Mülheim. Steigende Preise treffen Mülheims Großbaustelle Haus Gracht. Mit 21,5 Mio. Euro rechnet man nun. „Gott sei Dank ist das Gebäude fast fertig!“

Über dem städtischen Seniorenheim Haus Gracht ragt ein riesiger gelber Kran in den Sommerhimmel. Die Menschen, die hier leben und arbeiten, auch die Nachbarn in Heißen, dürften sich an den Anblick gewöhnt haben. Seit mehr als vier Jahren wird eine veraltete Immobilie abgerissen, umgezogen, neu gebaut. Welche Erschwernisse die Zeit bringen würde, konnte anfangs niemand ahnen.

Das Großprojekt der Mülheimer Seniorendienste wird länger dauern als geplant und wahrscheinlich um rund 50 Prozent teurer werden als ursprünglich veranschlagt. Doch laut Alexander Keppers, Geschäftsführer der städtischen Gesellschaft, ist man noch glimpflich weggekommen. Er sagt: „Gott sei Dank ist das Gebäude fast fertig!“

Mülheimer Haus Gracht: Fertigstellung „nur leicht verzögert“ im Frühjahr 2023

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Die anderen beiden städtischen Seniorenheime in Mülheim stehen schon runderneuert da. Haus Kuhlendahl wurde bereits im Sommer 2012 modernisiert neu eröffnet, die Sanierung von Haus Auf dem Bruch konnte im September 2019 abgeschlossen werden. Haus Gracht sollte eigentlich zum Jahreswechsel 2022/23 komplett fertiggestellt sein, nun nennen die Mülheimer Seniorendienste den 31. März kommenden Jahres als angepeilten Termin. „Trotz Corona-Pandemie und Lieferkettenproblemen ist der Bauzeitenplan nur leicht verzögert“, erklärt Keppers.

Die alltägliche Arbeit sei durch Materialengpässe aber durchaus beeinträchtigt, sagt der Geschäftsführer bei einem Termin vor Ort. Oft hake es bei Kleinigkeiten - er nennt ein Beispiel: Beim Bau der Fassade hätten Winkel gefehlt, „hier lagen die Arbeiten dann acht Wochen brach“.

Gegenüber der Anfangskalkulation Kostensteigerung um 50 Prozent

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Auch die extremen Preissteigerungen am Bau bekommen die Mülheimer Seniorendienste bei diesem Großprojekt zu spüren. Der Chef listet auf: gestiegene Rohstoff-, Logistik- und Lohnkosten sowie Inflationseffekte. Während andere Investoren aber schon komplette Neubauvorhaben auf Eis legen müssen, weil sie unbezahlbar würden, hält sich der Kostensprung beim Haus Gracht nach Einschätzung von Alexander Keppers noch in Grenzen. Momentan rechne man bis zur Fertigstellung mit 21,5 Mio. Euro - verglichen mit der Berechnung aus 2018, als man von 18,55 Mio. Euro ausgegangen war, wäre dies ein Plus von rund 16 Prozent.

Das Altenpflegeheim Haus Gracht in Mülheim: Der alter Verwaltungstrakt wurde abgerissen, ein Neubauteil bereits im März 2021 fertiggestellt. Dort sind  aktuell etwa 100 der insgesamt 160 Bewohnerinnen und Bewohner untergebracht.
Das Altenpflegeheim Haus Gracht in Mülheim: Der alter Verwaltungstrakt wurde abgerissen, ein Neubauteil bereits im März 2021 fertiggestellt. Dort sind aktuell etwa 100 der insgesamt 160 Bewohnerinnen und Bewohner untergebracht. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Gegenüber der ursprünglichen Kalkulation von 2017, mit der die Umbaumaßnahmen auch vom Mülheimer Stadtrat abgesegnet worden waren, droht allerdings eine Verteuerung um mehr als 50 Prozent. Seinerzeit war die Gesamtinvestition auf rund 14 Millionen Euro beziffert worden. Da jedoch die Preisentwicklung gerade erst Fahrt aufnimmt, ist Keppers froh, an der Gracht schon so weit gekommen zu sein. Mehr als 40 verschiedene Fachbetriebe seien hier am Werk - „aktuell würde dieses Projekt wohl 33 Millionen kosten“.

