Mülheim. Fast zwei Jahre hat der Arbeitsmarkt in Mülheim die Last der Corona-Pandemie zu tragen. Was es für Auswirkungen auf die Jobs und Strukturen gab.
Mülheims Arbeitsmarkt knapp zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie: Die Herausforderungen sind groß. Aber der Chef der Agentur für Arbeit sagt auch: Es hätte schlimmer kommen können. Ein Blick auf die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Ein „erfreuliches Ergebnis“ attestiert Jürgen Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Oberhausen und Mülheim, dem Mülheimer Arbeitsmarkt zwar. Er habe „der Corona-Krise die Stirn gezeigt“ und es sei weit weniger schlimm gekommen als zum Pandemie-Ausbruch im Frühjahr 2020 befürchtet wurde. Doch wenn Koch den örtlichen Arbeitsmarkt „stabil auf gutem Niveau“ sieht, weiß er auch, dass Corona natürlich nicht folgenlos geblieben ist.
Nicht so viele sozialversicherungspflichtige Jobs in Mülheim verloren wie befürchtet
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Die gute Nachricht: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich, Stand Ende Juni 2020, fast auf Vorkrisen-Niveau gehalten. Keine 300 Beschäftigungsverhältnisse sind es demnach weniger. 59.361 sozialversicherungspflichtige Jobs gab es zur Jahresmitte 2021 in der Stadt. Der Höchststand lag im September 2019 bei 60.380 Beschäftigungsverhältnissen mit Sozialversicherungspflicht – das waren immerhin gut 1000 mehr als Ende Juni 2021.
Die seit Jahren recht stabile Beschäftigungssituation sei nicht selbstverständlich, sagt Koch mit Blick auf Abwanderung von Firmen und den Verlust vieler Arbeitsplätze bei den großen Industrieunternehmen. Doch der Agentur-Chef sieht Mülheim hier nicht über den Berg. Weiterer Stellenabbau in der Industrie ist geplant oder zeichnet sich ab. Dazu kommt die Unsicherheit, ob nicht doch noch mehr Firmen bei fortwährender Pandemie die Luft ausgeht. „Die Situation kann und wird sich verschlechtern“, prognostiziert Koch.
Kurzarbeit hat geholfen, Menschen in ihren Jobs in Mülheim zu halten
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Geholfen, das Beschäftigungsniveau trotz Pandemie einigermaßen zu halten, hat erneut das Instrument der Kurzarbeit. Wie schon während der Bankenkrise kam es großzügig zum Einsatz. Und es werde von Unternehmen gut angenommen, um ihren Mitarbeiter zu halten – „weil sie diese nach der Krise dringend brauchen werden“, so Koch. Nur wenige, insbesondere kleinere Mülheimer Unternehmen hätten sich mit der Kurzarbeiterregelung nicht über Wasser halten können und hätten Insolvenz anmelden müssen.
Nach vorläufigen Daten der Arbeitsagentur haben Unternehmen mögliche Kurzarbeit insbesondere im ersten Jahr der Pandemie angezeigt. Es waren 1905 Firmen mit zusammen fast 21.000 Beschäftigten. Im Jahr 2021 spielte die Kurzarbeit insbesondere in den Lockdown-Monaten Januar und Februar erneut eine große Rolle. Ab März ebbte dies allerdings deutlich ab. So registrierte die Agentur für das abgelaufene Jahr „nur“ noch 435 Anzeigen von Betrieben für potenziell 3863 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Omikron: Agentur bemerkt aktuell „riesen Ansturm“ bei Anzeigen von Kurzarbeit
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„Wir rüsten uns aber für Omikron“, stellt Koch „einen riesen Ansturm“ in diesem Januar fest. Kurzarbeit werde auch jetzt wieder „ein lohnendes Invest“ sein, um den heimischen Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Es sind beeindruckende Zahlen, die belegen, in welcher Weise in Mülheim und Oberhausen in die Sicherung von Arbeitsplätzen investiert worden ist. 2020 sind mehr als 56 Millionen Euro dafür ausgezahlt worden, 2021 waren es gar 74,1 Millionen Euro, laut Koch jeweils rund 40 Prozent davon in Mülheim.
Mit Stand von Ende März 2021 lassen sich Veränderungen in der Struktur der Beschäftigungsverhältnisse in Mülheim ausmachen. Festzustellen ist etwa, dass der Jobverlust insbesondere Männer getroffen hat. Für sie ging binnen Jahresfrist jeder hundertste Job verloren (-1,0 Prozent). Bei Frauen lag das Minus nur bei 0,2 Prozent. Immer noch ist der Arbeitsmarkt aber von Männern dominiert; sie besetzen 56,1 Prozent der Stellen.
Zahl der Helferstellen sinkt in Mülheim immer weiter
9303 Menschen in der Stadt ohne regulären Job
Im Durchschnitt des Jahres 2021 waren laut Agentur für Arbeit 7350 Mülheimerinnen und Mülheimer im Jahr 2021 als Arbeitslose registriert (Quote: 8,5 Prozent). Das ist der höchste Wert in einer Betrachtung seit 2008. Insbesondere in den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 ist die Entwicklung negativ. Für 2019 ist noch ein Jahresdurchschnittwert von 6112 Arbeitslosen ausgewiesen.
Die Tendenz im späten Jahr 2021 zeigte aber bergauf. Waren im März noch 7695 Menschen in der Stadt offiziell als arbeitslos registriert, so waren es Ende Dezember nur noch 6823.
Betrachtet man entgegen der offiziellen Arbeitslosenzahl die Kennzahlen der Unterbeschäftigung, die auch Maßnahmenteilnehmer ohne regulären Job am ersten Arbeitsmarkt berücksichtigen, standen im Jahresdurchschnitt gar 9303 Menschen in der Stadt ohne regulären Job da. Zuletzt lag dieser Wert im Jahr 2017 höher (9657). Die Unterbeschäftigungsquote liegt bei 10,5 Prozent.
Deutlich ist auch die Entwicklung beim Anforderungsniveau der Stellen am Mülheimer Arbeitsmarkt. Während weiterhin Fachkräfte den Arbeitsmarkt dominieren (Anteil: 60 Prozent), sinkt die Zahl der Helferstellen immer weiter (-2,9 Prozent), hingegen werden mehr Spezialisten beschäftigt (+1,4 Prozent). Das spiegelt sich bei den Berufsabschlüssen der Beschäftigten wieder: Der Anteil der Akademiker unter den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten legt kräftig zu (+5,3 Prozent).
Noch eine Auffälligkeit: Die Jobs sind insbesondere weniger von Menschen unter 25 besetzt, auch in der Gruppe der 25 bis unter 55 Jahren alten Beschäftigten ist ein Minus festgestellt. Hingegen ist der Anteil der älteren Arbeitnehmer gestiegen. Für Agentur-Chef Koch ist das Indiz für den demografischen Wandel, „aber auch dafür, dass Menschen immer länger arbeiten, um Altersarmut zu verhindern oder einzudämmen“.