Mülheim. Die Impfpflicht gilt und belastet das Gesundheitsamt. Hunderte Beschäftigte in Mülheim sind noch ungeimpft. Novavax-Kampagne läuft enttäuschend.

Nach drei Monaten Vorlauf und heißen Diskussionen gilt sie jetzt: die einrichtungsbezogene Impflicht. Ab 16. März dürfen im gesamten Medizin- und Gesundheitsbereich nur noch vollständig geimpfte Personen arbeiten oder Menschen mit entsprechendem Attest. Doch die Impfskeptiker in diesen Berufen bleiben standhaft und müssen vorerst auch keine Konsequenzen fürchten.

In Mülheim dürften, wie auch NRW-weit, vier bis fünf Prozent der Beschäftigten in Kranken- oder Pflegeeinrichtungen ungeimpft sein. Dafür sprechen Zahlen, die die städtische Heimaufsicht erhoben hat: In stationären Pflegeheimen liegt die Impfquote aktuell bei etwas über 94 Prozent, bei den ambulanten Diensten beträgt sie gut 96 Prozent. Insgesamt arbeiten etwa 3050 Personen in Mülheim in der Pflege und Betreuung alter oder behinderter Menschen - grob hochgerechnet also rund 150 ohne vollständigen Impfschutz.

Etwa fünf Prozent Ungeimpfte am Ev. Krankenhaus Mülheim

Ein ähnliches Bild ergibt sich im Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM). Eine Sprecherin teilte am Stichtag 16. März auf Anfrage mit: „Wir haben aktuell eine Impfquote von 95 bis 96 Prozent. Einige Meldungen stehen noch aus.“ Die Impfquote im Krankenhaus sei schon gut - „wir haben ja auch alle gesehen, was Corona bedeutet“. Doch schätzungsweise fünf Prozent Ungeimpfte gibt es auch hier, bei insgesamt gut 1100 Mitarbeitenden immerhin 55 Arbeitskräfte.

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Darunter sind allerdings auch Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. „Die Originalatteste müssen dem Gesundheitsamt vorlegt werden“, so die Sprecherin. Die Einrichtungen haben noch zwei Wochen Karenzzeit - das Gesundheitsamt erwartet die Meldungen bis zum 31. März.

Eine deutlich höhere Impfquote wurde offenbar im Mülheimer St.-Marien-Hospital (SMH) erreicht: Dort heißt es, mehr als 99 Prozent der Beschäftigten im Ärztlichen Dienst sowie im Pflege- und Funktionsdienst seien jetzt vollständig geimpft. Insgesamt arbeiten dort fast 800 Menschen. Eine Sprecherin erklärt: „Mit Blick auf die wenigen Einzelfälle sind wir auf alle Entscheidungen des Gesundheitsamtes vorbereitet.“

Einzelfälle sind auch die Ungeimpften im Team der Mülheimer Seniorendienste. Geschäftsführer Alexander Keppers spricht von sieben seiner 401 Mitarbeitenden.

Gesundheitsamt muss jeden Einzelfall prüfen und die Impfpflicht durchsetzen

Meldepflichtig bis Ende dieses Monats sind auch alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Mülheim. „Es gibt tatsächlich noch Ungeimpfte in einigen Praxen, wenn auch nur wenige“, berichtet Dr. Stephan von Lackum, KV-Vertreter und Leitender Impfarzt in Mülheim. Die KV hat keine konkreten Zahlen, aber auch keinerlei Kontrollpflicht. „Das Gesundheitsamt muss die Impfpflicht überprüfen und für jeden Einzelnen durchsetzen“, sagt von Lackum. „Das ist sehr aufwendig.“

In die ohnehin belastete Behörde drängt viel zusätzliche Arbeit. Ende Januar stellte die Mülheimer Stadtverwaltung eine erste grobe Schätzung an, wonach 1000, wenn nicht gar 1500 Meldungen von Ungeimpften eingehen könnten, wenn man wirklich alle Beschäftigten berücksichtigt, auch Minijobber, Freiberufler, Hilfsorganisationen. Jetzt heißt es: „Sicherlich kann die Zahl nach unten korrigiert werden“, da sich noch viele Betroffene impfen ließen. Am 16. März lagen nach Auskunft der Stadt die ersten 41 Meldungen vor. Das Gesundheitsamt hat extra eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die jeden Fall prüft, bei Bedarf Unterlagen nachfordert, Anhörungen durchführt.

