Mülheim. Verunsicherung und düstere Zukunftsaussichten hatte der Unternehmerverband Mülheimer Betrieben prognostiziert. Wir haben bei Firmen nachgefragt.
Der drohende Gasengpass und die düsteren Wirtschaftsaussichten machen auch Mülheimer Unternehmen zu schaffen. Geschäftsbeziehung mit der Ukraine und Russland liegen in Folge des Krieges auf Eis. Mancher Betrieb verzeichnet seit einigen Monaten eine rückläufige Auftragslage. Gleichzeitig aber fragt die Belegschaft angesichts der hohen Inflation nach mehr Lohn. So ist die Lage in Mülheimer Betrieben.
Spezialisiert auf Maschinenbauteile fertigt die Belegschaft der Georg Beyer GmbH in Styrum Einzelstücke oder Kleinserien, „die nicht mal eben so aus China oder Russland kommen können“, ordnet Geschäftsführer Thomas Kretschmer ein. Vielmehr stellt sein Betrieb Teile nach kundenspezifischen Vorgaben her – was mitunter auch mal besonders schnell gehen muss, wie Ende vergangener Woche.
Nähe zu Betrieben im Ruhrgebiet ist Wettbewerbsvorteil von Styrumer Mittelständler
Da ging bei einem Kunden eine Maschine kaputt – und die Produktion stand still. Mitarbeiter der Georg Beyer GmbH setzten sich umgehend dran, die Komponente passgenau herzustellen, damit das Gerät wieder in Betrieb gehen konnte. Am Samstag wollte der Firmenchef das Ersatzteil ausliefern, „damit der Schaden durch den Maschinenstillstand für den Kunden nicht zu groß wird“, sagt Kretschmer.
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So was kann nicht klappen, wenn die Zulieferbetriebe in aller Welt sitzen – die Nähe ist der klare Wettbewerbsvorteil des Styrumer Mittelständlers. „Für die nächsten drei Monate sind wir ausgelastet, auch bis zum Ende des Jahres sieht es für uns gut aus“, schildert Kretschmer, schränkt aber ein: „Wenn im Januar oder Februar nicht mehr genug Gas für Industrie und Handwerk da ist, und die ihre Produktion um 50, 60 Prozent reduzieren müssen, dann sind wir auch mit dran.“ Dabei registriere er bereits seit drei, vier Monaten bei den Industriebetrieben, die er mit Maschinenbauteilen beliefert, eine rückläufige Auftragslage.
Stahl, der durch unterbrochene Lieferketten nicht angekommen war, ist nun verfügbar
Immerhin sei die Preisexplosion verpufft, mit der Betriebe im Frühjahr zu kämpfen hatten, nachdem Materialknappheit und Lieferschwierigkeiten manche Rohstoffe immens verteuert hatten, berichtet Thomas Kretschmer. Im Stahlbereich sei das Material, das durch die unterbrochenen Lieferketten überall in der Welt hängengeblieben war, mittlerweile eingetroffen – leichte Preisrückgänge seien die Folge.
Andere Kosten allerdings bereiten Kretschmer Sorgen. „Strom ist ja in den letzten Jahren schon immer kontinuierlich teurer geworden. Zudem heizen wir unsere Halle mit Öl. Deswegen haben wir zwar kein Problem mit einem Gasengpass, aber Heizöl ist ja auch nicht gerade günstig. Dadurch haben wir schon höhere Kosten“, rechnet der Georg-Beyer-Chef vor. Dabei fragten seine Mitarbeiter angesichts der Teuerungsrate, die längst auch im Supermarkt angekommen ist, nach einer Lohnerhöhung.
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„Ich hatte die Belegschaft informiert, dass ich abwarten will, was in den Verhandlungen der Metall- und Elektroindustrie rauskommt. Denn wenn ich vorher die Löhne erhöhe und noch mal, wenn es zum Tarifabschluss kommt, dann zahle ich nachher doppelt. Alle waren damit einverstanden abzuwarten, und sind erstmal froh, dass wir noch so eine gute Auftragslage haben.“ Wenn aber Anfang nächsten Jahres wirklich aufgrund von konjunkturellen Schwierigkeiten weniger Aufträge eingehen sollten, „dann tut auch eine Lohnerhöhung von sechs, sieben Prozent weh“, schätzt Kretschmer.
