Mülheim. Die Perspektiven sind nicht rosig für Industrie-Betriebe in Mülheim, wenn der Gas-Engpass bestehen bleibt oder es gar zum Stopp kommt. Die Gründe.
Es ist die Summe aus vielerlei Problemen, die die hiesigen Industrie-Unternehmen und industrienahen Betriebe aktuell umtreibt: Zu den Folgen der Corona-Pandemie kommen längst Fachkräftemangel, Lieferengpässe und Materialknappheit sowie inzwischen durch den Krieg in der Ukraine auch die Sorge ums Gas. Der Unternehmerverband Mülheimer Wirtschaft malt eine düstere Perspektive. Manche Betriebe sprechen von drohendem Produktionsstillstand.
Das produzierende Gewerbe ächzt unter Rohstoff-Engpässen und unterbrochenen Lieferketten, spürt seit Jahren die größer werdenden Lücken in den Reihen der Fachkräfte und muss nun auch noch befürchten, angesichts des Krieges, ohne Gas dazustehen – bei hoher Inflation. Wie es weiter geht, wie sie die Schwierigkeiten meistern sollen, darauf haben aktuell die wenigsten Betriebe eine Antwort, hören die Verantwortlichen beim Unternehmerverband von ihren Mitgliedern, die schwerpunktmäßig aus der Metall- und Elektroindustrie stammen.
Auswirkungen eines Gas-Stopps wären auch für Mülheimer Betriebe eklatant
„Niemand soll zu Hause frieren müssen, doch die Auswirkungen eines Gas-Stopps wären für die Betriebe – gerade in produzierenden und technischen Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie – ungleich größer als für Privathaushalte“, sagt Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerver-bandsgruppe.
Mit Blick auf Hüttenbetriebe und Gießereien wie die Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte verdeutlicht Kerstin Einert-Pieper, Geschäftsführerin des Unternehmerverbandes Mülheimer Wirtschaft: „Da stecken riesige Prozesse hinter, da drückt man nicht einfach ein Knöpfchen und die Maschinen laufen wieder. Wenn ein Hochofen runtergefahren werden muss, ist der danach im Zweifel kaputt.“ Da sei die Kälte am Ende vielleicht das geringste Problem, meint Einert-Pieper und verweist auf die Prozesse, bei denen Gas aus anderen Gründen als zum Heizen benötigt wird, wie etwa in der Chemie-Industrie und auch in der Lebensmittelherstellung.
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Gleichwohl wolle er nicht dazu beitragen, betont Schmitz, die Interessen gegeneinander auszuspielen, und stellt klar: „Es geht ja nicht darum, dass es die Beschäftigten in den Fabrikhallen schön warm haben, sondern darum, dass die Prozesse weiterlaufen.“
Betriebe legen Investitionsvorhaben auf Eis und fürchten Produktionsstopp
Die Verunsicherung in den Betrieben sei groß, das spiegelten auch aktuelle Umfrageergebnisse wider: Fast jeder vierte Betrieb in der Rhein-Ruhr-Region sieht sich demnach laut Unternehmerverband angesichts angespannter Lieferketten, exorbitanter Preissteigerungen und eingeschränkter Produktionsabläufe wirtschaftlich gefährdet. „Drei von vier Betrieben haben angekündigt, geplante Investitionsvorhaben radikal zu reduzieren oder zu verschieben“, skizziert Schmitz.
Sollte es tatsächlich zum Stopp russischer Gaslieferungen kommen, befürchten die angeschlossenen Arbeitgeber laut Unternehmerverband eine weitere drastische Verschlechterung der Wirtschaftslage: Vier von fünf Betrieben wären davon direkt oder indirekt betroffen, so Schmitz. Rund die Hälfte der Unternehmen rechnen mit Auswirkungen auf die eigene Produktion, etwas mehr als 50 Prozent sehen eine Gefährdung der Lieferungen von Vorleistungsgütern auf sie zukommen, die sie für ihre Produktionsprozesse benötigen. 25 Prozent rechneten gar mit einem Produktionsstilland. „Solche dramatischen Ergebnisse hatten wir noch nie“, ordnet der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerver-bandsgruppe ein.
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Angesichts dieser massiven Einschnitte scheinen Digitalisierung und Transformation in den Hintergrund gerückt zu sein. „Doch das können wir uns nicht leisten. Wir müssen uns da aufstellen, damit wir wettbewerbsfähig mit unserer internationalen Konkurrenz bleiben“, fordert Schmitz und räumt ein: „Wir waren auch schon vor Corona nicht die Vorreiter.“
Digitalisierung und Transformation stehen angesichts der Einschnitte hinten an
Unternehmen, die wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, könnten nach wie vor Kurzarbeit ausrufen. „Allerdings ist die Kurzarbeit durch die Corona-Phase schon sehr strapaziert worden“, sagt Kerstin Einert-Pieper und fragt: „Reicht die Kurzarbeit, um durch diese Krise zu kommen?“ Zahlreiche Arbeitgeber hätten in den zurückliegenden Kurzarbeitsphasen freiwillig Aufstockungen für ihre Mitarbeitenden geleistet. „Das zeigt, wie sehr sie sich um ihre Mitarbeiter sorgen, bleibt aber die Frage, ob sie das auch künftig noch können“, sagt Schmitz. Einert-Pieper schildert aus Gesprächen mit den Mitgliedsunternehmen ihren Eindruck: „Es herrscht das Gefühl, sich auf dünnem Eis zu bewegen. Das ist die Stimmung in allen Betrieben – branchenübergreifend.“
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Mit Blick auf die hohen Teuerungsraten sieht Schmitz nicht nur die Betriebe unter Druck, sondern auch viele Mülheimer und Mülheimerinnen, die mit ihrem Einkommen der Mittelschicht angehören. Die aktuelle Lohnforderung der IG Metall von acht Prozent sehe er trotz der hohen Inflationsrate nicht gerechtfertigt – im Gegenteil: „Ein solch großes Lohnplus würde viele Betriebe der Metall- und Elektroindustrie, die einen hohen Personalkostenanteil haben, überfordern. Und niemandem ist damit geholfen, wenn Arbeitsplätze verloren gehen würden.“
Tarifrunde in der Metallindustrie: Unternehmerverband hält Forderung für überzogen
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Schmitz, der selbst Mitglied in der Tarif- und der Verhandlungskommission ist, hält es für lohnenswert, stattdessen über andere Wege nachzudenken als nur über lineare Tariferhöhungen, sondern auch arbeitsplatzerhaltende und -sichernde Maßnahmen zu fördern. „Das ist auch Geld wert, auch wenn man das nicht sofort auf dem Lohnzettel sieht.“ Dabei sieht der Unternehmerverband auch die Politik in der Pflicht: Eine Aufschublösung könnte hilfreich sein, sagt Schmitz, „damit wir die Probleme der Welt nicht alle gleichzeitig lösen müssen. Mit einer Einmalzahlung, ähnlich der Corona-Prämie, könnte man den Druck vom Kessel nehmen.“ Auch Kerstin Einert-Pieper hielte das für eine gute Idee: „Dann kämen die Euros auch bei den Leuten an.“
Die Perspektive sei aus wirtschaftlicher Sicht eher düster, sagt der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe und warnt vor sozialen Verwerfungen: „Die Sorglosigkeit und der Wohlstand, wie wir es in den vergangenen Jahren erlebt haben, das ist erstmal vorbei.“