Essen/Mülheim. Beim Frühstück kam der Anruf. Doch der neue Chemie-Nobelpreisträger Benjamin List aus Mülheim wollte erst nicht glauben, was er hörte.
Erreicht hat ihn der Anruf aus Stockholm beim Frühstück in einem Amsterdamer Café. Glauben wollte Benjamin List zunächst freilich nicht, was ihm sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung am Mittwochmorgen mitzuteilen versuchte. Eine schwedische Nummer auf dem Handy? Da denkt doch nicht jeder gleich ans Nobelpreiskomitee.
Hochdekorierter Wissenschaftler
Benjamin List hätte das natürlich auf dem Zettel haben dürfen. Der Chemie-Professor aus Mülheim ist ein hochdekorierter Wissenschaftler und ein Pionier auf seinem Spezialgebiet, der so genannten Organokatalyse. Er hat viele internationale Forschungspreise gewonnen, darunter etwa 2016 den bedeutenden Leibniz-Preis. Trotzdem haben er und seine Frau Sabine zunächst ernsthaft an einen Witz gedacht, als sich die Schwedische Akademie der Wissenschaften meldete und dem Mülheimer mitteilte: Der Nobelpreis für Chemie 2021 geht an ihn und seinen US-Kollegen David MacMillan.
„Da wusste ich: Es ist ernst“
„Ich habe nicht im Traum damit gerechnet, schon gar nicht in meinem Alter“, spielte der 53-Jährige auf das meist fortgeschrittene Alter vieler Nobelpreisträger an. Am Telefon hat List dann aber die Stimme des Komiteepräsidenten erkannt. „Da wusste ich dann doch: Es ist ernst“, sagte der Vater zweier Söhne im Gespräch mit unserer Redaktion und wirkt dabei auch Stunden nach der Nachricht immer noch spürbar ergriffen und ein wenig ungläubig angesichts der außergewöhnlichen Ehre.
Immer noch spürbar ergriffen
Dann musste Ben List, wie ihn Freunde und Kollegen nennen, auch noch selbst Überzeugungsarbeit leisten. Denn die Vertreter der Schwedischen Akademie hatten zuvor zunächst vergeblich versucht, Lists Forscherkollegen und Mitpreisträger David MacMillan an der zu diesem Zeitpunkt noch in tiefer Nacht versunkenen US-Ostküste zu erreichen und baten den Deutschen um Amtshilfe. „Ich habe dann Dave angerufen und ihm gesagt: Dave, wach auf, wir haben den Nobelpreis gewonnen. Doch auch er wollte es selbst mir nicht glauben.“
Seit 2005 Direktor in Mülheim
Benjamin List ist seit 2005 Direktor des renommierten Mülheimer Forschungsinstituts. Der gebürtige Frankfurter und sein an der US-Eliteuniversität Princeton forschender Kollege MacMillan erhalten den Chemie-Nobelpreis zu gleichen Teilen für die Entdeckung so genannter organischer Katalysatoren. Bis vor 20 Jahren ging die Forschung davon aus, dass es nur zwei dieser Substanzen gibt, Enzyme und Metalle. List und MacMillan fanden heraus, dass diese Eigenschaften auch organische Moleküle annehmen können.
Katalysatoren können chemische Reaktionen steuern und beschleunigen und sind für die Entwicklung neuer Produkte in vielen Lebensbereichen wichtig, besonders in der Arzneimittelforschung. „Mit Hilfe unserer Forschung konnte zum Beispiel ein neues antivirales Medikament für die HIV-Behandlung entwickelt werden, das den Patienten hilft. Ich bin stolz und dankbar, dass ich dazu beitragen konnte“, sagte List unserer Redaktion.
Jahre in den USA verbracht
Ben List kam mit seiner Familie vor 18 Jahren nach Mülheim. Der Liebhaber klassischer Musik und exquisiter Küche hat das Ruhrgebiet und seine besondere Lebensqualität in diesen Jahren sehr zu schätzen gelernt. Zuvor lebten die Lists im kalifornischen San Diego. Dort arbeitete List als Assistant-Professor am Scripps Research Institute in La Jolla, einem Vorort der für ihre Traumstrände bekannten Westküsten-Metropole. Studiert hatte List unter anderem in Frankfurt und Berlin.
Im Institut knallten am Abend die Sektkorken
Unbändige Freude herrschte am Mittwoch im Mülheimer Max-Planck-Institut, als die Nachricht von Nobelpreis Nummer zwei für Mülheims Top-Chemiker vormittags die Runde machte. 1963 hatte der damalige Institutsleiter Karl Ziegler ebenfalls den Chemie-Nobelpreis gewonnen. Und nun Ben List. Via Livestream hatten viele Kollegen die Verkündung der Chemie-Nobelpreise mitverfolgt. Am Abend kannte der Jubel dann keine Grenzen, als List mit seiner Frau am Institutsgebäude am Kaiser-Wilhelm-Platz vorfuhr. Hunderte Mitarbeiter und Kollegen standen Spalier, im kleinen Hörsaal warteten zig Journalisten auf einer von der Institutsleitung improvisierten Pressekonferenz auf den Preisträger. Anschließend knallten nicht nur symbolisch die Sektkorken.
Dass das MPI nun schon zwei wissenschaftliche Superstars hervorgebracht hat, hält Ferdi Schüth, geschäftsführender Direktor des Instituts, für einen „Hammer“. Dass Ben Lists Entdeckung in der Nobelpreiskategorie spiele, sei vielen im Institut klar gewesen. „Wenn es dann aber tatsächlich passiert, ist man trotzdem total überrascht.“ Andernfalls, so witzelt Schüth, wäre List wohl kaum zum Kurztripp in die Niederlande aufgebrochen.