Mülheim. 2G hat Impfgegnern viele Türen verschlossen. Manche protestieren, andere verzichten und sitzen es aus. Ein „Optimist“ aus Mülheim berichtet.
In Mülheims Mitte, etwa am Fossilienweg oder an der Kfar-Saba-Brücke, sind in jüngster Zeit massenhaft Parolen aufgetaucht: „Impfen tötet“. Irgendjemand hat sie mit schwarzer Farbe auf Stein oder Metall gesprüht, wollte sich offenbar als harter Impfgegner verewigen.
Doch die Stadt Mülheim stellt klar, dass sie solche Graffiti-Tags als Sachbeschädigung ansieht und sofort entfernen will. „Je schneller das weg ist, desto besser“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels. „Erst recht in diesen Zeiten.“
Impfgegner laufen demonstrierend durch Mülheim
In diesen Zeiten gibt es - an der Impfquote ablesbar - etliche Menschen in Mülheim, denen die Corona-Impfung zutiefst widerstrebt. Die sich auch durch 2G-Auflagen in vielen Lebensbereichen nicht umstimmen lassen - eher im Gegenteil. Einige von ihnen laufen mit Herzchenluftballons demonstrierend durch die Innenstadt, andere ziehen sich grollend zurück oder ringen auf Intensivstationen um ihr Leben, wo nachweislich wesentlich mehr Ungeimpfte eingeliefert werden. Sehr schwierig ist es, Impfkritiker zu finden, die öffentlich über ihre Haltung reden - schließlich fühlen sie sich von der Mehrheit ausgegrenzt und diskriminiert.
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Der Mülheimer Niklas G. spricht bereitwillig und ausführlich über seine Entscheidung, ungeimpft zu bleiben, und über die Einschränkungen, die 2G für ihn mit sich bringt. Doch seinen echten Namen möchte der 60-Jährige nicht veröffentlicht sehen. Nur so viel: Er arbeitet freiberuflich im therapeutischen Bereich.
Mülheimer Impfkritiker: „Ich möchte kein Versuchskaninchen sein“
„Impfen tötet“ - oder: kann tödlich sein, in diese Richtung gehen auch die Befürchtungen von Niklas G., dem nach einem Herzinfarkt zwei Stents gesetzt werden mussten. Impfstoffe befänden sich weltweit im Teststadium, argumentiert er. „Ich möchte kein Versuchskaninchen sein und sehe eine größere Gefahr durch Nebenwirkungen thrombotischer Art als durch eine Corona-Infektion.“
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Ohnehin fürchte er das Virus nicht sonderlich, erläutert der Mülheimer, denn auch vor einer Grippe habe er niemals Angst gehabt, obwohl sie ihn schon erwischte: „Ich hatte zwei Mal in meinem Leben eine ordentliche Influenza, die mich für neun, zehn Tage richtig umgehauen hat.“
„Ja, es sterben Menschen an Covid, und das ist bedauerlich“
Ähnlich schätzt er die Gefährlichkeit von Corona ein, keinesfalls höher. „Ja, es sterben Menschen an Covid und das ist bedauerlich. Aber auch an einem grippalen Infekt sterben jährlich Menschen, die Vorerkrankungen haben oder sehr alt sind. Ich bezweifle die Behauptung einer besonderen Dramatik.“ Eine erhöhte Sterberate aufgrund der Pandemie, wie sie erst kürzlich Experten des Statistischen Bundesamtes vorgerechnet haben, lässt er nicht gelten.
Mit großer Distanz und tiefgreifendem Misstrauen äußert sich Niklas G. über die politischen Entscheidungen der vergangenen anderthalb Jahre. Hinnehmen muss er den Beschluss, in vielfältigen Bereichen des öffentlichen Lebens die 2G-Regelung einzuführen, in den meisten Geschäften, in allen Kinos, Restaurants, Cafés. Niklas G. fügt sich.
Erkenntnis aus 2G: Manche Sachen braucht man gar nicht
„Ich lebe generell eher zurückgezogen“, sagt er, „und halte mich viel zu Hause auf.“ Was ihm tatsächlich fehle: Training in seiner Tai-Chi-Schule, Kultur, Konzerte, Besuch von Galerien. Zwei Möglichkeiten sieht er in seiner momentanen Situation: „Entweder fällt einem die Decke auf den Kopf, oder man denkt über sich selber nach. Und mich hat 2G zu der Erkenntnis geführt, dass ich manche Sachen, denen ich nicht mehr beiwohnen darf, gar nicht brauche. Etwa einen Weihnachtsmarkt.“
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Im Privaten gehe er „ganz normal“ mit anderen um, akzeptiere auch das Impfen als freie, persönliche Entscheidung. „Ich mache anderen keinen Vorwurf.“ Ruhig geworden sei es allerdings in seiner therapeutischen Praxis, berichtet der Impfverweigerer, in die jetzt viel weniger Klienten kämen. Der Umsatz sei spürbar gesunken. „Ich nehme Corona-Hilfen der Regierung in Anspruch“, sagt Niklas G., „ohne die hätte ich schon abschließen müssen.“
An Demonstrationen von Impfkritikern habe er sich bislang nicht beteiligt. „Es imponiert mir, aber ich halte es für unwirksam.“ Gleichwohl bleibe er Optimist, betont der Mülheimer. „Ich bin zuversichtlich, denn alles wird ein Ende haben. Irgendwann ist das Virus weg. Man kann diese Geschichte nicht ewig hochhalten.“
Spezielle Jobbörsen für Ungeimpfte - auch Mülheimerinnen suchen neue Stellen
Sich einschränken und abwarten - diesen Weg hat Niklas G. als Freiberufler gewählt. Wer eine angestellte Beschäftigung hat oder sucht, muss sich der 3G-Regelung beugen. Für Ungeimpfte bedeutet das: tägliches Testen, und einige von ihnen suchen die Lösung in einer Parallelwelt.
Mittlerweile gibt es spezielle Online-Jobbörsen, in denen sich Leute suchen und finden, die dem behaupteten „Impfzwang“ in der Berufswelt entgehen möchten. Viele Jobangebote oder -gesuche sind dort offen sichtbar, ohne Registrierung oder Umweg über den vom Impfgegner bevorzugten Messengerdienst Telegram.
Online-Portal nennt Corona „sogenannte Pandemie“
Auf impffrei.life beispielsweise suchen auch zwei Mülheimerinnen eine neue Stelle. Das Portal definiert sich als „Alternative Jobgemeinde“, die Gleichgesinnte zusammenbringen möchte. Von der „sogenannten Pandemie“ wird dort gesprochen, von „Ausgrenzung und Diffamierung“ Ungeimpfter, von „schweren gesundheitlichen Schäden“, die angeblich durch mRNA-Impfstoffe drohen.
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Unter diesem Dach fühlen sich auch zwei Frauen aus Mülheim offenbar gut aufgehoben, die dort mit Porträtfotos und kurzen Profilen nach neuen Stellen suchen, die eine als „Quereinsteigerin“, die andere als Allroundkraft im Büro oder im Kundenservice. Doch nur ein kleiner Ausschnitt des Jobportals ist offen zugänglich. Die „alternative Gemeinde“ kommuniziert über Telegram oder den Instant-Messenger Rocket.Chat („sicher, verschlüsselt und zensurfrei“).
Auf Interviewanfragen dieser Redaktion, verbunden mit dem Angebot, sich anonym zu äußern, haben die beiden arbeitssuchenden Impfgegnerinnen nicht reagiert.