Essen. Der Verbund der Ruhr-Unis bietet Chancen für Studium und Forschung. Rektoren: Das Revier „ist der spannendste Wissenschafts-Raum in Deutschland.“

So wie früher Zechen und Stahlwerke das Ruhrgebiet geprägt haben, sind es nun die Hochschulen, Universitäten und Institute. Wo Opel früher Autos produzierte, entsteht ein eleganter Forschungsbau für das neue Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre. Ein Zeichen des Wandels zur Wissensregion, für das vor allem die drei großen Ruhrgebiets-Universitäten stehen.

Wir sprachen mit den Uni-Rektoren Manfred Bayer (TU-Dortmund), Axel Schölmerich (Ruhr-Uni Bochum) und Ulrich Radtke (Uni Duisburg-Essen) über die Bedeutung der Hochschulen für das Revier, neue Forschungsvorhaben, die die Region an die Weltspitze befördern sollen und die Frage, ob die berühmte University of California als Leitbild für die Revier-Unis taugt.

Wie wichtig ist die Universitätsallianz Ruhr, zu der sich Ihre Universitäten 2007 zusammenschlossen, für die Region?

Ulrich Radtke: Die Unis sind entscheidend für die Zukunft der Region. Man kann die Bedeutung der Hochschulen gar nicht hoch genug einschätzen. Nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Denn ein Hauptergebnis unserer Arbeit ist es neben der Forschung, der Gesellschaft junge AkademikerInnen zurückzugeben. Jahr für Jahr verlassen mehr als 15.000 AbsolventInnen unsere drei Unis. Mit 11.000 DoktorandInnen, die wir betreuen, betreiben wir zudem die größte Doktorandenschule in Deutschland. Damit haben wir ganz wesentlich zur Akademisierung des Ruhrgebiets beigetragen.

Axel Schölmerich: An der Ruhr-Uni Bochum studieren über 40.000 Menschen. Damit sind etwa zehn Prozent der Einwohner Bochums Studierende. Die Unis wären somit für ihre jeweiligen Standortstädte eigentlich viel zu groß. Sie sind jedoch für die gesamte Region verantwortlich. Hinzu kommen die Fachhochschulen und zahlreiche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Durch die Vernetzung potenzieren sich die Effekte auf die Region, das muss man als Gesamtheit sehen.

Ist dieser Wandel von der Montan- zur Wissensregion den Menschen im Revier bewusst?

Schölmerich: Es ist immer die Frage, mit wem man redet. In der Politik und Wirtschaft ist das ganz sicher angekommen. Die Städte sind stolz auf ihre Hochschulen. Da hat sich viel bewegt in den vergangenen Jahren.

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Radtke: Vor 50 Jahren hieß es noch: Was wollen wir mit so vielen Studierenden hier, die bringen doch nur Unruhe in die Stadt? Heute ist allen, die nach vorne schauen, die Zukunft gestalten wollen, die Bedeutung der Wissenschaft bewusst. Die Bewältigung der großen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung und Energiewende sind ohne wissenschaftliche Begleitung gar nicht möglich. Zudem fühlen wir uns als Ruhrgebiet-Universität auch verantwortlich für junge Menschen, die nicht aus Akademikerhaushalten stammen, und wir haben eine wichtige Integrationsaufgabe für geflüchtete Menschen.

Manfred Bayer: Damit ist unsere Aufgabe aber nicht beendet. Wir organisieren viele Angebote und Veranstaltungen, mit denen wir die Wissenschaft in die Städte und zu den Menschen bringen, etwa mit unserer Vortragsreihe „Zwischen Brötchen und Borussia“, da hatten wir vor Corona 500 bis 700 Leute im Hörsaal. Es ist wichtig, wissenschaftliche Themen in die Gesellschaft zu tragen und zu erklären, was wir an den Unis überhaupt machen.

„Gemeinsam besser“ lautet das Motto der Universitätsallianz Ruhr. Was hat sich seit dem Startschuss 2007 verändert?

Schölmerich: Man kann das gut mit dem Begriff Vertrauen umfassen. Wir haben gelernt, in Lehre und Forschung viel enger zusammenzuarbeiten. Es gibt heute viele Forschungsthemen, die eine Uni allein nicht abdecken könnte. Wenn drei Unis die Kooperationsfähigkeit haben, gemeinsam ein Forschungsprojekt anzugehen, dann hat das ein enormes Gewicht.

Radtke: Als Allianz sind wir national und international viel besser sichtbar, etwa wenn es um Forschungsgelder geht oder bei Wettbewerben um Forschungsaufträge. Stellen Sie sich vor, man würde mit den besten Fußballspielern der Ruhrgebietsvereine eine Mannschaft aufstellen – das ist die Form unserer Zusammenarbeit.

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Bayer: Die UA Ruhr bringt uns drei Vorteile. Wir können Forschungsprojekte beantragen, die wir sonst nicht stemmen könnten. Zweitens: Das Studienangebot ist deutlich gestiegen, die Studierenden können an allen Standorten Angebote wahrnehmen. Und drittens können wir effektiver haushalten, indem wir zum Beispiel teure Großgeräte gemeinsam anschaffen.

Wird das Ruhrgebiet bei so viel Kooperation künftig zu einem großen Uni-Campus nach dem Vorbild der University of California?

