Mülheim. Wegen Corona entfällt die Nobelpreis-Verleihung in Schweden. Der Mülheimer Chemiker Ben List erhielt stattdessen in Berlin die hohe Auszeichnung.

Die Nachricht, die am Vormittag des 6. Oktober in Mülheim eintraf, war definitiv eine der besten des Jahres 2021: Prof. Dr. Benjamin List wird der Nobelpreis für Chemie zuerkannt! Am Dienstag, 7. Dezember, wurden der Mülheimer Wissenschaftler und der zweite deutsche Preisträger Prof. Dr. Klaus Hasselmann, der den Physik-Nobelpreis erhielt, in Berlin ausgezeichnet.

Der Jubel am Max-Planck-Institut (MPI) für Kohlenforschung und in der Stadt war Anfang Oktober riesig. Nach der Auszeichnung für Karl Ziegler 1963 geht ein zweiter Nobelpreis ins kleine Mülheim? Großartig! Jetzt werden Ben List und sein Kollege, der US-Chemiker David W. C. MacMillan, mit dem renommiertesten Wissenschaftspreis der Welt ausgezeichnet. Coronabedingt wurde auf die glanzvolle Zeremonie in Stockholm, bei der der schwedische König den Preis übergibt, verzichtet. Ben List und der Physiker Prof. Dr. Klaus Hasselmann wurden am Dienstag, 7. Dezember, in Berlin geehrt.

Mülheimer Forscher berichtet im Livestream über seine Anfänge und seine Forschung

Interessierte Mülheimer konnten online dabei sein. Die Schwedische Botschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die Nobelstiftung hatten ein Programm zusammengestellt, das man in weiten Teilen im Livestream verfolgen konnte: Beim Nobel-Symposium in der Schwedischen Botschaft sprachen die beiden Preisträger mit Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar.

Chemie-Nobelpreisträger Benjamin List (li.) wurde beim Nobel-Symposium in der Schwedischen Botschaft in Berlin von TV-Moderator Ranga Yogeshwar interviewt – und fotografiert.
Chemie-Nobelpreisträger Benjamin List (li.) wurde beim Nobel-Symposium in der Schwedischen Botschaft in Berlin von TV-Moderator Ranga Yogeshwar interviewt – und fotografiert. © dpa | Tobias Schwarz

Ben List erzählt dabei, wie er als Elfjähriger im heimischen Keller zusammen mit einem Freund angefangen hat, chemisch zu experimentieren. „Die Chemikalien konnten wir damals noch einfach in der Apotheke kaufen.“ Nicht ungefährlich, wie Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, selbst Physiker, einordnet und bei den genannten Substanzen gleich an Schwarzpulver denken muss. Der Mülheimer Spitzen-Forscher List lächelt und räumt ein: „Wir haben damals gesagt, wir stellen damit Waschpulver für unsere Eltern her.“

Kurzweiliges Gespräch zwischen den Nobelpreisträgern in schwedischer Atmosphäre

Die beiden Nobelpreisträger sitzen mit Ranga Yogeshwar auf einer Bühne, die deutlich schwedisch ausgestattet ist, mit Tischen aus hellem Holz, grauen Sesseln und gestreiftem Webteppich. Ben List trägt zum dunklen Anzug weiße Sneaker – noch tragen beide Preisträger keinen Schlips.

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Kurzweilig führt Wissenschaftsjournalist Yogeshwar durch das Programm, spricht List vertraut mit „Ben“ an und bezieht auch die Frau des Mülheimer Wissenschaftlers, die wie die Ehefrau von Prof. Dr. Klaus Hasselmann im Publikum sitzt, ins Gespräch ein. Yogeshwar fragt die Mülheimer Juristin, wie es sei, mit einem Wissenschaftler zusammenzuleben. „Interessant und abwechslungsreich“, lautet die Antwort von Sabine List, die betont: „Dadurch, dass er liebt, was er tut, steigt die Laune, auch zu Hause.“

Ben List: „Man sollte immer das machen, was einen wirklich begeistert.“

Die Liebe, der Enthusiasmus für das, mit dem man sich im Leben beschäftige, sei für ihn das Essenzielle, das ihn antreibe, hatte Ben List kurz vorher gesagt. Zwei Kinder von der Schwedischen Schule in Berlin hatten per Video-Schalte gefragt, was die Forscher zum Nobelpreis geführt habe – eher das Talent oder doch der Ehrgeiz.

