Mülheim. Eine Alleinerziehende, ausgebrochen aus einer belastenden Ehe, erzählt von ihrem Weg. Warum das Mülheimer Arbeitslosenzentrum ihre Stütze ist.

Die familiären Fesseln zu durchschlagen und auf eigenen Beine zu stehen – das war das große Ziel von Ayse T. Jetzt, mit 40 Jahren, hat die Mülheimerin es erreicht – nach einem steinigen Weg. Ihre Kindheit musste sie bei den Großeltern in der Türkei verbringen, später in Deutschland hatten ihre Eltern das Sagen, danach ihr Mann. Irgendwann gelingt es Ayse T. mit ihrem Kind auszubrechen. Jetzt ist sie frei – und trotzdem zunächst verloren. Ein Stützpfeiler ist für die Mülheimerin das Arbeitslosenzentrum „Malz“. Der Einrichtung soll in diesem Jahr der Erlös aus unserer Benefiz-Aktion Jolanthe zugute kommen.

Ayse T., die eigentlich anders heißt, aber aus Angst vor Repressalien ihren echten Namen nicht nennen will, lebt gerade ihren Traum: Endlich macht sie eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Noch anderthalb Jahre hat die 40-Jährige vor sich, dann ist sie examiniert. Die Frau mit den leuchtenden Augen und den dunklen Haaren strahlt, als sie davon erzählt – und manchmal scheint sie sich sammeln zu müssen, ganz so, als ob sie es selbst nicht glauben kann, dass sie es so weit geschafft hat.

Die Mülheimerin steht da ohne eigenes Konto, ohne Wohnung und ohne Wissen

Denn ihr Weg bis hierhin war mehr als steinig: Sie flüchtet irgendwann mit ihrem Kind aus einer schwierigen Ehe – ohne eigenes Konto, ohne Wohnung und vor allem ohne jegliches Wissen. „Zuhause durfte ich atmen, aber nicht selbst denken“, sagt Ayse T. heute. Ängste haben sie lange begleitet und eben diese Ratlosigkeit: Wie geht das eigentlich, ein selbstbestimmtes Leben?

Jolanthe tut auch ohne Neujährchen Gutes

Unsere Benefiz-Aktion Jolanthe muss dieses Jahr erneut ohne Neujährchen auskommen. Die Veranstaltung mit Live-Musik der Ruhr-River-Jazzband am Wasserbahnhof fällt wegen Corona aus.

Die Lose für die Jolanthe-Aktion – diesmal zugunsten des Mülheimer Arbeitslosenzentrums – sind in diesem Jahr erhältlich bei der Tourist-Info der MST im Stadt-Quartier an der Schollenstraße 1. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr.

Zu gewinnen gibt es etwa einen Reisegutschein im Wert von 300 Euro, das Gemälde „Stadtportrait Mülheim“, unser-Buch mit 700 Titelseiten aus 70 Jahren, den Bildband „Ruhrgebiet bei Nacht von oben“ sowie einen Präsentkorb „Pottküche“.

Wer mag, kann auch spenden: Spendenkonto bei der Sparkasse Mülheim, DE05 3625 0000 0175 0342 77, Stichwort: Jolanthe.

2003 hatte sie schon einmal mit einer Ausbildung begonnen, damals nannte sich der Abschluss noch Krankenschwester. „Doch dann wurde ich schwanger und musste meine Ausbildung abbrechen“, erzählt Ayse T. Fortan war sie Mutter und Ehefrau, sollte ein traditionelles Leben führen. „Man funktioniert irgendwie, aber als Frau hat man keine Meinung zu haben“, sagt sie rückblickend.

Über Jahre ging das so – bis sie ausbricht. Sie packt ihren Sohn und kommt zunächst bei einem Bruder unter. „Auch das ist in dem Kulturkreis nicht selbstverständlich, dass die Brüder ihre Schwester in so einer Situation aufnehmen“, ordnet Gabi Spitmann ein, die Beraterin des Mülheimer Arbeitslosenzentrums „Malz“, dessen Fortbestand aufgrund weggefallender Fördergelder bedroht ist. Unsere Spenden-Aktion Jolanthe will dazu beitragen, dass Malz weitermachen kann.

