Mülheim. Seit sieben Jahren ist der Doku-Filmer Marcel Kolvenbach seinem möglichen Großvater auf der Spur. Warum sie ins Mülheimer Stadtarchiv führt.

Es ist kein gewöhnlicher Tag im Mülheimer Stadtarchiv: Das Schieben des Dokumentenwagens gehört zwar zu den gewohnten Tätigkeiten von Annett Fercho. Doch heute wird die Diplomarchivarin bei ihrer Arbeit von einer Kamera begleitet. Hinter der Linse? Der investigative Journalist und Dokumentarfilmer Marcel Kolvenbach, der einem Geheimnis auf der Spur ist.

Denn die Aufnahmen sollen später in einem Dokumentarfilm zu sehen sein, der das Schicksal eines in Mülheim geborenen Juden nachzeichnet. „Auf den Spuren des Fritz Kann“ ist der Titel des Projektes, für das sich Autor Marcel Kolvenbach nach Mülheim aufgemacht hat. Der in Köln lebende Filmemacher hat sich durch seine bisherigen Arbeiten, die ihn bis nach Afrika und Lateinamerika führten, einen Namen im Dokumentationsgenre verschafft und mehrfach Preise eingeheimst.

Kolvenbachs neue Doku hat eine persönliche Geschichte

Sein neues Projekt ist für ihn ein ganz besonderes, denn es ist Teil seiner persönlichen Geschichte: „Fritz Kann war der erste Mann meiner Großmutter und der Vater zweier Onkel“, erklärt Kolvenbach. Lange hatte ihn beschäftigt, dass es keine Bilder von der Person in seiner Familie gebe. Es wurde auch nie über sie gesprochen. Einziger Anhaltspunkt für die Existenz von Fritz Kann war ein von ihm unterschriebenes altes Schulzeugnis einer seiner Onkel.

Vor rund zwanzig Jahren begann der Filmemacher ernsthaft zu recherchieren. Er wandte sich an die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, fuhr nach Yad Vashem in Israel, um mehr Licht in das Familiengeheimnis zu bringen: „Dabei fand ich heraus, dass Fritz Kann 1895 in Mülheim geboren wurde, bevor er später seinen Lebensmittelpunkt nach Düsseldorf verlegte und 1927 meine Großmutter heiratete.“

Die Spur des Mülheimer Fritz Kann verliert sich im polnischen Ghetto Izbeca

1935 wurde die Ehe durch die vom NS-Regime installierten Rassegesetze annulliert, da sie eine Mischehe zwischen einem Juden und einer Deutschen war. Durch eine Deportationsliste konnte Kolvenbach ermitteln, dass Kann am 21. April 1942 ins polnische Ghetto Izbeca verschleppt wurde, wo sich seine Spur dann verliert.

Das Datum machte ihn stutzig: „Da mein Vater genau neun Monate nach der Deportation geboren wurde, kam bei mir die Frage auf, ob Fritz Kann mein Großvater sein könnte.“ Letztendlich aufklären konnte Kolvenbach das Rätsel nicht. Anhand von ihm geführter Zeitzeugen-Interviews erscheint es eher unwahrscheinlich, dass es vor der Deportation zu einer letzten Liebesnacht zwischen Kolvenbachs Großmutter und Fritz Kann gekommen ist. „Also wird wohl der zweite Mann meiner Oma auch der offizielle Großvater sein“, mutmaßt der Filmer.

Sieben Jahre arbeitete Kolvenbach an seiner Doku

Kalvenbachs Filme wurden mehrfach ausgezeichnet

Marcel Kolvenbach (geb. 1969) ist seit 25 Jahren Dokumentarfilmer und Journalist. Er arbeitete für die ARD in New York und Brüssel und ist seit 2018 freier Mitarbeiter im Recherche-Unit des SWR.

Außerdem lehrt Kolvenbach als Professor für Dokumentarfilm an der Kunsthochschule für Medien Köln. Für seine dokumentarischen Arbeiten erhielt er u.a. 2006 den Deutschen Menschenrechtsfilmpreis und 2007 den Marler Filmpreis. Seine Filme liefen auf mehreren internationalen Festivals (u.a. Berlinale und Boston Turkish Festival).

Für Kolvenbach ist sein neuer Film einer der schwierigsten in seiner Laufbahn: „Ich bin in Krisengebieten gewesen und habe Geschichten gehört, die mich sehr betroffen gemacht haben, aber es ist etwas anderes, selbst in die Erzählung involviert zu sein und die Rolle des reinen Beobachters zu verlassen.“

Nicht zuletzt deshalb arbeite er nun schon sieben Jahre an dem Projekt. Mit den Dreharbeiten in Mülheim ist der Film jetzt aber so gut wie im Kasten. Im April, denkt Kolvenbach, das Projekt abgeschlossen zu haben. Außer Interviews werden zudem fiktionale Elemente zu sehen sein, die mit der israelischen Choreographin Reut Shemesh erarbeitet wurden.

Die Hoffnung des Filmemachers: „Mit meiner privat-persönlichen Erzählung möchte ich Menschen, die sich sonst der Problematik verschließen, einen Zugang zum Thema Ausgrenzung am Beispiel eines jüdischen Schicksals in Deutschland verschaffen.“