Mülheim. Dokumentarfilmer Marcel Kolvenbach hat das Schicksal des Mülheimer Juden Fritz Kann und dessen Familie verfilmt. Zur Premiere kommen Nachfahren.
Fritz Kann war einer von 270 Mülheimer Juden, die ab 1941 gen Osten in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten deportiert wurden und dort ermordet wurden. Der Enkel seiner Frau Lina, der 1969 geborene Dokumentarfilmer Marcel Kolvenbach, hat ihm und seinen jüdischen Leidensgenossen den 100-minütigen Film „Auf der Suche nach Fritz Kann“ gewidmet, der am 16. Januar um 19.30 Uhr in Mülheims Rio-Kino zu sehen sein wird.
Hier schließt sich ein historischer Kreis. Denn dort, wo seit 2009 das Medienhaus mit dem Kino Rio steht, stand bis zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 die Synagoge der Jüdischen Gemeinde. Deshalb heißt der ehemalige Viktoriaplatz heute Synagogenplatz oder Platz der ehemaligen Synagoge.
Mülheimer Juden: „Sie wurden über Nacht zu Fremden im eigenen Land gemacht“
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„Sie wurden über Nacht zu Fremden im eigenen Land gemacht, enteignet und ausgebürgert. Und am Ende mussten sie sogar ihre Deportation ins Vernichtungslager mit dem Kauf einer Fahrkarte selbst zahlen“, sagt Kolvenbach über Fritz Kann und seine jüdischen Glaubensgenossen, die sich zuerst als Deutsche sahen. Die rund 650.000 jüdischen Staatsbürger im Deutschen Reich des Jahres 1933 waren trotz eines schon lange vorher vorhandenen Antisemitismus gesellschaftlich ebenso gut integriert wie die damals rund 700 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Mülheims.
Als die Synagoge auf dem Viktoriaplatz 1907 eingeweiht wurde, sprach die Mülheimer Zeitung von einer „Zierde der Stadt“. 31 Jahre später sollte diese Zierde der Stadt in den Flammen des Hasses untergehen, angesteckt vom damaligen Feuerwehrchef Alfred Freter.
Zuletzt war Fritz Kann in einem „Judenhaus“ am Mülheimer Scharpenberg interniert
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Diesen Flammen des gewaltbereiten und menschenverachtenden Hasses sollte auch Fritz Kann zum Opfer fallen. An ihn und seine Familie erinnern seit dem 4. Mai 2022 Stolpersteine vor seinem Elternhaus an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße 73. Dort betrieben seine Eltern Simon und Lina Kann eine Metzgerei. Am 31. Dezember 1898 geboren, wuchs Fritz Kann mit sechs Geschwistern auf und besuchte die heutige Karl-Ziegler-Schule. Seine Schwestern Selma und Jannette besuchten die Luisenschule. 1927 heiratete Kann seine evangelische Frau Christine Caroline Kremer. Die Ehe wurde 1941 von Staats wegen geschieden, weil die sogenannten Nürnberger Rassegesetze aus dem Jahr 1935 sogenannte Mischehen zwischen Christen und Juden verboten.
Zuletzt in einem „Judenhaus“ am Scharpenberg interniert, wurde Fritz Kann mit 60 anderen Mülheimer Juden am 22. April 1942 mit der Reichsbahn ins polnische Izbica deportiert, wo sich seine Spur verliert. Seine letzte Mülheimer Meldekarte weist ihn als Arbeiter aus und erklärt ihn am 31. Dezember 1945 für tot.
Verwandte von Fritz Kann kommen zur Kino-Premiere in Mülheims „Rio“
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„Wir sehen überall, dass Hass, Gewalt, Diskriminierung und Rassismus auch heute nicht überwunden sind“, sagt Annett Fercho. Über die Mitarbeiterin des Stadtarchivs, die ihn seit 2018 mit ihren Recherchen unterstützt und ihn in Kontakt mit Berliner Verwandten seiner Großmutter Lina Kann zusammengebracht hat, sagt Kolvenbach: „Ohne sie wäre mein Film nicht möglich geworden!“
Fritz und Lina Kanns Berliner Verwandte, Elke Tischer und Hans-Joachim Gutmann, die auch schon die Verlegung der Stolpersteine für Fritz Kann, seine Schwester Jannette Gutmann, seine Mutter Lina und seine Neffen Hans, Fritz und Kurt begleitet haben, werden nicht nur bei der Kino-Premiere im Rio, sondern auch bei dort geplanten Schulaufführungen für Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler der Luisenschule, des Gymnasiums Heißen, des Gymnasiums Broich, der Gesamtschule Saarn und der Gustav-Heinemann-Schule als nachgeborene Angehörige und Zeitzeugen mit dem Filmemacher und der Stadtarchivarin Rede und Antwort stehen.
Diskriminierung, Rassismus, Gewalt und Vorurteile: Thema für die Schulen
„Das ist kein Film, nach dem man einfach gut unterhalten ist. Da wird es sicher Gesprächsbedarf geben. Und ich würde mich darüber freuen, wenn mein Film dazu motivieren könnte, sich selbst auf die Spurensuche nach der eigenen Familiengeschichte zu begeben“, sagt Kolvenbach, der auch aktuelle und investigative Dokumentarfilme für das öffentlich-rechtliche Fernsehen dreht. Ihm war wichtig, „das Schicksal des Fritz Kann und seiner Familie, die zum Teil ermordet wurde und zum Teil durch Flucht aus Nazi-Deutschland in Argentinien und Schottland überleben konnte, von einer politischen auf eine persönliche und biografische Ebene zu heben, um es vor allem menschlich und emotional nachvollziehbar zu machen.“
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Das begeistert auch die aus Siebenbürgen stammende Pädagogin Andrea Stern vom Kommunalen Integrationszentrum. Deshalb freut sie sich, „dass auch Schülerinnen und Schüler diesen Film nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft sehen können, um damit ihr eigenes Leben, Denken und Handeln zu reflektieren, weil das Thema Diskriminierung, Rassismus, Gewalt und Vorurteile in unserem zunehmend multikulturell geprägten Schulalltag ein durchgängiges Thema ist.“
Filmfest Lünen zeichnete Filmemacher Kolvenbach 2022 aus
Diese Aspekte eines nicht nur historischen, sondern auch aktuellen Dokumentarfilms waren wohl auch Grund dafür, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund in Nordrhein-Westfalen und die Film- und Medienstiftung des Landes Nordrhein-Westfalen die Produktion des nicht nur dokumentarisch, sondern auch choreographisch gestalteten Films über Fritz Kann finanziell unterstützt haben, ebenso wie das Publikum des Filmfestes Lünen, das Kolvenbach 2022 mit seinem Preis gewürdigt und honoriert hat. Außerdem werden die Schulveranstaltungen rund um die Mülheimer Kinopremiere im Rahmen der Landes- und Bundesprogramme „Schule ohne Rassismus“ und „Demokratie leben“ finanziell gefördert.