Mülheim. Georg Beyer fertigte ab November 1945 in Mülheim Blechspielzeug. Heute produziert der Betrieb individuelle Maschinenteile. Eine Firmengeschichte.
Vom kleinen Spielzeug aus Blechresten zu individuell angefertigten Maschinenteilen. Das ist die absolute Kurzform der Firmengeschichte der Georg Beyer-Gesellschaft. Dazwischen liegen siebeneinhalb Jahrzehnte, in denen der Chef den Standort und mehrmals die Maschinen wechselte, während seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „ihrer“ Firma oft ein ganzes Arbeitsleben treu bleiben.
Was am 6. November 1945 die britische Besatzungsmacht erlaubte, ist nach 75 Jahren noch aktuell: Der Metallverarbeitung bleibt das Unternehmen verbunden. Die Belegschaft arbeitet fast ausschließlich für den Heimatmarkt. Sie fertigt Stücke, damit Maschinen möglichst geringe Ausfallzeiten haben. Das sind häufig größere und schwere „Spielzeuge“.
Der Firmengründer Georg Beyer möchte nach dem Zweiten Weltkrieg Werkzeug- und Maschinenbau betreiben. Aber die Alliierten sind mit der Demontage von Industrieanlagen im besiegten Deutschland beschäftigt. Maschinenbau ist daher in Deutschland in dieser Zeit gar nicht erwünscht.
Familie Thyssen stellt Gebäude für den Betriebsstart
Folglich stellt Georg Beyer bei der örtlichen Militäraufsicht einen anders lautenden Antrag. Die in Englisch und Deutsch ausgefertigte Urkunde mit der Nummer 457 vom 6. November 1945 erlaubt ihm dann die die Betriebsgründung – zum Stanzen von Blechspielzeug. Diese Sondergenehmigung trägt die Unterschriften des britischen Stadtkommandanten und des Ende Oktober von den Alliierten wieder in sein Amt eingesetzten Oberbürgermeisters Edwin Hasenjaeger.
Weil eine Produktionsstätte nicht in Sicht ist, nutzt die Mutter des Firmengründers ihre Bekanntschaft zur Familie Thyssen. Diese helfen mit einem kleinen Gebäude an der Dohne 56 aus, im Schatten der heute noch dort stehenden Villa. Georg Beyer eröffnet dort seine Spielzeugfabrik.
Blechstücke bei Bauern auf dem Land gesammelt
„Aber Blech war damals Mangelware“, gibt Silvia Butterweck Erzählungen des Firmengründers wieder. Sie ist seit 43 Jahren in der Firma, kennt jede Ecke in den Büros und der Produktionshalle. „Also fuhren Herr Beyer und die Familienmitglieder über Land. Sie sammelten bei Bauern und in Privathaushalten Blechstücke, um daraus die Spielzeuge zu formen.“
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Nach der Währungsreform im Juni 1948 bessert sich die Rohstoffversorgung für den Mülheimer Spielzeughersteller. Georg Beyer baut parallel den Maschinenbau auf, „weil er das immer als ein sicheres Geschäft sah“, schildert Silvia Butterweck. Am 12. Juli 1955 erfolgt die Änderung im Handelsregister als Maschinenbaubetrieb. Wenige Spielzeuge aus Blech bleiben in der Familienvitrine unter Verschluss.
Einzelstücke werden nach Vorgaben angefertigt
Neben Betrieben aus der Nachbarschaft sorgt die Chemische Industrie für volle Auftragsbücher. Die Produktionsstätte an der Dohne reicht nicht mehr. Der Betrieb zieht in eine größere Halle zur Neustadtstraße nach Styrum. Der Gründer erscheint seltener in der Firma. Seine Tochter übernimmt die Geschäftsführung mit einem langjährigen Mitarbeiter.
Beyer hat 15 Mitarbeiter
Die Beyer GmbH beschäftigt aktuell 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Firmenleitung, Verkauf und Produktion sind in einem Gebäude an der Neustadtstraße 30 zu Hause. Viele der Fachleute arbeiten in Styrum bereits seit Jahrzehnten.
In der Halle fräst ein Kollege ein Einzelteil für einen Neukunden. „Das wird präzise und termingerecht fertig“, weiß Thomas Kretschmer um die Qualität seiner Mitarbeiter und die „Spielzeuge“, die sie mit Maschinen- und Computerhilfe fertigen.
Im Laufe der Jahre setzt der familiär geführte Betrieb zunehmend auf Spezialstücke und Einzelanfertigungen für Maschinen. „Wir bekommen von unseren Kunden Zeichnungen als Vorgabe und fertigen das gewünschte Bauteil an“, beschreibt Thomas Kretschmer die Arbeitsweise. Er ist seit zwei Jahren Geschäftsführer der Georg Beyer GmbH und setzt die Tradition des Familienbetriebes fort.
„Die Neustadtstraße war früher ein belebtes Pflaster“
„Wir haben Stammkunden, die seit Jahrzehnten bei uns bestellen. Häufiger muss es schnell gehen, dann drehen, fräsen und bohren wir auch am Wochenende eine Welle oder Zylinder“, sagt Kretschmer. Sein Betriebsleiter Dieter Poschmann zeigt auf eine Palette mit glänzenden Metallteilen: „Das sind Siebe für einen Betrieb aus der Nachbarschaft.“ Auf dem Hof rangiert ein Sattelschlepper mit unbearbeiteten Metallblöcken.
Die Büros der Firmenleitung sind klein. „Dieser Anbau kam erst später, als zusätzliche Maschinen in der Halle Platz brauchten“, erinnert sich Silvia Butterweck, heute Prokuristin. Als sie mit 15 bei Beyer ihre Lehre beginnt, ist die Neustadtstraße ein belebtes Pflaster. „Der Schichtwechsel bei Mannesmann, da war in den Kneipen was los. Parkplätze waren später Mangelware.“ Heute ist es ruhig auf der Neustadtstraße. Die meisten Kneipen haben lange vor Corona endgültig die Zapfhähne hochgedreht. Die vielen Parkplätze braucht kaum jemand.