Mülheim. Vor 50 Jahren schickte der Mülheimer Luftfahrt-Pionier Theo Wüllenkemper sein erstes Luftschiff in den Himmel. Wie der fliegende Musketier abhob.
Wenn Luftschiff Theo über unseren Köpfen schwebt, steigt in vielen wohl eine Art Heimatgefühl auf. Das Luftschiff gehört zu Mülheim wie die Ruhr – und das seit 50 Jahren. Auch wenn es in diesem Sommer nicht am Himmel fährt, gibt es etwas zu feiern bei der WDL am Flughafen Essen/Mülheim. Das traditionsreiche Unternehmen blickt auf die Jungfernfahrt des ersten in Mülheim konzipierten und gebauten Luftschiffes zurück.
Es ist dieses Foto, das Geschichte erzählt: Gebannt blicken die beiden Menschen in dieselbe Richtung. Faszination und Tatendrang sprechen aus den Augen des Mannes, die Frau, nicht minder gespannt, schaut eher vorsichtig, beinahe besorgt. Genau in diesem Moment hob vor 50 Jahren der Urahn von Theo, das erste in Mülheim entwickelte und gebaute Luftschiff vom Boden ab. Die beiden Beobachter, festgehalten auf Fotopapier, sind Theo Wüllenkemper und Inge Bachmann, die den Jungfernflug verfolgen.
Mülheimer Luftfahrt-Pionier beobachtet Jungfernfahrt des Luftschiffes von der Erde aus
Der Mülheimer Luftfahrt-Pionier konnte damals, am 12. August 1972 beobachten, wie seine Vision nach drei Jahren Entwicklung und Bauzeit in die Luft aufstieg – und nach über zwei Stunden wieder sicher landete auf dem Flughafen Essen/Mülheim. „Das war damals unheimlich aufregend“, erinnert sich Barbara Majerus.
Auch interessant
Die heutige Geschäftsführerin, inzwischen 69 Jahre alt, hatte damals gerade ihre Lehre bei der Westdeutschen Luftwerbung (WDL) beendet und durfte bei diesem historischen Moment dabei sein: „Als das Luftschiff abhob, war das gigantisch! Gänsehaut pur!“ Der Ideengeber Wüllenkemper und seine Partnerin Bachmann beobachteten die erste Fahrt „ihres“ Luftschiffes nur vom Boden aus, waren nicht mit an Bord. „Der erste Flug war dem Kapitän und dem Ingenieur vorbehalten“, blickt Majerus zurück.
Das erste Luftschiff, mit dem Theo Wüllenkemper zuvor seine Idee umsetzte und den Himmel zur Werbefläche machte, war noch kein eigenes, sondern ein gechartertes, berichtet Frank Peylo, neben Majerus WDL-Geschäftsführer. 1969 war das Team um Wüllenkemper damit in Frankreich unterwegs und flog Reklame für die Firma Braun. „Dieses Luftschiff hatte noch eine Baumwollhülle und war mit Wasserstoff gefüllt“, erinnert sich Barbara Majerus.
Auch interessant
Auch wenn der Absturz des damals weltgrößten Luftschiffes, der Hindenburg im Jahre 1937 Ende der 60er-Jahre schon lange zurücklag, so hatten sich die Bilder der Katastrophe bei vielen eingegraben. Damals hatte sich der Wasserstoff, der die Hülle füllte, entzündet, über 30 Menschen kamen ums Leben. Also fällte Wüllenkemper nach der Werbetour in Frankreich mit dem gecharteten Luftschiff die Entscheidung, ein eigenes Prall-Luftschiff zu bauen. Das sollte statt mit Wasserstoff mit Helium gefüllt sein, das nicht brennbar ist.
