Mülheim. Ein 500-Euro-Outfit durften sich Mülheimer Seniorinnen aussuchen. Ohne Zeitstress. Auf dem Laufsteg gab es zehn Siegerinnen, teils am Rollator.
Mal 500 Euro geschenkt bekommen, einfach so, und ein schrilles Auto gestellt, samt Fahrer. Dann zur Boutique des Vertrauens kutschiert werden und nach Herzenslust einkaufen. Am Ende mit dem neuen Outfit auf dem Laufsteg punkten. Fans der Vox-Sendung „Shopping Queen“ dürfte dieser Ablauf vertraut sein.
Die Marketing-Abteilung des katholischen Konzerns Contilia hat sich die Idee der beliebten Styling-Doku geschnappt und daraus die neueste Aktion für Bewohnerinnen ihrer Seniorenheime gemacht: „Shopping Star Ü 80“. Auch zwei Frauen aus Mülheim waren dabei, haben sich neu eingekleidet und bei einer glanzvollen Modenschau auf den Catwalk gewagt.
Auch zwei Mülheimer Seniorinnen traten als Models auf
Das Mode-Event setzt eine Reihe aufwändiger Aktionen fort, mit denen die Contilia alte Menschen in Szene setzt: Filmdarsteller, Tänzerinnen oder Sänger waren sie bereits, nun sollten sie zu Models werden, zu einem individuellen Motto den passenden Look kreieren.
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Auf den Vier-Stunden-Stress, der jüngere „Shopping Queens“ ins Schwitzen bringt, wurde aus Rücksicht auf die körperliche Verfassung der Seniorinnen verzichtet: „Sie hatten alle Zeit der Welt, ihr Outfit zu finden“, erklärt Katja Grün, Marketing-Leiterin der Contilia, die die Aktionen seit Jahren konzipiert und begleitet. „Mal wurde zwischen Kleiderständern Kaffee getrunken, mal kehrte man zwischen Juwelier und Schuhgeschäft beim Italiener ein.“
Roter Teppich für die „Shopping Stars“ lag in einer Kirche
Es ging darum, den Frauen einen schönen Tag zu schenken und später einen Laufsteg-Auftritt. Showtime war vor reichlich Publikum in der Friedenskirche in Essen-Dellwig, wo für die „Shopping Stars“ ein roter Teppich ausgerollt war. Im Altarraum stand der Jurorentisch, besetzt mit Tanzschul-Inhaber Thomas Püttmann-Lentz, Kosmetikerin Cathleen Enaux und Eva Benninghoff, die in Mülheim-Heißen die Boutique „Mode & Home“ betreibt und nach einer Shoppingtour als Fachfrau gewonnen wurde.
Damen aus zehn verschiedenen Seniorenheimen machten mit, wobei die Mülheimerinnen noch zu den Jüngeren gehörten: Monika Paul aus dem Hildegardis Quartier in Broich ist 78 Jahre alt, Ursula Düsing aus dem Christophorus Quartier erst 73. Sie musste sich allerdings am Rollator durch den Modeladen arbeiten, wie die kleine Filmdoku zeigte, die vor dem Auftritt jeder Teilnehmerin lief. Katja Grün hat die Shoppingtouren im Spätsommer / Herbst 2021 mit der Kamera begleitet.
Pflegeheim-Bewohnerin kleidete sich in einer Heißener Boutique neu ein
Für Ursula Düsing hieß das Motto „Auf Tuchfühlung“, und es wurde im Modeladen von Eva Benninghoff mit einfühlsamer Beratung umgesetzt - Hose, Shirt, Jäckchen in Naturtönen zu einem Halstuch mit Leopardenprint. Frisch frisiert, zum pumpenden Disco-Klassiker „Le Freak“, gestützt von ihrer Bekannten Claudia Kowall ging es dann auf den roten Teppich - sichtlich anstrengend für die pflegebedürftige Dame, der rasch ein Sessel geholt wurde, und sicher auch eine Überwindung. „Ich steh’ gar nicht so gerne im Mittelpunkt“, sagte sie später. Doch es war für sie ein bewegendes Erlebnis.
Seit jeher Modefan ist Monika Paul, die im Video verrät: „Ich habe mich früher gerne schick gemacht, wenn ich ausgegangen bin.“ Handtasche, Schmuck, schöne Schuhe… Bei der Modenschau der „Shopping Stars Ü 80“ trägt sie dann auch schwarze Stiefeletten mit Keilabsatz - eindeutig die höchsten Hacken aller Teilnehmerinnen.
