Mülheim. Die Polizei zählt 2022 mehr Straftaten in Mülheim. Kinder- und Jugendgewalt nimmt zu. Auf offener Straße passiert weniger. Eine sichere Stadt?
Die Zahl der Straftaten in Mülheim ist 2022 erneut angestiegen, um rund 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, auf insgesamt 10.862 Fälle. Der Sprung ist minimal, verglichen mit den Zahlen für ganz NRW, die um 13,7 Prozent hochgeschnellt sind, auch verglichen mit der Nachbarstadt Essen (plus 6,2 Prozent). Kleinschrittig nach oben bewegt sich die Aufklärungsquote in Mülheim: Sie liegt jetzt ziemlich genau bei 50 Prozent.
Hinter diesen Eckdaten, die am Dienstag mit der Kriminalitätsstatistik 2022 vorgestellt wurden, verbergen sich vielfältige Delikte und Entwicklungen. Einige machen der Polizei große Sorge, etwa die Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche Gewalttäter oder -opfer werden. Auf anderen Feldern bewegt sich Erfreuliches. Generell bewertet der neue Polizeipräsident Andreas Stüve Essen wie Mülheim als relativ sichere Städte und empfiehlt einen Zehnjahresrückblick (siehe Grafik unten): Verglichen mit 2012 sind die Kriminalitätszahlen deutlich gefallen.
Gewaltkriminalität in Mülheim um fast 30 Prozent gestiegen
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Gewaltdelikte sind immer nur ein sehr kleiner Ausschnitt der Gesamtkriminalität - im Vorjahr betrug ihr Anteil in Mülheim rund 3,5 Prozent. Doch sie stehen häufig im Fokus, wenn besonders brutale Vorfälle die Stadt erschüttern - beispielsweise im August 2022 die fast tödliche Messerattacke auf eine 81-jährige Mülheimerin vor einem Kiosk in Dümpten. Insgesamt ist die Gewaltkriminalität in Mülheim 2022 erheblich gestiegen, um 29,6 Prozent auf 473 aktenkundige Fälle.
Jeweils etwa ein Drittel der Tatverdächtigen (32,4 Prozent) beziehungsweise der Opfer von Gewalttaten (33,4 Prozent) in Mülheim waren Kinder, Jugendliche oder Heranwachsende unter 21 Jahren. Im Jahr zuvor betrug ihr Anteil jeweils etwa ein Viertel. Speziell bei Raubüberfällen stellt die Polizei in Essen und Mülheim eine „beunruhige Entwicklung“ fest, wie Ralf Wagener, Leiter der Direktion Kriminalität, vorträgt: Immer mehr solcher Taten würden von Unter 21-Jährigen verübt. Die Gründe? „Hier stellt sich auch die Frage des Respekts, des Umgangs miteinander und des Anspruchsdenkens von Kindern und Jugendlichen.“
Herkulesaufgabe: der Kampf gegen Missbrauch und Kinderpornografie
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Sehr oft werden Kinder auch Opfer, besonders wenn es um verbotene Pornografie oder sexuellen Missbrauch geht. Seit November 2021 geht die Polizei Essen/Mülheim diesen Bereich mit einer speziellen BAO (Besondere Aufbauorganisation) an. Entsprechend ihrer gewaltigen Aufgabe trägt sie den Titel „BAO Herkules“: 2022 wurden insgesamt 166,6 Terabyte an Daten ausgewertet. Zunächst auf ein Jahr befristet, sei die Tätigkeit der BAO verlängert worden, teilte Ralf Wagener mit. Leider sei es so: „Je mehr sie ermittelt, desto mehr tritt zu Tage.“ Als Erfolg wertet der Direktionsleiter Kriminalität, dass oft sehr kurzfristig Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt und Wohnungen Verdächtiger kontrolliert werden können. „Wenn wir schnell reagieren, können wir sicher sein, dass dort nichts mehr läuft.“ So schütze man Opfer. Kinder.
Sexueller Missbrauch von Kindern wurde in Mülheim 2022 in 41 Fällen aufgedeckt, das sind zwölf Fälle mehr als 2021, ein Anstieg um 41,4 Prozent. Insgesamt hat es in Mülheim im Vorjahr 201 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gegeben (plus 1,5 Prozent), fast 89 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich. Bei den Opfern waren 59 Prozent jünger als 21 Jahre, bei den Tatverdächtigen rund 40 Prozent. Relativ hoch liegt in diesem Bereich die Aufklärungsquote mit knapp 80 Prozent, sie betrug 2021 allerdings noch rund 85 Prozent.
Enkeltrick & Co.: Weniger Fälle, aber erschreckend oft erfolgreich
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Ältere Menschen sind eher von Betrugsdelikten wie dem berüchtigten Enkeltrick betroffen, bei denen die Täter (Anrufer) oft aus dem Ausland agieren. Diese Straftaten sind laut Statistik stark rückläufig: In Essen und Mülheim verzeichnete man 2022 einen Rückgang von 69,6 Prozent. Entwarnung gibt die Polizei jedoch nicht: „Die wenigen Taten führen überraschend oft zu großem Erfolg“, berichtet Ralf Wagener. „Die Gesamtzahl nimmt ab, aber die Vehemenz ist erschreckend.“ 2022 wurden in Mülheim durch Betrugsarten zum Schaden älterer Menschen insgesamt 195.292 Euro ergaunert.
Wohnungseinbrüche hat es in Mülheim 2022 wieder deutlich häufiger gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr ist ihre Gesamtzahl um 44 auf 371 Fälle gestiegen. Allerdings mit einer Besonderheit, auf die die Polizei hinweist: Sehr häufig bleibt es beim Versuch. So sind in Mülheim 42 Prozent der Wohnungseinbrüche gescheitert, oft wegen wirksamer Sicherheitsvorkehrungen. Dies zu wissen, sei wichtig für das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, so der Polizeipräsident. Etwas mehr Ladendiebstähle hat es im Vorjahr in Mülheim gegeben: insgesamt 463 (plus 4,3 Prozent). Rund 91 Prozent der Taten wurden aufgeklärt.
Polizei verzeichnet wesentlich mehr Drogenkriminalität in Mülheim
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Aktuelle Zahlen gibt es auch zur Rauschgiftkriminalität, die 2022 in Mülheim aufgrund tragischer Todesfälle unter Jugendlichen stark im Blickpunkt stand. Bekannt wurden in Mülheim im Vorjahr 515 Straftaten, die mit Drogen zusammenhängen (plus 64 Fälle). 93,8 Prozent konnten aufgeklärt werden.
Großen Raum in der täglichen Polizeiarbeit - und in der Statistik - nimmt die Straßenkriminalität ein, wozu unter anderem Handtaschenraub, Auto- oder Fahrraddiebstahl, exhibitionistische Handlungen, Sachbeschädigungen im Freien oder Taschendiebstahl gehören. Diese Delikte machten in Mülheim im Vorjahr 18,2 Prozent der Gesamtkriminalität aus. 1914 Fälle hat es gegeben, das sind 15,9 Prozent weniger als 2021. Und auch hier waren wieder viele Kinder und Jugendliche beteiligt: 34,6 Prozent der Tatverdächtigen waren jünger als 21 Jahre, ebenso 38 Prozent der Opfer.
Die Polizei Essen/Mülheim veröffentlicht die jährliche Kriminalitätsstatistik auf ihrer Website. Dort finden sich auch die aktuellen Zahlen für 2022.