Pflegeheimbewohner leben künftig teurer, aber auch schöner

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Die Mehrkosten könnten größtenteils aufgefangen werden, da eine „Planungsreserve“ zur Verfügung stehe und das Refinanzierungsbudget gestiegen sein. Einen Teil des Geldes holen sich die Mülheimer Seniorendienste bei den Bewohnern ihrer Einrichtungen zurück, die einen Investitionskostensatz zahlen, eine Art Kaltmiete. Für Haus Gracht beträgt dieser Satz momentan 21,79 Euro pro Tag, beziehungsweise 662,85 Euro pro Monat. Er könnte steigen auf 25,50 Euro, damit würde es monatlich für jede Person etwa 113 Euro teurer.

Dafür leben die Seniorinnen und Senioren dann aber auch in neuen, modernen Gebäuden mit 128 Einzel- und nur noch 20 Doppelzimmern. Auch die Grünanlagen wurden frisch gestaltet, ein kleiner Park neu angelegt. Aktuell verfügt Haus Gracht über 160 Pflegeplätze, 168 Plätze sollen es später werden, inklusive zweier Spezialbereiche mit jeweils zwölf Plätzen für stark übergewichtige Personen (Adipositas-Bereich) sowie für jüngere Menschen („Junge Pflege“).

Acht Mietwohnungen entstehen in der oberen Etage

Um den Umbau von Haus Gracht bei laufendem Betrieb zu bewältigen, hat das Ganze 2018/19 mit dem Abriss des alten Verwaltungstraktes zwischen den beiden Gebäudeteilen begonnen. Auf der Fläche wurde ein Neubau errichtet, in den im März 2021 etwa 100 Bewohnerinnen und Bewohner aus dem größeren Altbau gezogen sind. Dieser wird aktuell kernsaniert, und wenn alles glatt läuft, können die vierte und fünfte Etage ab Oktober bezogen werden.

Bei 168 Pflegeplätzen liegt die genehmigte Obergrenze für Haus Gracht. Dies hat zur Konsequenz, dass die obere Etage des modernisierten Hauses künftig nicht mehr für das Altenheim benötigt wird. Hier sollen nach Auskunft der Mülheimer Seniorendienste acht neue Mietwohnungen entstehen, zwischen 35 und 80 Quadratmeter groß und voraussichtlich Mitte 2023 auf dem Markt.

Bald acht Standorte in Mülheim

Die Mülheimer Seniorendienste gGmbH, in Trägerschaft der Stadt Mülheim, sind inzwischen mit sieben Standorten in Mülheim vertreten, vorwiegend rechts der Ruhr.

Sie betreiben drei stationäre Pflegeheime: die Häuser Gracht (aktuell 160, künftig 168 Plätze), Auf dem Bruch (130 Plätze) und Kuhlendahl (85 Plätze).

Hinzu kommen drei Tagespflegeeinrichtungen: „Lebenswege“ in Holthausen, „Königreich Dümpten“ an der Mellinghofer Straße und die Tagespflege Saarn in der ehemaligen Sparkassen-Filiale.

Außerdem gibt es einen ambulanten Dienst, der nach Angaben der Mülheimer Seniorendienste aktuell rund 110 Menschen betreut.

Ein Neubauprojekt läuft an der Möllhofstraße in Dümpten: Dort soll bis voraussichtlich Ende 2023/Anfang 2024 ein Haus für Betreutes Wohnen mit 33 Appartements entstehen.

Am Ende übrig bleibt ein Altbautrakt, dem Keppers „totale Baufälligkeit“ bescheinigt. Ein Abriss empfehle sich daher, und theoretisch könnte hier ein neues Heim entstehen, mit 80 zusätzlichen Pflegeplätzen. Angesichts der demografischen Entwicklung sei der Bedarf sicher da, meint der Chef der Mülheimer Seniorendienste. „Doch angesichts der aktuellen Baukosten ist noch nicht entschieden, was hier passiert.“

So soll Haus Gracht aussehen, wenn alles fertig ist. Was mit dem maroden Altbau (hinten) passiert, der dann nicht mehr gebraucht wird, ist noch offen. Abriss und Neubau könnten in der aktuellen Situation extrem teuer werden.
So soll Haus Gracht aussehen, wenn alles fertig ist. Was mit dem maroden Altbau (hinten) passiert, der dann nicht mehr gebraucht wird, ist noch offen. Abriss und Neubau könnten in der aktuellen Situation extrem teuer werden. © Mülheimer Seniorendienste