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Die Mülheimerin war in Begleitung ihrer Schwiegertochter Nicole Bertram auf Modetour in Saarn. Angebrochen wurden die 500 Euro bei Eva K. an der Düsseldorfer Straße, wo sich die 78-Jährige eine schwarze Umhängetasche aussuchte. Danach kehrten die Frauen im Modehaus Von Drathen ein, wo sich Juniorchef Marten von Drathen der Kundin annahm. In die Tüte wanderten unter anderem: eine schwarze Stretchhose mit tropischem Pflanzendruck, eine pinkfarbene Steppjacke und eine schwere, silberfarbene Gliederkette. Der Geschäftsmann legte noch eine Flasche Prosecco drauf.
Alle zehn Teilnehmerinnen wurden als Siegerinnen gekrönt
Und die Sektlaune hat offenbar ein halbes Jahr gehalten: Zum „Shoop Shoop Song“ von Cher, an der Hand ihrer Schwiegertochter, tänzelte Monika Paul durch die Party-Kirche. Heute eine Shopping-Königin ... und zum Finale auch mit Krönchen. Nicht eine einzige, sondern jede der zehn Seniorinnen wurde als Siegerin gekürt. Gewinnerinnen sollten alle sein, das war von Anfang an klar.
Mitgeklatscht, mitgesungen, mitgefühlt haben die Gäste in der Friedenskirche, ganz überwiegend weibliches Publikum, darunter viele Pflege- und Betreuungskräfte aus den Heimen. Doch die ausgelassene Stimmung, der liebevoll gestaltete Rahmen, die unerschütterliche Lebensfreude der Teilnehmerinnen und die Komplimente der Jury konnten nicht verbergen, dass das Alter auch eine harte Prüfung ist.
Eine Teilnehmerin verstarb kurz nach der Shoppingtour
Viele „Shopping Stars“ mussten gestützt werden, um die drei Stufen aufs Podest zu bewältigen. Einer demenzkranken Dame, die im Herbst noch auf Einkaufstour war, geht es inzwischen nicht mehr gut genug, um der Modenschau beizuwohnen. Sie fehlte. Eine weitere Teilnehmerin sei kurz nach dem Modebummel leider verstorben, berichtet Katja Grün.
Nächstes Projekt könnte ein Comic sein
Mit originellen Aktionen für die Bewohnerinnen und Bewohner ihrer Altenheime geht die Contilia Pflege und Betreuung GmbH seit Jahren immer wieder an die Öffentlichkeit.
Den Auftakt machte 2014 ein Foto-Kalender, für den die Seniorinnen und Senioren berühmte Filmszenen nachstellten.
Anschließend gab es unter anderem einen Tanzwettbewerb im Essener GOP-Varieté, ein Chor-Festival in der Bochumer Jahrhunderthalle und den Film „Das ist doch kein Leben in Mantua“ - eine Romeo-und-Julia-Geschichte mit einem hochbetagten Liebespaar.
Nach dem „Shopping Star Ü80“ ist schon die nächste Idee geboren: „Wir möchten mit unseren Bewohnern ein Comicheft machen“, erklärt Katja Grün, Marketing-Leiterin der Contilia, die bisher alle Projekte organisiert hat.
Das katholische Unternehmen betreibt 14 Senioren-Pflegeheime in Essen, Mülheim, Duisburg, Gevelsberg und Schwelm. In Mülheim gehören dazu: das Christophorus-Quartier und das Hildegardis-Quartier in Broich, Engelbertus in Eppinghofen und das Franziskushaus in der Stadtmitte.
Dagegen hat die Mülheimer Teilnehmerin Monika Paul eine schöne, hoffnungsvolle Geschichte zu erzählen: Sie wohnt neuerdings nicht mehr im Broicher Christopherus-Quartier, sondern ist zu ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter gezogen. Vor etwa dreieinhalb Jahren, nach ihrer schweren Gehirn-Operation, schien das undenkbar. „Damals ging es ihr sehr schlecht“, erinnert sich Nicole Bertram, „aber im Heim wurde sie so gut aufgepäppelt, dass wir sie jetzt endlich zu uns holen konnten.“ Mit im Gepäck war das Outfit der herbstlichen Shopping-Aktion. Die pinkfarbene Steppjacke gehört längst zu Monika Pauls Lieblingsstücken.