Turck-Gruppe: Engpässe bei Rohmaterialien, keine Geschäfte mit Russland
Nach wie vor von Engpässen bei Rohmaterialien und Lieferketten betroffen sind die Unternehmen der Turck-Gruppe. „Das ist noch immer eine sehr herausfordernde Situation, der wir mit verschiedenen Maßnahmen begegnen“, schildert Christian Wolf, Geschäftsführer der Hans Turck GmbH. „Zum einen haben wir eine globale Task-Force eingerichtet, die alle Beschaffungsprozesse für unsere Standorte weltweit koordiniert und optimiert. Eine weitere Maßnahme, mit der wir Engpässe – vor allem bei Elektronikkomponenten – kompensieren, sind Redesigns der Elektronik unserer Produkte mit lieferbaren Komponenten. Auf diese Weise konnten wir bereits eine Vielzahl unserer Lösungen vor dem Produktionsstopps bewahren.“
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Aufgrund der anhaltenden Sanktionsmaßnahmen mache der Automatisierungsspezialist aus Mülheim nach wie vor keine Geschäfte mit Russland. „Auch mit der Ukraine gibt es derzeit keine aktive Geschäftsbeziehung, da unser dortiger Vertriebspartner sein Geschäft nach Ausbruch des Krieges eingestellt hat“, sagt Geschäftsführer Christian Wolf.
Mülheimer Turck-Gruppe konnte Rückgang im Russland-Geschäft kompensieren
Den Rückgang im Russland-Geschäft konnte die Turck-Gruppe eigenen Angaben zufolge durch das Wachstum in anderen Vertriebsregionen weltweit deutlich kompensieren. „Auch in diesem Jahr erwarten wir ein zweistelliges Wachstum. Zumindest im ersten Halbjahr liegen wir in der Automation etwa 15 Prozent über Vorjahr und damit über Plan“, so Wolf, der allerdings registriert: „Allgemein ist die Stimmung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung etwas eingetrübt. Eine erste leichte Abschwächung der Auftragseingänge ist daher auch bei uns bereits spürbar.“
Das Unternehmen hinterfrage daher aktuell jede geplante Investition. „Wenn es darum geht, Produktionsprozesse beispielsweise durch neue Maschinen zu optimieren und so die Lieferzeiten für unsere Kunden zu reduzieren, dann würden wir diese Investitionen derzeit nicht aufschieben“, ordnet der Turck-Chef ein und betont: „Auch Investitionen in unsere Mitarbeiter stehen nicht zur Disposition.“ Derzeit seien bei der Firmen-Gruppe mehr als 90 Stellen allein an den vier deutschen Standorten vakant.
Mit Blick auf eine reduzierte Gasmenge sagt Christian Wolf: „Da wir Gas zu Heizzwecken verwenden, arbeiten wir aktuell an alternativen Szenarios, um alle erforderlichen Rahmenbedingungen für die Produktion und die Büroräume aufrechterhalten zu können.“
Petrochemische Erzeugnisse aus dem Mülheimer Hafen: Keine Lieferungen nach Russland
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Die DHC Solvent Chemie GmbH produziert im Mülheimer Hafengebiet Lösemittel-Spezialitäten aus Mineralöl und anderen petrochemischen Erzeugnissen. Dort liegen die Geschäftsbeziehungen mit Russland seit Monaten auf Eis. „Vor dem Krieg gab es vereinzelt Lieferungen nach Russland, die aber mit Beginn der Sanktionen eingestellt worden sind“, schildert die Geschäftsführung des Unternehmens an der Timmerhellstraße. Ob und wie der Betrieb den Wegfall des Russlandgeschäftes kompensieren kann, bleibt offen: Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen will sich DHC Solvent nicht zu aktuellen Umsatz- und Absatzverläufen äußern und auch keine Auskünfte über Investitionsvorhaben geben.
Unter Rohstoff-Engpässen oder unterbrochenen Lieferketten leide das Unternehmen derzeit nicht, heißt es: „Die DHC wird ausschließlich aus der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen mit petrochemischen Grundprodukten beliefert. Hier gab und gibt es keine Einschränkungen.“ Doch angesichts eines drohenden Gassenpasses oder gar -stopps will DHC Solvent aktiv werden: „Wir prüfen derzeit eine Umstellung des Anlagenbetriebs von Gas auf Heizöl, um im Falle einer Rationierung oder eines Lieferstopps die Anlagen weiterbetreiben zu können.“