Mülheim. Ein Sohn ist Polizist, einer Banker: Über den Enkeltrick war eine Mülheimerin (81) aufgeklärt. Doch dem Druck des Täters hielt sie nicht stand.
Die 81-Jährige hätte ihren eigenen Fall vorher nachlesen können: In diversen Blaulichtmeldungen der jüngeren Vergangenheit taucht er genau so auf, der Enkeltrick, nach bekanntem Muster. Die Seniorin, die in Mülheim-Broich wohnt, war besonders gut vorgewarnt: Einer ihrer Söhne arbeitet bei der Polizei, der andere bei der Sparkasse, lange Jahre in Mülheim.
„Wir haben häufiger darüber gesprochen“, sagt der Bankkaufmann, „und meine Mutter hat mehrfach gesagt, wie schlimm diese Täter vorgehen.“ Jetzt weiß die Familie es selber, „wie perfide diese Kriminellen arbeiten, welche Knöpfe sie drücken, um rationales Handeln auszuschließen“. Die 81-Jährige war kurz davor, einen fünfstelligen Kredit aufzunehmen. Damit andere die Gefahr erkennen, möchte der Sohn erzählen, was am vergangenen Montag geschah.
„Tödlicher Verkehrsunfall“: Schockanruf setzt Mülheimer Seniorin unter Druck
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Die Mutter lebt alleine, mittags klingelte das Festnetztelefon. „Der Anruf startete mit der weinerlichen, verbitterten Stimme eines Mannes“ – dieser Mann sollte einer ihrer Enkel sein. Die Mülheimerin hat drei, welcher jammert da? „Der Name wurde ihr quasi in den Mund gelegt, sie begann mit dem ältesten, und der war es dann angeblich.“ Viel erklären konnte die weinerliche Stimme nicht, „sie wurde schnell unterbrochen von einer anderen, sehr bestimmt klingenden Männerstimme, die den Sachverhalt erklärte“.
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Der heulende Enkel habe einen Verkehrsunfall verschuldet, bei dem eine junge Mutter mit zwei Kindern tödlich verletzt wurde. Ihm drohe jetzt Untersuchungshaft, es sei denn, die Großmutter zahlt eine Kaution. Eigentlich seien 50.000 Euro fällig, man habe jedoch mit der Staatsanwaltschaft verhandelt, sie müsse nur 20.000 Euro zahlen.
Verstorbener Ehemann war Polizist – Anrufer klang fachlich geschult
„Meine Mutter kann einordnen, ob jemand laienhaft klingt oder fachlich geschult spricht, vom ,Unfallopfer’, von ,Geschädigten’“, sagt der Sohn. Ihr verstorbener Ehemann war Polizeibeamter. Der Anrufer wirkte auf sie glaubwürdig, professionell. Das Geld sollte in kürzester Zeit aufgetrieben werden, die 81-Jährige machte sich eilig auf den Weg. Vorher gab sie dem „Polizisten“ noch ihre Handynummer.
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Dieser legte mit freundlichen Worten auf, und prompt klingelte das Handy. Die Seniorin nahm an und blieb fortan mit dem Täter im Gespräch. Beim Anziehen der Schuhe, der Jacke, beim Fußweg über die Schlossbrücke in die Mülheimer Innenstadt, beim Betreten der Sparkassen-Hauptstelle am Berliner Platz, beim Gespräch mit der Mitarbeiterin: „Sie hatte die ganze Zeit das eingeschaltete, verbundene Handy in ihrer Handtasche“, berichtet der Sohn.
Täter sitzen oft in ausländischen Callcentern
Mit einiger Wahrscheinlichkeit saß der falsche Polizist, der akzentfrei Deutsch sprach, sehr weit weg. „Die Täter agieren häufig aus Callcentern im Ausland“, heißt es im Kriminalitätsbericht 2021 der Polizei Essen/Mülheim. Profis, die darauf spezialisiert sind, ältere Menschen anzurufen und ihr Schauspiel abzuspulen. Die Polizei schreibt weiter: „Sie nutzen das sogenannte ,Call-ID-Spoofing’, welches ihnen die Anzeige einer frei wählbaren Telefonnummer im Display des Angerufenen mittels Internettelefonie ermöglicht.“ Die Täter seien „organisierte Banden mit festen Aufgabenverteilungen“. Jemand muss schließlich das abgehobene Bargeld, die zusammengepackten Wertsachen am Wohnort der Opfer entgegennehmen.
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Dass es im Fall der Broicherin nicht so weit kam, lag an der Höhe der geforderten Summe. Um sofort an 20.000 Euro zu kommen, hätte sie einen Privatkredit aufnehmen müssen. „Das war letztendlich unser Glück“, sagt der Sohn. Denn die Sparkassenmitarbeiterin erkundigte sich, wofür die langjährige Kundin das Geld braucht, wies darauf hin, dass man für Kreditwünsche eigentlich einen Termin braucht, spürte wohl auch, dass etwas nicht stimmt. Letztlich erklärte die 81-Jährige dem unbekannten Mann am Handy, dass sie das Geld nicht so schnell besorgen könne, beendete das Gespräch, ging nach Hause.
Echter Enkel saß nicht in U-Haft, sondern beim Friseur
„Meine Mutter war aber immer noch völlig aufgelöst und überzeugt, dass ihr Enkel in einer Notsituation steckt“, berichtet der Sohn, den seine ehemaligen Sparkassenkollegen inzwischen alarmiert hatten, der seine Mutter telefonisch erreichte. Erst als die Schwiegertochter bei ihr war, als sie gemeinsam den Enkel kontaktierten – per Videocall – wurde ihr klar, dass sie auf Kriminelle hereingefallen war. Der älteste Enkel saß übrigens nicht in U-Haft, sondern beim Friseur, „und war ziemlich perplex“.
Der Sohn sagt: „Für mich ist es ein sehr schlimmes Zeichen, dass auch fitte alte Menschen durch psychologische Finessen so getriggert werden können.“ Seine Mutter kam noch glimpflich weg. Zur selben Zeit am Montagmittag stellte eine Seniorin in Menden-Holthausen nach einem Schockanruf eine Tasche voller Wertsachen vor ihr Haus. Ein VW fuhr vor, die Tasche ist weg.