Mülheim. Schwester Marta leidet an Long Covid, doch sie arbeitet wieder, auf einer Mülheimer Intensivstation. So will sie „aus dem Alptraum rauskommen“.
Schichtwechsel auf der Intensivstation im Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM). Schwester Marta rauscht in himmelblauer Arbeitskleidung heran. Ihr Körper wirkt stark, ihre Schritte dynamisch, ihre Augen lächeln über der FFP2-Maske. Was niemand sieht: Die Intensivpflegerin leidet immer noch an Long Covid. Der Alltag kostet sie ungeheuer viel Kraft.
Mülheimer Intensivschwester: „Covid hat mein Leben zerstört“
Die 35-Jährige erklärt: „Ich arbeite wieder - aber nicht, weil ich gesund bin. Sondern ich arbeite, um gesund zu werden. Um aus diesem Alptraum rauszukommen.“ Anfang Juli hat sie mit einer beruflichen Wiedereingliederung begonnen, „um nicht noch länger zu Hause herumzuliegen und sich Gedanken zu machen“. Gedanken darüber, was das Virus kaputt gemacht, was sie alles verloren hat. Schwester Marta trauert, sie sagt: „Covid hat mein Leben zerstört. Es hat alles zerstört, was ich mir aufgebaut habe.“
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Vor kurzem ist zu allem Unglück ihre Partnerschaft zerbrochen, nach 15 Jahren. Ja, wegen ihrer Erkrankung, sagt Marta Kulakowska. „Zu viele Schicksalsschläge.“ Auch von vielen Freunden fühlte sie sich in ihrem Leiden, ihrem Bedürfnis nach Ruhe, nicht mehr verstanden. Im Beruf musste sie sich von Karrierezielen verabschieden und hat die Fachbereichsleitung abgegeben.
Erster Versuch einer beruflichen Wiedereingliederung scheiterte im März
Vor einem halben Jahr, als wir Marta Kulakowska zum ersten Mal getroffen und gesprochen haben, war an Arbeit auf der Intensivstation überhaupt nicht zu denken und ein erster Versuch der Wiedereingliederung gerade gescheitert. Zu früh. Zu krank. Durch eine Corona-Infektion Ende Mai 2020 wurde Schwester Marta von der starken Frau, die Schwerstkranken hilft, zur Patientin im eigenen Haus, dem EKM.
Noch im vergangenen Frühjahr quälten sie Nerven- und Muskelschmerzen am ganzen Körper. Ihr Gedächtnis versagte häufig und lähmende Müdigkeit beherrschte ihr Leben. Ganze Tage verbrachte sie kraftlos auf dem Sofa oder im Bett. „Jetzt sitze ich hier fröhlich und optimistisch“, sagt die Intensivschwester nun. „Dabei ist längst noch nicht alles gut. Ich bin körperlich ein Wrack.“
Sie schafft immer noch nicht die Treppen bis zur zweiten Etage
Die Schmerzen kehren zurück, wenn sie sich angestrengt hat. Sie schläft, wie sie sagt, selten länger als zwei Stunden am Stück. Sie wird von Kurzatmigkeit geplagt, bewältigt immer noch nicht die Treppen bis zur zweiten Etage. Sie berichtet, dass ihre Leber und Milz nach wie vor vergrößert seien, aufgrund einer Veränderung der roten Blutkörperchen, dass ihr Immunsystem immer noch nicht richtig funktioniere. „Bei jeder kleinen Erkältung liege ich drei, vier Tage in der Ecke, wie zerstört. Dann stehe ich auf, als wäre nichts passiert.“
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Das durch die Virusinfektion ausgelöste Chronische Fatigue Syndrom, diese grundlose, bleierne Müdigkeit, hat sich noch nicht völlig verzogen. Immerhin: Marta Kulakowska steht jetzt Arbeitstage durch. Um den Einstieg sanfter zu gestalten, streut sie immer wieder Resturlaub ein oder nimmt Überstunden ab, die sich in der ersten Corona-Welle massenhaft angestaut haben. Der Dienst gelingt ihr zuverlässig, doch er fordert sie sehr. Das Leben neben und nach der Arbeit besteht vorwiegend aus Ruhe. Weiterhin geht Marta Kulakowska regelmäßig zur Atemtherapie im hauseigenen Reha-Zentrum Physalis.
Traumatische Erinnerungen an die erste Corona-Welle – viele Verstorbene
Und sie wird psychotherapeutisch betreut. Anfangs habe eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) im Vordergrund gestanden, berichtet sie, ausgelöst durch tiefes Entsetzen in der Anfangsphase der Pandemie. „Als ich während der ersten Welle hier auf der Intensivstation gearbeitet habe, sind uns die Patienten unter den Fingern weggestorben.“ Als traumatisch erlebte sie auch die eigene Erkrankung, die Einlieferung als Notfall, mit Blaulicht, die Atemnot, den Druck auf der Brust.
Betroffene tauschen sich aus
Long-Covid-Betroffene tauschen sich lebhaft über soziale Medien aus, etwa in der Facebook-Gruppe: „Covid 19! Und jetzt? Für Duisburg und Umgebung“.
Die Idee einer Selbsthilfegruppe in Mülheim wurde aber bislang nicht umgesetzt.
Ebenso wenig ist das Evangelische Krankenhaus mit dem Projekt einer speziellen Post-Covid-Ambulanz weitergekommen.
Schwester Marta ist in Kontakt mit Patientinnen und Patienten aus ganz Deutschland, die sie bei ihrer Reha in Heiligendamm kennengelernt hat. Sie kommunizieren über WhatsApp und Zoom. „Jeder wurschtelt sich irgendwie durch“, sagt sie.
Bis heute kämpft Marta Kulakowska gegen tiefe Angst. Betritt kein Café, geht ungern einkaufen („möglichst selten und ganz schnell, nur das Nötigste“), läuft lieber durch den Wald, am liebsten alleine. Im Isolierbereich der Intensivstation, wo die Covid-Kranken liegen, ist sie nicht eingesetzt. Und wenn sie dort etwas erledigen muss, hastet sie vorbei. „Ich habe Angst, dass hinter den Zimmertüren etwas Unheilvolles liegt, das ich nicht noch einmal erleben muss.“
„Angst, dass hinter den Zimmertüren etwas Unheilvolles liegt“
Was ihr in den schweren fast anderthalb Jahren am meisten geholfen hat? „Mein eigener Optimismus und der Wille, dort anzuschließen, wo das Virus mich rausgeschmissen hat.“ Sie hofft, in zwei bis drei Jahren einen „akzeptablen Zustand“ erreicht zu haben. Ob sie jemals wieder gesund wird, weiß Schwester Marta nicht.