Schölmerich: Dass wir über unsere drei Unis noch eine steuernde Dachorganisation einrichten, ist im System der UA Ruhr gar nicht denkbar. Die Unis sind jeweils autonome Einrichtungen – und das ist auch gut so. Wir sind dankbar, dass die Landesregierung diese Autonomie gesetzlich verankert hat.

Bayer: Wir arbeiten trotz unserer Freiheiten in der UA Ruhr enger zusammen als die Unis in Kalifornien. Da sind wir weiter. Die University of California, die so gern als Vorbild zitiert wird, wäre für uns eher ein Rückschritt.

Radtke: Wir sind schon jetzt als Modell in Deutschland einzigartig, sozusagen ein Role-Model. Vergleichbare Allianzen stecken noch in den Anfängen oder sind politisch initiiert. Wir aber haben uns 2007 freiwillig verbündet.

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Das Land investiert bis 2025 insgesamt 75 Millionen Euro in vier Forschungszentren und ein College der UA Ruhr. Was machen Sie damit?

Radtke: Die Zusage für diese Research Alliance Ruhr ist zunächst einmal eine Anerkennung unserer Zusammenarbeit. Und es bleibt ja nicht bei einer einmaligen Förderung. Ziel ist es, dass wir ab 2025 jährlich 48 Millionen Euro zusätzlich in die Spitzenforschung stecken können.

Schölmerich: Das bietet uns die Chance, gute WissenschaftlerInnen zu gewinnen und ins Ruhrgebiet zu holen. Es werden Hunderte neue und innovative Arbeitsplätze entstehen. Wir werden in den Forschungszentren die zentralen Zukunftsfragen konkret angehen wie die ganzheitliche Gesundheit von Mensch und Umwelt, Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien, Materialwissenschaften sowie Datensicherheit und Vertrauen in die Digitalisierung. Wenn wir das mit guten Leuten auf den Weg bringen, dann sind wir Weltspitze.

Bayer: Es ist einzigartig in Deutschland, Projekte aufzubauen, die von drei Unis getragen werden.

Warum sollten junge Menschen zum Studium ins Ruhrgebiet kommen?

Bayer: Weil sie in unserem Verbund ein riesiges Studienangebot finden und sehr gute Forschung. Zudem sind die Wege kurz, auch zwischen den Universitäten und diversen Netzwerkpartnern.

Schölmerich: Wir heben Bildungsreserven im Ruhrgebiet. Wir haben an unseren Unis die höchste Rate an ErstakademikerInnen, da sind wir weiter als die großen alten Universitäten. Die werden sich in Zukunft stärker darum kümmern müssen.

Radtke: Wir sind mittlerweile der spannendste Wissenschaft-Raum in Deutschland. Man sieht es ja auch am Chemie-Nobelpreis für Benjamin List, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim. Das strahlt weltweit aus und hilft unserer Region natürlich sehr.

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Was die Hochschulbildung angeht, fühlt sich das nördliche Ruhrgebiet schlecht bedient, wie die Debatte um die „Emscher-Uni“ zeigte. Brauchen wir eine vierte Uni im Norden?

Schölmerich: Nein. Eine vierte Universität zu gründen, wäre unrealistisch und macht keinen Sinn. Aber wir sollten in Zukunft innovative Ausgründungen und Startups in die Fläche bringen, auch ins nördliche Ruhrgebiet. Da gibt es einen Wachstumsbedarf.

Wie hat die Corona-Pandemie die Hochschulen verändert?

Bayer: Beim Semesterstart waren 5000 junge Menschen im BVB-Stadion, die Freude der Studierenden, dass es jetzt wieder in Präsenz losgeht, war unglaublich groß. Es war eine tolle Stimmung. Aber die Uni wird nie mehr so sein, wie sie mal war. Die Frage muss auch erlaubt sein, ob Vorlesungen mit 1000 Studierenden überhaupt jemals Sinn gemacht haben.

Radtke: Wir haben an unseren Universitäten eine Impfquote, die sehr deutlich über der der Gesamtbevölkerung liegt. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass wir das Wintersemester in der angelaufenen Form mit den 3G-Regeln im Präsenzbetrieb durchziehen können.

Schölmerich: Die Pandemie hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst, der notwendig war und uns weiterhin Vorteile bringen wird. Das betrifft die Lehre und die Arbeit in der Verwaltung. Aber wir sind sehr froh, nach drei Online-Semestern jetzt wieder Studierende auf dem Campus zu sehen.

>>>> Die Universitätsallianz Ruhr

Im Jahr 2007 schlossen sich die Universitäten in Bochum, Dortmund sowie Duisburg-Essen zur Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr) zusammen. Gemeinsam repräsentiert der strategische Zusammenschluss rund 120.000 Studierende in 570 Studiengängen, rund 14.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie fast 14.000 weitere Beschäftigte. Damit gehören die Unis zu den größten Arbeitgebern ihrer Städte.

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Jährlich verlassen rund 15.000 AbsolventInnen die Unis. Der Gesamtetat beträgt etwa 1,4 Milliarden Euro. Die UA Ruhr ermöglicht ein standortübergreifendes Studium sowie große Forschungsprojekte, die eine Universität nicht durchführen könnte.

Rektor Axel Schölmerich beendet im November nach sechs Jahren an der Spitze der Ruhr-Uni Bochum seine Amtszeit. „Ich scheide mit großer Zufriedenheit aus dem Amt“, sagte der 69-Jährige. Nachfolger wird der Mediziner Martin Paul, der als Präsident der Uni Maastricht ins Ruhrgebiet wechselt.