Mülheim. Laut Statistik stehen Mülheims Schulen nicht schlecht da – doch Fachkräfte und Vertretungen fehlen. Am Berufskolleg gab’s drastische Maßnahmen.

Eine gute Nachricht vorweg: An Mülheimer Schulen fällt aktuell wenig Unterricht aus. Die Stundentafeln werden fast überall erfüllt. Das Thema Lehrermangel ist dennoch ein erhebliches. Denn das System ist vielfach auf Kante genäht, „da ist kaum noch Puffer drin“, sagt etwa Jens Schuhknecht, neuer Leiter der Otto-Pankok-Schule. Noch gelinge es, den Unterricht weitgehend zu gewährleisten – doch Vertretungen für Ausfälle zu finden, sei zunehmend schwierig. Aktuell muss Schuhknecht an seiner Schule für rund acht vakante Stellen Lösungen finden.

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„Der Lehrermarkt ist leer gefegt“, weiß Ute Gibbels, Chefin am Karl-Ziegler-Gymnasium, wo unter anderem wegen Krankheit rund zehn Prozent der Stellen nicht besetzt sind. Um das aufzufangen, springen Kollegen in die Bresche, leisten Mehrarbeit. „Und auch ich gehe für einige Stunden in den Unterricht.“ Das Kollegium sehnt brauchbare Bewerbungen herbei. Entlastung sollen ab November auch neue Referendare bringen.

In manchen Fächern gebe es einen eklatanten Mangel, so im Bereich Inklusion

Auch Thomas Ratz, Chef der Gustav-Heinemann-Schule, empfindet es als „große Herausforderung“, alle Klassen jederzeit mit passenden Lehrern zu versorgen. Auf dem Papier habe man vielleicht eine vernünftige Personalquote – doch in manchen Fächern gebe es einen eklatanten Mangel. Etliche Sonderpädagogen fehlen, was bei einer Schule mit Inklusionsschwerpunkt besonders schwierig ist.

Am Berufskolleg Stadtmitte musste man wegen des Fachkräftemangels sogar schon radikal reagieren: „Wir haben zwei Bildungsgänge geschlossen, weil es einfach keine passenden Lehrkräfte gab“, so Leiter Jörg Brodka. Der physikalisch-technische Assistent und der informationstechnische Assistent fehlen nun im Angebot. Und weitere Ausbildungen könnten gefährdet sein, wenn kein Personal nachwächst, so Brodka.

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Lehrer-Notstand herrscht etwa in den Bereichen Gesundheit und Sozialpädagogik

Lehrer-Notstand herrscht etwa in den Bereichen Gesundheit und Sozialpädagogik oder Elektrotechnik und Nachrichtentechnik. Auch wenn die Nachfrage nach diesen Ausbildungen zum Teil durchaus groß sei, könne man wegen der fehlenden Lehrer nicht alle Schüler und Schülerinnen aufnehmen, bedauert Brodka. „Wir wollen ja jedem eine volle Stundentafel bieten. Etwas anderes könnten wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren.“

Berufskollegs, Förderschulen, Gesamt- und Grundschulen haben es laut Zahlen der Bezirksregierung Düsseldorf aktuell schwerer als andere Schulen. Es sei derzeit nicht immer möglich, alle zur Verfügung stehenden Stellen zeitnah zu besetzen. Man versuche aber kontinuierlich, neue Lehrkräfte zu gewinnen und den Schulen zur Seite zu stehen, beteuert eine Sprecherin. Grundsätzlich sei die Personalausstattung vor Ort zwar „nicht vollumfänglich zufriedenstellend“, aber doch besser als in vergangenen Jahren.

Leiterin des Berufskollegs: „Wir sind in der glücklichen Lage, alle Fächer zu beschulen“

Das Berufskolleg Lehnerstraße steht auch tatsächlich gut da, freut sich Leiterin Roswitha Neumann-Weber. „Wir sind in der glücklichen Lage, alle Fächer zu beschulen. So lange alle gesund bleiben, brennt hier nichts an.“ Zufriedenheit gibt’s auch an anderer Stelle: Etwa bei Heike Quednau, Leiterin der Luisenschule, wo die Situation sogar so gut sei, dass man den Deutsch- und Matheunterricht der Fünftklässler zum Teil mit zwei Lehrern bestreiten könne. Auch die Schule am Hexbachtal, Mülheims einzige Hauptschule, meldet volle Besetzung. Man sei sogar ausreichend ausgestattet mit Sozialarbeitern und Sonderpädagogen, teilt Leiterin Barbara Kromer mit.

