Mülheim. Schwierig war die Corona-Zeit für Ausbildungssuchende. In Mülheim aber hat sich ihre Lage verbessert: Es gibt mehr offene Stellen als Bewerbende.

Schwierig ist nach wie vor die Situation für Auszubildende im zweiten Corona-Jahr: Zwar haben viele Unternehmen und auch die Berufsberatungen auf die Pandemie mit alternativen Angeboten wie Online-Beratung, Kennenlern-Spaziergängen (Walk & Talk) oder Betriebsbesuchen in kleinen Gruppen reagiert. Doch die vielen noch offenen Stellen machen deutlich, wie mühselig das „Matchmaking“ zwischen Betrieb und Bewerbenden ist.

Fachkräftemangel kündigt sich an: 1081 offene Ausbildungsplätze stehen 1020 Bewerbenden gegenüber

Dabei gibt es für junge Bewerberinnen und Bewerber in Mülheim ein deutliches Plus: Den 1081 Ausbildungsplätzen stehen 1020 künftige Azubis gegenüber. In der Theorie zumindest, scheint damit eine Stelle also garantiert. Der Trend deutete sich bereits vor Corona an, schon 2018/2019 war das Verhältnis nahezu eins zu eins, das vormals große Interesse an einer Ausbildung sank seitdem schneller als die Stellen.

Zwar nehmen die Ausbildungsverträge wieder zu, wie Kerstin Groß, Hauptgeschäftsführerin der IHK zu Essen, berichten kann: 531 wurden in diesem Jahr abgeschlossen, ein Plus von 8,8 Prozent. Doch nach vielen Jahren, in denen Unternehmen in der Stadt die wenigeren Ausbildungsstellen mit dem richtigen unter vielen Bewerbern besetzen konnten, scheint nun also der seit langem prognostizierte Fachkräftemangel vor der Tür zu stehen: „Wir laufen in eine Lücke hinein“, bekräftigt Groß. Durch die Pandemie habe sich das Problem, den geeigneten Auszubildenden zu finden, verschärft.

Große Chancen hat der Nachwuchs, einen Betrieb zu übernehmen

DGB fordert Ausbildungsgarantie

Das Engagement von Unternehmen trotz starker Belastung durch Corona und hohe Energiekosten in umweltpolitische Ziele zu investieren, lobte Elisabeth Schulte vom Unternehmerverband.

Sie wies darauf hin, dass ein großer Teil der Ausbildungssuchenden aktuell bereits „Altbewerber“ seien, die in den vergangenen Jahren keine Ausbildung gefunden haben. „Die Gründe dafür sind vielschichtig und müssen aufgearbeitet werden.“

Gewerkschaftler Dieter Hillebrand (DGB) mahnte, dass das Verhältnis zwischen Stellen und Bewerbern in Mülheim zwar scheinbar ausgeglichen sei, aber dennoch nicht jeder einen Platz erhalte. „Jeder fünfte Mensch hat in Deutschland keinen Berufsabschluss mehr. Warum kommen beide Seiten nicht zusammen? Das ist nicht hinnehmbar“, bekräftigte Hillebrand die Gewerkschaftsforderung nach einer Ausbildungsgarantie.

Dabei sind die Chancen aus Sicht etwa der Handwerkerschaft sehr gut etwa im Bereich Elektrik, als Maler oder im Anlagenbereich, weiß Barbara Yeboah, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Mülheim. Die Zahl der Ausbildungsverträge liegt mit 231 „einen Strich“ über der vor Corona (222). Und besser noch sind die Ausblicke als künftiger Chef eines Betriebs. Denn in vielen Bereichen ist der Inhaber im Durchschnitt über 50 Jahre – es bahnt sich also ein Generationenwechsel an. Nur fehlt halt der Nachwuchs.

124 Stellen sind derzeit im Oktober noch offen - meldet die Arbeitsagentur – nur noch 50 junge Menschen suchen eine Stelle. Doch Angebot und Nachfrage gehen nicht selten scharf auseinander: Besonders hoch war das Angebot im September 2021 – erwartungsgemäß – bei den Berufen „Verkäufer“ (129), Kaufmann/-frau im Einzelhandel (86) und Elektroniker sowie der Gebäudetechnik (61) gewesen.

Gesucht werden Verkäufer, Elektroniker und Kauffrau, doch das Interesse junger Leute liegt oft anderswo

Das Interesse jedoch liegt zwar auch unangefochten im Verkauf (90), für den Elektroniker interessieren sich jedoch nur 25, für die Kauffrau im Einzelhandel immerhin noch 45. Weiter oben liegen aber „Büromanagement“ (71) und Kfz-Mechatroniker (56). Diese Stellen wiederum werden weniger angeboten.

Eine Ursache für die Mülheimer Unwucht von Stellen und Interessen – in der Nachbarstadt Oberhausen ist es genau umgekehrt – liegt aus Sicht der Agentur in der Pandemie: Die Schulen liefen nicht verlässlich, Homeschooling aber sorgte auch für weniger Kontaktmöglichkeiten für Berufsberater, Messen fielen aus. Die Alternativen wie Telefon- und Onlineberatung waren zwar schnell auf die Beine gestellt, blieben oftmals aber abstrakt – die persönliche Ebene fehlte für die wichtige Vermittlungsebene.

Arbeitgeber loben „Corona-Generation“ als krisenstark und kompetent in der Selbstführung

Hinzu kam die große Verunsicherung und Belastung der Jugendlichen. Das kann nicht nur Gabriele Sowa, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Mülheim, sondern auch der Sozialamtsleiter Thomas Konietzka für die Fallmanager im U 25-Haus bestätigen. „Der persönliche Kontakt ist durch Telefonate und Videogespräche nicht zu ersetzen.“ Besonders Jugendliche mit Bildungsschwächen waren durch Corona benachteiligt. Erst ab Mai 2021 konnten die Fallmanager des U 25-Haus solche Gespräche wieder erfolgreich führen: 700 waren es seitdem.

Wie aber schätzen die Arbeitgeber die Auswirkungen des unsicheren Schulbetriebs in der Pandemie für die Ausbildung ein? Gibt es Skepsis? IHK-Geschäftsführerin Kerstin Groß bricht eine Lanze für die so genannte Corona-Generation: „Gerade junge Leute haben innere Stärken, Resilienz in der Krise gezeigt und ihre Kompetenz zur Selbstführung bewiesen.“