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Lists Ratschlag dazu: „Man sollte immer das machen, was einen wirklich begeistert. Wenn man etwas mit Enthusiasmus macht und mit großer Begeisterung, weil man’s liebt, dann mag man den Nobelpreis bekommen oder nicht, aber das ist am Ende eigentlich egal. Denn das, was man gemacht hat, hat einem Spaß gemacht und man hat es gerne gemacht.“

Verleihung nur im kleinsten Kreis mit den Familien der Nobelpreisträger

Nur im kleinsten Kreis hat die Verleihung in Berlin stattgefunden, heißt es von Seiten des Mülheimer Max-Planck-Institutes für Kohlenforschung, an dem der Chemie-Professor als Pionier auf seinem Spezialgebiet, der so genannten Organokatalyse, forscht. Neben seiner Ehefrau Sabine haben ihn auch seine beiden Söhne sowie seine Tante Christiane Nüsslein-Volhard zur Ehrung nach Berlin begleitet. Die heute 79-jährige Entwicklungsbiologin und Max-Planck-Kollegin hatte 1995 ebenfalls den Nobelpreis erhalten, und zwar jenen für Medizin. Sie wurde seinerzeit für ihre Entdeckungen zur genetischen Steuerung der frühen Embryonalentwicklung ausgezeichnet.

Benjamin List mit seiner Tante Christiane Nüsslein-Volhard, die 1995 den Medizin-Nobelpreis gewonnen hat.
Benjamin List mit seiner Tante Christiane Nüsslein-Volhard, die 1995 den Medizin-Nobelpreis gewonnen hat. © Getty Images | Sean Gallup

Damals durfte Ben List seine Tante zur Verleihungszeremonie nach Stockholm begleiten – davon erzählte der Mülheimer im Gespräch mit Ranga Yogeshwar. Die Verleihung eines Nobelpreises zu erleben, das habe List also Klaus Hasselmann voraus, sagte der Wissenschaftsjournalist, stellte beiden Preisträgern aber in Aussicht, dass ihre Feier im kommenden Jahr in der schwedischen Hauptstadt nachgeholt werden solle, sofern es die Pandemie zulasse: „Sie bekommen also die doppelte Party.“

Feierliche Überreichung der Nobelpreise wird aktuell live übertragen

Die feierliche Überreichung der Nobelpreise fand am Abend im Harnack-Haus, einer Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft, statt. Auch diese Veranstaltung wurde per Internet übertragen. Die Nobelpreise wurden vom schwedischen Botschafter in Deutschland, Per Thöresson, überreicht – stellvertretend für den schwedischen König. „Es tut uns allen sehr leid, dass Sie mit Ihren Familien nicht nach Stockholm reisen können“, sagte Botschafter Per Thöresson und sprach die Einladung in die schwedische Hauptstadt fürs nächste Jahr aus.

Nach der Preisverleihung in Berlin: Benjamin List mit seiner Frau Sabine und seinen Söhnen Theo (l.) and Paul.
Nach der Preisverleihung in Berlin: Benjamin List mit seiner Frau Sabine und seinen Söhnen Theo (l.) and Paul. © Getty Images | Sean Gallup

Nachdem der Physiker Prof. Dr. Klaus Hasselmann seine Auszeichnung aus den Händen des schwedischen Botschafters entgegengenommen hatte, war Ben List an der Reihe. Nicht nur die Augen des Publikums – Familie und Freunde der Preisträger – waren bei der Übergabe von Medaille und Urkunde auf den Mülheimer gerichtet, sondern auch die Handykamera seiner Frau Sabine. Überwältigt und beinahe ungläubig schüttelte List mit dem Kopf, als er die rote Dokumentenmappe und die dunkle Münz-Schatulle in Händen hielt.