Es gibt auch einen Ermessensspielraum, eine Abwägung: So könne die Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen temporär zurückgestellt werden, wenn ansonsten die Versorgung der Patienten gefährdet sei.

Auch Ungeimpfte haben gültige Arbeitsverträge

Hinzu kommt: Der juristische Umgang mit den Ungeimpften ist heikel, das hat auch Mülheims Krisenstabsleiter Dr. Frank Steinfort schon mehrfach betont. Denn sie haben gültige Arbeitsverträge, können sich auf das Grundrecht der freien Berufsausübung berufen, könnten die Stadt verklagen...

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Ibrahim Haggi führt eine größere Physiotherapiepraxis in Mülheim, „Frei in Bewegung!“ Acht Mitarbeitende gehören zu seinem Team, „zum Glück sind alle geimpft“, sagt der Chef, so dass er niemanden melden muss. Doch auch sein Betrieb habe von der Stadt Mülheim eine E-Mail bekommen, in der auf das digitale Meldeportal hingewiesen wird, das über die städtische Homepage erreichbar ist. Die Praxen sollen nicht anrufen, keine Briefe schreiben, „das Gesundheitsamt“, so der Physiotherapeut, „ist ohnehin schon überlaufen“.

Novavax zieht nicht: „Enttäuschend geringe Nachfrage“

Dass jetzt mit Novavax auch in Mülheim ein alternativer Impfstoff zur Verfügung steht, beflügelt die Impfbereitschaft bislang nicht. Aus dem Evangelischen Krankenhaus heißt es, die Nachfrage sei „enttäuschend gering“, obwohl die Betriebsärztin weiterhin regelmäßige Impfangebote macht, auch mit Novavax. Ohnehin hätten sich seit Jahresbeginn, seit klar ist, dass die Impfpflicht kommt, maximal 20 Nachzügler impfen lassen. „Da gab es leider keinen Boom“, sagt eine Krankenhaussprecherin. „Wir versuchen aber weiterhin, auf die Ungeimpften einzuwirken.“

Gesundheitsamt prüft jeden Einzelfall

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wurde Mitte Dezember 2021 per Bundesgesetz beschlossen und gilt offiziell ab 16. März 2022.

Alle Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen, im Rettungsdienst und in sonstigen Heilberufen müssen ihrem Arbeitgeber einen Impfnachweis vorlegen oder ein ärztliches Attest, das eine Impfung ausschließt.

Ungeimpfte müssen dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Die Stadt Mülheim gibt den Arbeitgebern dafür Zeit bis zum 31. März.

Anschließend sollen Einzelfallentscheidungen getroffen werden, dafür haben die Behörden Zeit bis zum 15. Juni. Per Gesetz kann das Gesundheitsamt Ungeimpften die Arbeit in Kliniken, Heimen, Praxen etc. verbieten.

Impfarzt Dr. von Lackum stellt fest: „Die Novavax-Kampagne hat gar nichts gebracht. Die Nachfrage der niedergelassenen Ärzte an der Impfstelle war gleich null.“ In mindestens einer Mülheimer Arztpraxis habe ein anderes Mittel geholfen, eine ungeimpfte Mitarbeiterin umzustimmen. Der Chef bot eine Prämienzahlung, weil er die Fachkraft nicht verlieren wollte. „Das“, so von Lackum, „hat gezogen.“