Der Preis von Helium hat sich angesichts der globalen Wirtschaftslage verdreifacht
Drei Jahre lang entwickelte Theo Wüllenkemper mit seiner Mannschaft an der Lilienthalstraße sein Luftschiff und ließ es auf den Raadter Höhen bauen. „In der Halle stand ein 80 Meter roter Fabrikationstisch, auf dem die Hülle zugeschnitten, genäht und verklebt wurde“, erinnert sich die einstige Auszubildende Majerus. „Das war ein neoprenartiger Stoff, denn die Gasdichtigkeit ist wichtig bei so einem kostbaren Rohstoff wie Helium – der ist sehr teuer“, sagt Peylo.
Angesichts der aktuellen globalen Wirtschaftslage habe sich der Preis für Helium verdreifacht, auch sei die Menge reglementiert worden, die die WDL einkaufen kann, berichtet der WDL-Geschäftsführer. Muss Theo von Grund auf neu gefüllt werden, braucht er mehr als 6000 Kubikmeter Helium – „das würde heute etwa 150.000 Euro kosten“, so Peylo. In der Regel aber wird das Luftschiff nur nachgefüllt, damit es ansehnlich prall bleibt.
In den 70er und 80er Jahren war die Nachfrage nach Werbefläche am Himmel groß
Als Wüllenkemper sich Ende der 60er-Jahre an die Entwicklung machte und auf Helium setzte, war auch klar, dass der Blimp, wie das Gefährt in den USA genannt wird, auch eine möglichst leichte Gondel haben soll, die Passagiere aufnehmen kann. „Wobei auf Passagierfahrten nicht der Schwerpunkt lag“, betont Peylo, „sondern rein auf der Werbemöglichkeit.“ Damals, in den 70er, 80er-Jahren, war das Luftschiff vielen Unternehmen ein willkommener Werbeträger. „Die Nachfrage war gigantisch“, blicken Peylo und Majerus zurück. Am augenfälligsten war wohl über 25 Jahre hinweg der riesige weiße Fujifilm-Schriftzug auf grünem Grund, der über dem Ruhrgebiet schwebte. Als aber die Digital-Fotografie Fotofilme überflüssig machte, verschwand auch Fuji von der Himmelsfläche. Mit Blick auf die damaligen Werbeeinnahmen sagt Peylo: „Die Werbe-Saison hat für den Kunden leicht zweieinhalb bis fünf Millionen D-Mark betragen.“
Auch interessant
Das habe sich allerdings gewandelt: Mit den Jahren und Jahrzehnten sind zahlreiche neue Plattformen für Werbung entstanden, die Werbebudgets indes sind schmaler geworden. „Heute kommen wir inklusive Passagieren und Werbeeinnahmen nicht mal auf 300.000 Euro“, bilanziert Peylo. Und Barbara Majerus fügt schmunzelnd hinzu: „Unser teures Hobby.“
Erst ließ der Mülheimer Wüllenkemper Werbebanner von Flugzeugen ziehen
„Die Idee, Werbung an den Himmel zu bringen, war revolutionär. Damit konnte der Werbekunde sein Produkt zum Kunden bringen und musste nicht warten, bis der Kunde an einer Litfaßsäule vorbei läuft“, schlägt der WDL-Geschäftsführer einen Bogen zu Wüllenkempers Ausgangsabsicht, den Himmel als Werbefläche zu nutzen.
Auch interessant
Zunächst hatte Wüllenkemper nach der Firmengründung 1955 dazu Flugzeuge genutzt, die Reklame-Banner hinter sich her zogen. „Zeitweise stiegen 60 Flugzeuge täglich auf“, so Peylo. Als aber die zulässige Flughöhe aufgrund des Lärmpegels der Maschinen auf 600 Meter angehoben wurde, erschien dem Mülheimer Luftfahrt-Pionier die Entfernung zwischen Betrachter am Boden und Markenbotschafter in der Luft zu groß. Und die Idee des Luftschiffs als ruhig schwebender Werbefläche war geboren.