Mülheimer Chemie-Professor Ben List: „Der Nobelpreis ist zu viel für nur eine Person“

Auf Englisch hält Ben List seine Dankesrede, erwähnt die Wissenschaftler, mit denen er in den vergangenen Jahrzehnten gemeinsam geforscht hat, erinnert an seine Kolleginnen und Kollegen im Mülheimer Max-Planck-Institut für Kohlenforschung und betont, dass der Nobelpreis „zu viel für nur eine Person“ sei. Ohne das Vertrauen der Max-Planck-Gesellschaft, die ihm früh viel Verantwortung übertragen habe, und den Rückhalt und der Toleranz seiner Familie sei sein Weg nicht möglich gewesen, beteuert der 53-Jährige. Zwar sei es „ein wenig schade“, dass die Zeremonie nicht in Stockholm stattfinden könne – „nichts gegen Berlin, ich liebe Berlin“, so List – der Nobelpreis aber sei für ihn ohnehin außerhalb von Raum und Zeit zu sehen und stehe für die Ewigkeit.

Der Physiker Klaus Hasselmann (l.), und der Chemiker Benjamin List haben in Berlin die Nobelpreise überreicht bekommen.
Der Physiker Klaus Hasselmann (l.), und der Chemiker Benjamin List haben in Berlin die Nobelpreise überreicht bekommen. © Getty Images | Sean Gallup

Die Laudation bei der Verleihung der Nobelpreise an die beiden deutschen Wissenschaftler hält Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Die Duisburgerin drückt mit Blick auf den Mülheimer Nobelpreisträger, der nach Karl Ziegler bereits der zweite aus der Ruhrstadt ist, ihren Stolz darüber aus, „solche wissenschaftliche Exzellenz vor der eigenen Haustür zu haben“. Wissenschaftliches Talent liege wohl nicht nur in der Familie von Benjamin List, sondern „ist offenbar auch in Mülheim zu Hause“, sagt Bas.

Mülheimer Max-Planck-Institut möchte Feier nachholen, wenn es die Pandemie zulässt

Die berühmte „Nobel Lecture“ in englischer Sprache, die List bereits aufgenommen hat, wird am Mittwoch, 8. Dezember, erstmals öffentlich zu sehen sein. Die Nobelstiftung stellt die Reden der beiden Chemie-Nobelpreisträger ab elf Uhr auf ihrer Internetseite sowie bei YouTube zu Verfügung: https://www.nobelprize.org/nobel-week-live-streams-2021.

Traditionell findet die Zeremonie am 10. Dezember statt, dem Todestag von Alfred Nobel. Wegen der Corona-Pandemie läuft alles anders: Bei einer virtuellen Zeremonie im Blauen Saal des Stockholmer Rathauses werden Aufnahmen aller dezentralen Preisverleihungen mit Reden und kulturellen Darbietungen verwoben. Die Verleihung des Friedensnobelpreises ist ab 13 Uhr zu sehen, die Verleihung der anderen Nobelpreise ab 16.30 Uhr: https://www.nobelprize.org/ceremonies/nobel-week-2021/.

Pandemie verhindert auch die große Feier vor Ort in Mülheim

Eine aufregende Woche, die eigentlich auch vor Ort mit den Mülheimern und Mülheimerinnen gebührend gefeiert werden sollte: Doch die Pandemie, so heißt es aus der Pressestelle des Instituts, mache dies leider unmöglich. Man werde versuchen, zu einem späteren Zeitpunkt eine angemessene Würdigung des zweiten Mülheimer Nobelpreisträgers auf die Beine zu stellen.