Mülheim. Jeder Chemiker auf der Welt kennt das Mülheimer Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Mit Benjamin List hat es den zweiten Nobelpreisträger.

Mitten in einem Mülheimer Villenviertel, auf dem höchsten Punkt des Hügels, ragt ein zehnstöckiger Betonbau in den Himmel: Sitz eines der ältesten Max-Planck-Institute in Deutschland. Ein Klotz in der Landschaft – ein Leuchtturm der Wissenschaft.

Das Max-Planck-Institut (MPI) für Kohlenforschung war das erste Institut der damaligen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, das außerhalb Berlins gegründet wurde. Es gilt als erste wissenschaftliche Forschungseinrichtung im Ruhrgebiet. Kaiser-Wilhelm-Platz 1 lautet die geschichtsträchtige Anschrift. 1912 wurde es gegründet, 1914 eröffnet. Seit 1948 gehört es zur Max-Planck-Gesellschaft, die heute bundesweit 86 Institute unterhält.

Von Harvard nach Mülheim

Auf dem Hügel hat es die Stadt zu Ruhm gebracht: zum Nobelpreis für Karl Ziegler 1963 und nun zum zweiten Nobelpreis für Benjamin List. Jeder Chemiker auf der Welt kennt das berühmte Institut für Kohlenforschung, auch wenn von den Fachleuten wohl kaum jemand sagen könnte, wo genau Mülheim liegt – oder das Ruhrgebiet.

Sogar Professoren von US-Eliteuniversitäten gaben für einen Leitungsposten an dem Max-Planck-Institut ihre Stellung auf. So wie Tobias Ritter, der 2015 von der Harvard University in Boston (USA) an das MPI in Mülheim wechselte. Nie zuvor in der Geschichte der ehrwürdigen US-Universität hatte ein Chemieprofessor die weltberühmte Uni je freiwillig verlassen – es sei denn, in den Ruhestand. Ritter war der erste.

Auch interessant

Die Mülheimer lockten ihn mit dem Bau eines eigens auf seine Forschungen zugeschnittenen Labors für Radiochemie – „sonst wäre ich nicht gekommen“, sagte er damals, und es lag kein bisschen Überheblichkeit in seinen Worten. Wie sein Kollege und frisch gekürter Preisträger Benjamin List, der in der Nähe des Instituts in Mülheim lebt, arbeitet auch Ritter an der Herstellung neuartiger Moleküle, um Krankheiten, etwa Tumore oder krankhafte Veränderungen im Gehirn, frühzeitig entdecken und somit besser bekämpfen zu können.

Kraftstoff aus Kohle

Die Mülheimer Forscher genießen weltweite Anerkennung. Die Liste ihrer internationalen Auszeichnungen und Preise füllt Seiten. Angefangen hat alles mit dem Wunsch, die Kohle des Ruhrgebiets durch Wissenschaft besser nutzbar zu machen. Dies gelang etwa mit der Fischer-Tropsch-Katalyse, bei der aus Kohle flüssiger Kraftstoff gewonnen wird. Möglich wurde dies mit den Ziegler-Katalysatoren zur Herstellung von Polyethylen und Polypropylen, der Basis von Plastik und Kunststoffen, die fortan zu einem erschwinglichen Massenprodukt wurden.

Auch interessant

Nach Ansicht von Benjamin List hat die Katalyseforschung für Chemiker bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Denn Katalysatoren ermöglichen und beschleunigen chemische Reaktionen, ohne dass sie selbst dabei verbraucht werden. Sie sind Werkzeuge für die Forscher, mit deren Hilfe heute rund 90 Prozent der chemischen Produkte hergestellt werden.

Auch interessant

Die meisten Katalysatoren enthalten Metalle, die entweder selten und teuer oder giftig sind. Andere sind komplexe organische Verbindungen wie körpereigene Enzyme, die zum Beispiel die Verdauung ermöglichen. Die Forschung von Benjamin List und seinem Mit-Preisträger David MacMillan ermöglichte es nun, relativ einfach aufgebaute organische Stoffe ohne Metall einzusetzen. Das Verfahren wird mittlerweile weltweit in akademischen und industriellen Laboren eingesetzt.

Die Landesregierung gratuliert

Glückwünsche kamen auch aus der NRW-Landesregierung: „Das ist eine großartige Auszeichnung für exzellente Forschung und Innovation, die Chemie und Pharma umweltfreundlicher und wirksamer machen können“, gratulierte Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP).

Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) sagte unserer Redaktion: „Dass der Chemie-Nobelpreis an einen Wissenschaftler geht, der seit mehr als 15 Jahren am MPI in Mülheim arbeitet, unterstreicht die hervorragende Forschung, die dort geleistet wird und stärkt zugleich die Wissenschaftsregion Ruhr.“

Am Kaiser-Wilhelm-Platz 1 knallten derweil die Korken: „Herzlichen Glückwunsch, Ben!“