Mülheim. Bumm!! Die Experimentalvorlesung des Mülheimer Max-Planck-Instituts ist nach der Corona-Pause zurück. Wie die Forscher selbst „BiEr“ zauberten.
Dass Chemie alles andere als langweilig und trocken ist, stellten der humorige MPI-Direktor Ferdi Schüth und seine Kollegen effektvoll auf der Mülheimer Freilichtbühne unter Beweis. Offiziell als „Experimentalvorlesung“ angekündigt, entpuppte sich der Abend in Wahrheit als informative, vergnüglich-berauschende Show mit Wow-Momenten. Die Wissenschaftler ließen selbst so etwas wie Bier entstehen.
„Wir machen das für uns“, gibt Ferdi Schüth, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, freimütig zu und sagt verschmitzt: „Wir lassen nur ein paar Leute zugucken.“ Zunächst liefert Schüth am Freitagabend einen launigen, historischen Abriss zu Alfred Nobel und den von ihm gestifteten Nobelpreisen, nennt aber auch chemische Elemente. Mit dem Periodensystem stellt er synthetischen Alkohol her, indem er Bismut (Wismut) „Bi“ mit Erbium „Er“ kombiniert, eben „BiEr“ kreiert. Schon steht ein schmackhaftes Weizenbier auf dem Tisch, das Schüth nach vollbrachter Leistung als Feuerspucker – mit Dodecan – zum Ablöschen zischt. Eindringlich mahnt Schüth: „Kein Ethanol! Der schlägt zurück, das kann übel enden!“
Licht- und knallgewaltig sind die Experimente der Mülheimer Wissenschaftler
Das bunt gemischte Publikum mit erfreulich hohem Anteil an Familien mit Kindern verfolgt neugierig und aufmerksam die abwechslungsreiche Kultshow. Wissbegierig stehen die Kleinen lange vor Showbeginn vor der Bühne, zählen beim finalen Countdown der letzten Sekunden einen Hauch schneller, hoffen, dass es endlich losgeht. „Feuer, Flamme und Dynamit – jetzt wird’s nobel!“ – das Thema dieses Abends ist Programm, und so eröffnet bereits ein zweifacher fulminanter Knall mit Feuersäule die Show.
Ruhig und besinnlich wie beim Bier geht’s selten zu, meist zischt und knallt es lichtgewaltig um die Wette, mal gleichzeitig, mal nacheinander, auch mal wie ein „bellender Hund“, dazu gibt’s ordentlich viel Rumms und Wumms und begeistert die 2200 Zuschauer. Im Vorprogramm heizte bereits die aus Mitarbeitern des MPI zusammengesetzte Band Energy Converters mit Songs von Brian Adams, Dire Straits und Eric Clapton den für einen äußerst kühlen Herbstabend gerüsteten Zuschauern ordentlich ein.
Mülheimer MPI-Direktor: „Mach mal ordentlich was rein, das soll ja wummen“
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Kurzweilig und peppig referiert Schüth diverse Nobelpreisträger, inklusive dem Mülheimer MPI-Direktor Benjamin List, und deren Entdeckungen, veranschaulicht dann diese Leistung mit einem – meist – gelungenen Experiment. Da leben Chemieunterricht-Erinnerungen wieder auf bei Schüths Formulierung: „Dann sollte es …“ knallen, leuchten oder auch beides, und stets folgt ein „hoffentlich“ der Ankündigung. Manches misslingt zunächst, klappt erst im zweiten Versuch.
Erheiternd, wenn bei der eindrucksvollen Vorführung von in Spanien frei verkäuflicher Knallschnur – in Deutschland „zum Glück nicht“, wie Schüth zugibt – die Zündschnur dann doch einen Aussetzer hat. So gibt es neben den witzigen Sprüchen des Dozenten immer wieder viel Gelegenheit zu lachen, versteht er es hervorragend, mit zweifelndem „Willst du das wirklich so nah machen?“, anheizendem „Viel hilft viel“ oder „Mach mal ordentlich was rein, das soll ja wummen“ die Spannung selbst bei langwierigen Vorbereitungen hochzuhalten.
Dann schlägt der Professor mit einer hartgefrorenen Banane einen Nagel ein
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Das Kompliment einer Zuschauerin, er sei „eine coole Socke“, setzt Schüth live um mit eigenem Strumpf und flüssigem Stickstoff und erhält eine eisgekühlte Socke, die selbstständig steht. Effektvoll auch das Einschlagen eines Nagels mit einer hartgefrorenen Banane.
Ständig ist ein raunendes „Oh“ und „Ah“ von den voll besetzten Tribünen zu hören, ob bei der nass brennenden Bühne oder bei der vielseitigen Verwendung des flüssigen Sauerstoffs. „Flüssiger Sauerstoff verbrennt fast alles“, sagt Schüth und demonstriert es an Sägespänen, veganen Würstchen und einem Putzschwamm mit je anderem sensationellen Knalleffekt. Da wird aber auch viel applaudiert, wenn Schüth etwa einen (gestützten) Handstand macht, um eingeatmete Gase leichter abführen zu können.
Chemische Reaktionen unterhalten das Publikum auf Mülheimer Freilichtbühne
Wie von Zauberhand zerdrückt sich mal ein Stahlfass von selbst, als sei’s eine Cola-Dose, spricht Schüth häufig von einem „Lieblingsexperiment“: Stets unterhalten die verschiedenen chemischen Reaktionen ungemein. Allerdings meinten es die drei eifrigen Chemiker vielleicht etwas zu gut mit ihrer vielseitigen Experimentalvorlesung, denn als nach fast eineinhalb Stunden die Pause beginnt, sogar über 30 Minuten dauern soll, gehen doch einige Familien nach Hause.
Damit verpassen sie den gewaltigen, bombastischen Knall um 23.16 Uhr, der wohl einige Anwohner aus dem Schlaf gerissen haben dürfte, wohingegen die Zuschauer diese „Bio-Explosion“ im gesamten Körper spüren. Begeisternd, diese Show, die traditionell mit der spektakulären Zündung von fünf Kilogramm Eisen und Thermit licht- und knallgewaltig endet. „Das war toll“, ist das einheitliche Votum mit viel Johlen, Jubel, Pfeifen und Applaudieren – verdienter Dank des Publikums an die umtriebigen Wissenschaftler in ihren kultigen weißen Laborkitteln.