Perspektivlos und eingeschüchtert – so sitzt Ayse T. im Mülheimer Arbeitslosenzentrum

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„Ich brauchte Unterstützung als Frau und als alleinerziehende Mutter, aber ich traute mich nicht, danach zu fragen“, blickt Ayse T. zurück. Noch genau kann sie sich daran erinnern, wie sie zum ersten Mal in der Beratungsstelle des Arbeitslosenzentrums an der Friedrichstraße saß, perspektivlos und eingeschüchtert – „aber Frau Spitmann hat mich lieb aufgenommen“. Gemeinsam fangen sie fast bei Null an. „Mir war vieles über den Kopf gewachsen, obwohl ich hier in der Schule war, obwohl ich die Deutschkenntnisse habe“, sagt Ayse T.

Also ordnet Gabi Spitmann mit ihr zusammen den Papierkram, stößt Behördengänge an und hilft ihr zu berechnen, wie sie ihr Leben und das ihres Kindes meistern kann. „Das war eine große Entlastung für mich, sie hat mir Ängste genommen.“ Der Schritt ins Malz habe ihr viele weitere Türen geöffnet, sagt die 40-Jährige. „Viele Frauen trauen sich nicht und bleiben in einer Ehe drin.“

Gerade alleinerziehende Frauen haben es schwer, Fuß zu fassen, wenn sie aus einer problematischen Ehe kommen, hat Gabi Spitmann vom Mülheimer Arbeitslosenzentrum Malz die Erfahrung gemacht. Frauen wie Ayse T., die unerkannt bleiben möchte, begleitet die Beraterin oft über Jahre. (Symbolbild)
Gerade alleinerziehende Frauen haben es schwer, Fuß zu fassen, wenn sie aus einer problematischen Ehe kommen, hat Gabi Spitmann vom Mülheimer Arbeitslosenzentrum Malz die Erfahrung gemacht. Frauen wie Ayse T., die unerkannt bleiben möchte, begleitet die Beraterin oft über Jahre. (Symbolbild) © dpa | Maja Hitij

Sie nimmt eine Hürde nach der anderen mit Hilfe des Arbeitslosenzentrums

Je mehr sich fügt in ihrem Leben, je mehr Hürden sie hinter sich lässt, desto mehr erkennt sie, dass auch ihre Meinung zählt, dass ihre Wünsche wichtig sind – und dass sie ihrem Sohn, der heute 16 ist und zur Realschule geht, ein Vorbild sein kann. Nicht nur, weil sie heute ihre Miete selber zahlen kann und der Kühlschrank voll ist, sondern auch, weil sie als 40-Jährige eine Ausbildung macht. „Manchmal kommt er rein und fragt: Mama, lernst du immer noch“, erzählt Ayse T. lächelnd. Klar lernt sie viel, aber es macht ihr Spaß. Endlich kann sie auf eigenen Beinen stehen. Ihr Wegweiser über all die Jahre sei das Mülheimer Arbeitslosenzentrum gewesen, sagt sie.

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Dass Ayse T. jetzt ihren großen Traum lebt und eine Ausbildungsstelle gefunden hat, auch dazu hat Gabi Spitmann ihr den entscheidenenden Schubs gegeben. „Ich hatte Angst, mich zu bewerben und wollte eigentlich noch ein, zwei Jahre warten, bis mein Sohn älter ist.“

Die Beraterin des Malz aber lässt auf ihre sympathisch-beharrliche Art nicht locker, gemeinsam bringen sie die Unterlagen auf Vordermann und üben Bewerbungsgespräche. „,Warum nicht jetzt? Machen Sie mal!’, hat sie gesagt“, erinnert sich Ayse T. „Bei alleinerziehenden Frauen bin ich auch schon mal sehr streng, denn die sind ja auch noch für andere Leben verantwortlich“, betont die Malz-Beraterin. Also schrieb die alleinerziehende Mutter Bewerbungen und hatte im Handumdrehen einen Ausbildungsplatz in ihrem Traumjob. Ohne das Malz, ohne Wegweiser Gabi Spitmann, da ist Ayse T. überzeugt, hätte sie das nie geschafft. Ihr Weg, der schließlich eine Erfolgsgeschichte wurde, soll anderen Frauen Mut machen, hofft die Alleinerziehende.