Mülheimer Idee bot über den Köpfen der Kaufwilligen Raum für Reklame
Das erste rein in Mülheim konzipierte und gebaute Luftschiff, das am 12. August 1972 erstmals aufstieg, bot der Wicküler-Brauerei hoch oben über den Köpfen der Kaufwilligen Raum für Reklame. „Der fliegende Musketier“ prangte auf der Flanke. „Das Kennzeichen lautete D-LDFM und stand für Deutschland Luftschiff Der Fliegende Musketier“, erklärt Barbara Majerus. Nahezu zeitgleich wurde damals bereits ein zweites Luftschiff für den Verkauf nach Japan gefertigt. Seine Kennung: D-LDFN, der fliegende Nippon.
Ein weiteres Luftschiff verkaufte die WDL in den Folgejahren nach Japan und zwei in die USA als Werbeträger für Seaworld und McDonalds. Spektakulär, wie der Blimp das World Trade Center umkreist. „Wir saßen oben in den Twin Towers und hatten von dort übers Funkgerät Kontakt zu der Crew“, erzählt Barbara Majerus von damals und versprüht ein wenig von dem Pioniergeist und der Abenteuerlust, die das Team an der Lilienthalstraße damals bewogen haben muss, groß zu denken.
Auch interessant
„Unsere Strategie war immer, nicht nach Deutschland zu verkauften, weil wir den Markt für uns halten wollten“, skizziert die WDL-Geschäftsführerin. Ein zweites Luftschiff für den heimischen Luftraum war also nicht geplant. Letztlich aber mussten sie für den Mülheimer Standort doch ein zweites bauen, nachdem der Pfingststurm Ela 2014 das ursprüngliche zerfetzt hatte.
Sympathieträger mit Symbolkraft fürs Ruhrgebiet
„Das heutige Mülheimer Luftschiff ist das letzte seiner Art in der Größe weltweit“, sagt Frank Peylo. Den Luftschiffbetrieb zu erhalten, sei „exorbitant teuer“, erklärt der WDL-Chef und betont: „Das Luftschiff ist die Attraktion für diesen Standort – das ist heute der Sinn und Zweck“.
Heute sei es die Kombination aus den Werbeeinnahmen und den Flügen für die sieben zahlenden Passagiere, die in der Gondel Platz finden – dadurch arbeite man kostendeckend. Die Veranstaltungen, die in der Luftschiffhalle, die gerade neu entsteht und Theo ab November wieder ein Dach über dem Kopf bieten soll, seien zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Dabei zeigt sich Theo dann als größte Stehlampe der Welt von seiner besten Seite. Zuletzt strömten Besucher der Extraschicht auf das WDL-Gelände am Flughafen und ließen sich von der Atmosphäre verzaubern.
2023 soll Theo wieder am Himmel sein
Dass Mülheims König der Lüfte in der kommenden Saison wieder abheben wird, nachdem er in diesem Jahr am Boden bleiben musste, da sind WDL-Chefs optimistisch. Und wenn im Frühjahr 2024 wie geplant die Neugestaltung des WDL-Areals komplett fertig sein wird, sind Majerus und Peylo sicher, auch einen Ort für die Bürger, einen Ort der Begegnung für Mülheimerinnen und Mülheimer geschaffen zu haben – etwas, das bleibt als Erinnerung für die hochfliegenden Ideen des Firmengründers Theo Wüllenkemper.
Auch interessant
Das besondere Foto, das den Luftfahrt-Pionier und seine Partnerin im Angesicht des aufsteigenden ersten Luftschiffes zeigt, wird dort im Museumsbereich neben vielen anderen Exponaten einen gebührenden Platz finden. Noch aber hängt es in dem großen Konferenzraum, durch dessen Fenster man auch einen Blick auf Theo erhaschen kann.
„Im Luftschiff, da steckt unser ganzes Herzblut“, betont die Firmenchefin und blickt auf das Bild, von dem Wüllenkemper und Bachmann herabschauen. Barbara Majerus lässt die Besucher teilhaben an ihren Erinnerungen: „Das ist mein Lieblingsfoto von den beiden, weil es genau widerspiegelt, wie sie waren – der eine voller Enthusiasmus, die andere eher die Vorsichtigere – beides außergewöhnliche Menschen.“ Ihre Vision von einst schwebt noch immer über unseren Köpfen, seit 50 Jahren.