Essen/Düsseldorf. 2022 gab es deutlich mehr Straftaten. Das geht aus der Kriminalitätsstatistik des Landes NRW hervor. Zudem wurden weniger Taten aufgeklärt.

Nach sechs Jahren rückläufiger Kriminalität ist diese im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen erstmals wieder gestiegen. Das NRW-Innenministerium verzeichnete einen deutlichen Anstieg der registrierten Straftaten um 13,7 Prozent auf 1,37 Millionen. Damit wurde das Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 überschritten. „Das ärgert mich“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag in Düsseldorf, als er die neue Kriminalitätsstatistik vorstellte.

Viel mehr Diebstähle als in den Vorjahren

„Wir sehen einen Pendeleffekt nach der Zeit des Lockdowns, aber in manchen Bereichen auch eine Überkompensation“, sagte Reul. Der Dauerkrisen-Modus aus Pandemie, Krieg und Inflation habe viele Menschen egoistischer und gefrusteter gemacht. Das Aggressionspotenzial sei gestiegen. „Ich glaube, das spüren wir alle. Der Ton ist rauer geworden.

Der Anstieg ist zu einem erheblichen Teil auf vermehrte Diebstähle zurückzuführen. Diese stiegen um rund 100 000 oder 23 Prozent auf fast eine halbe Million. Reul vermutete als Ursache finanzielle Nöte durch die Inflation. Die Aufklärungsquote sank leicht auf 51,9 Prozent.

Kriminalität in NRW: Gewalt nimmt zu

Die Gewaltdelikte nahmen aber ebenfalls zu. Körperverletzungen stiegen um 24 Prozent auf 142 000 Fälle, die Zahl der Raubüberfälle um 37 Prozent auf mehr als 11 000 Fälle. Die Fälle von Mord und Totschlag stiegen ebenfalls deutlich um 23 Prozent auf 380 an, es blieb aber in den meisten Fällen - fast 300 - beim Versuch. Die Fälle von häuslicher Gewalt nahmen um 9,5 Prozent zu.

Angriffe auf und Widerstand gegen Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr stiegen mit 9600 registrierten Fällen auf ein Zehn-Jahres-Hoch.

Weniger Fälle von Straftaten mit Messern

Die Zahl der Straftaten mit Hilfe des Internets stiegen um 21 Prozent. Oft handelt es sich dabei um Betrug oder Beleidigungen.

Rückläufig waren die Messer-Straftaten um 4,7 Prozent auf knapp 4200. Der sexuelle Kindesmissbrauch stagnierte, die Zahl der Fälle von Kinderpornografie nahm leicht ab.

Polizei NRW: Mehr Kinder- und Jugendkriminalität verzeichnet

„Da draußen im Land hat sich etwas verändert. Schönreden hilft da nicht. Mich besorgt der Anstieg im Bereich Kinder- und Jugendkriminalität besonders“, sagte Reul. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der tatverdächtigen Kinder um 41 Prozent.

„Etwas Grundsätzliches ist ins Wanken geraten: Haltung, Wertschätzung, Respekt“, sagte Reul. Die Kriminalität stieg allerdings von einem niedrigen Niveau: 2021 war sie auf ein 35-Jahres-Tief gefallen.

Gewerkschaft fordert Neuausrichtung der Polizei

Die Zahlen seien „kein Ruhmesblatt für den Innenminister“, sondern ein unüberhörbarer Weckruf für die Landesregierung, sagte die innenpolitische Sprecherin der SPD, Christina Kampmann. „Ob sich die aktuellen Entwicklungen dabei hauptsächlich durch Corona-Effekte erklären lassen, wird sich noch zeigen müssen.“ Es entstehe der Eindruck, dass NRW in der Kriminalitätsbekämpfung zurückgefallen sei.

Die Gewerkschaft der Polizei forderte sogar eine strategische Neuausrichtung der Polizei. Ohne diese werde sich die Kriminalität nicht zurückdrängen lassen. Zweistellige Zuwachsraten bei den im öffentlichen Raum begangenen Straftaten seien mehr als ein Alarmsignal und trügen nicht zur Steigerung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung bei.

Der personelle Wiederaufbau der Polizei müsse beschleunigt und die Probleme bei der Nachwuchsgewinnung überwunden werden. „Wir brauchen nicht nur eine Stärkung der Kommissariate, sondern auch der Wachen und eine größere Präsenz auf der Straße“, fordert GdP-Landeschef Michael Mertens. (dpa)