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Apropos Sonderpädagogen: Sie fehlen an vielen Stellen in der Stadt. So auch an der Realschule Stadtmitte, wo man mit nur zwei von ihnen auskommen muss, aber deutlich mehr Bedarf hätte. Die Bezirksregierung nennt die aktuelle Besetzungssituation „nicht zufriedenstellend“. Im ersten Halbjahr 2021 habe man 39 Stellen für Sonderpädagogen ausgeschrieben, aber lediglich eine Stelle besetzen können.

Gute Erfahrungen mit Vertretungskräften und Quereinsteigern

Sabine Dilbat, Leiterin der Realschule Stadtmitte, wünschte sich kleinere Klassen – mit bis zu 33 Schülern kämen Lehrkräfte oft an Belastungsgrenzen. Grundsätzlich sei man aber auch an ihrer Schule zufrieden. Man mache immer wieder gute Erfahrungen mit langfristigen Vertretungs- und so genannten Obas-Kräften. Hinter diesem Kürzel verbergen sich die Quereinsteiger, die an den Schulen selbst ausgebildet werden.

Schwangere können wegen Corona auf Präsenz verzichten

Da eine Corona-Infektion für Schwangere eine besondere Gefahr darstellen kann, können sich Lehrerinnen in der Schwangerschaft vom Präsenzunterricht befreien lassen. Sie müssen zwar andere Aufgaben für die Schule erfüllen; für den Unterricht aber muss sich die Leitung nach einem Ersatz umschauen. „Das bereitet zum Teil große Probleme“, so Angela Huestegge, Leiterin des Gymnasiums Broich. Auch wenn Väter für wenige Wochen in Elternzeit gingen, sei das schwierig und werde zumeist durch Mehrarbeit von Kollegen aufgefangen.

Wie die meisten ihrer Kollegen, hat auch Huestegge mehrere Vertretungsstellen ausgeschrieben und wartet auf Bewerbungen. Krankheitsbedingt sind rund vier Stellen an ihrer Schule aktuell unbesetzt. „Für weitere Stellen haben wir schon Vertretungen.“ Dennoch fallen Überstunden an, „und es gibt vereinzelt Unterrichtsausfall“. Das versuche man immer zu verhindern – „vor allem bei den Schulanfängern“.

Huestegge wünscht sich einen großzügigeren Personalschlüssel und zum Beispiel zusätzliche Lehrerstunden für schöne Dinge wie spannende Schüler-AGs. „Das ist zurzeit nur in kleinem Umfang möglich.“

Klassische Lehrer gibt es immer weniger – das weiß auch Schulamtsdirektorin Heike Freitag, die sich um die Grundschulen kümmert. Immer wieder muss sie dafür sorgen, dass dort ausreichend Lehrer im Einsatz sind, dass die Löcher möglichst gestopft werden. Selten fällt wirklich etwas aus, betont sie. Das aber sei nur möglich, „weil sich die Schulen häufiger unbürokratisch untereinander helfen“. Und weil es etliche Maßnahmen des Landes gebe, um die Probleme zu lindern. Ein Beispiel von vielen ist die so genannte Vorgriffsstelle: Lehrer von Gymnasien werden für zwölf Stunden an Grundschulen abgeordnet.

Engpässe vor allem bei Musik, Religion und Sport

Die Vertretungskräfte stammen aus unterschiedlichsten Quellen, vor allem für Musik, Religion und Sport sind sie heiß begehrt. Freitag wünscht sich, dass es ausreichend Grundschullehrer gibt, „aber ich kann sie mir nicht backen“. Warum es immer wieder mal Wellen mit zu wenigen oder zu vielen Lehrern gibt, sei schwer zu erklären. Aktuell liege es wohl auch daran, dass vor einiger Zeit das Studium von Staatsexamen auf Bachelor und Master umgestellt worden sei – wodurch sich die Studienzeit verlängert habe.

Mittlerweile studierten aber wieder mehr junge Menschen Grundschullehramt. Darauf hofft Freitag auch für die Zukunft. „Es ist ein toller Beruf. Die Arbeit mit Kindern ist jeden Tag anders und macht viel Freude.“