Mülheim. Die Mülheimer Autorin Helga Loddeke hat aus ihren Emotionen und Gedanken zur Pandemie Lyrik gemacht. Entstanden ist ein Stück Erinnerungskultur.
Eigentlich ist Helga Loddeke in einem permanenten Schaffensprozess: Wann immer ihr etwas durch den Kopf geht, sie Beobachtungen macht rund ums Thema Corona, nimmt sie ihr Handy zur Hand und tippt ihre Gedanken hinein. Zuhause, am Schreibtisch, wird daraus Lyrik. Die 69-Jährige hat in den vergangenen zwei Jahren im Selbstverlag zwei Gedichtbände veröffentlicht. Das Haus der Geschichte in Bonn hat diese kürzlich in seinen Bestand aufgenommen. Das Museum hatte dazu aufgerufen, Dokumente einzuschicken, die an die besondere Zeit der Pandemie erinnern.
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„Die Isolation hat mir zu schaffen gemacht“, erzählt Helga Loddeke, „es war schrecklich, keine Freunde mehr treffen zu können.“ Sie habe Angst gehabt, der Pandemie zum Opfer zu fallen, vielleicht zu sterben. Ihre Tochter und Enkelkinder, die in München leben, habe sie schmerzlich vermisst. Einer der Mehrzeiler im Buch „Pandemische Verse“ erzählt von den Nöten dieser Zeit. Es trägt den schlichten Titel „Einsamkeit“. Die mache „definitiv krank“, heißt es dort. Und: „Nicht nur die Alten auch jüngere Menschen entgleiten.“ Auch aus „Ostern 2020“ liest man die Sehnsucht heraus: „Keinen Urlaub zusammen mit den Enkelkindern, der Familie, was hatten wir uns darauf gefreut. Alles war schon voll bezahlt, nur Gutscheine als Ersatz!“
„Es geht um Persönliches, aber auch um Politik. Um Querdenker. Und Ungerechtigkeit“
Mal sind es spontane Gedankenfetzen, die sich in den kurzen Texten wiederfinden, mal tiefergehende Überlegungen. „Es geht um Persönliches, aber auch um Politik. Um Querdenker. Und Ungerechtigkeit. Zum Beispiel darum, wie es Frauen ergangen ist, die ja die Hauptlast in der Pandemie zu tragen hatten.“ Auch die Konflikte in der Türkei und in Weißrussland streift die Autorin. Und erzählt von der aufkommenden Liebe einer Yogaschülerin zu ihrem Lehrer, der den Weg via Online-Kurs bei Zoom in ihre Wohnung fand.
2008 bei der „Eichbaumoper“ mitgemacht
Helga Loddeke stammt aus Quakenbrück. Sie ist gelernte Schaufenstergestalterin, hat auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachgemacht, dann Betriebswirtschaft studiert. Später hat sie unter anderem im IT-Bereich eines Telekommunikationsunternehmens gearbeitet, ist mittlerweile im Ruhestand.
Ihr allererstes Gedicht hat Loddeke 2008 verfasst. Damals wirkte sie mit bei der so genannten Eichbaumoper. Ihre Tochter war zu jener Zeit in Angola und hatte Heimweh – so entstand ein erster Text. Dieser sei in einem Waggon der U-Bahn aufgeführt worden, so die 69-Jährige. Lesungen hatte sie auch schon andernorts, unter anderem auf der Mülheimer Lesebühne.
2018 begann sie Kurzgeschichten zu verfassen, fand für sich aber heraus, dass es eher Gedichte sind, über die sie sich mitteilen möchte. Mit „Spielertricks“ hat sie sich bei einem Facebook-Wettbewerb beworben. Das Gedicht wurde für das Buch „Zwischen den Sirenen“ ausgewählt, berichtet die Mülheimerin.
Unterschiedlichste Erfahrungen aus dem ersten Lockdown hat Loddeke in „Pandemische Verse“ verarbeitet. Lockdown zwei findet sich in „AHA lost“ wieder. „Anfangs war ich zurückhaltender mit meiner Kritik, im zweiten Buch war ich immer offener.“ Dort tragen die „Poems“, wie Loddeke sie häufig nennt, keine Überschriften mehr, sondern Daten. Die Autorin wird noch deutlicher zur Chronistin. Zuspruch für ihr schriftstellerisches Tun bekam sie unter anderem von einer Freundin: „Sie hat mir gesagt, ich könne die Dinge genau auf den Punkt bringen.“
Die Bücher im Selbstverlag herausgegeben
Die Mülheimerin hat ihre ersten beiden Bücher im Selbstverlag herausgegeben. Eine durchaus mühsame Sache, die aber die möglicherweise lange Suche nach dem passenden Verlag ersparte. Loddeke hat ihre ins Handy getippten Texte nach und nach in vorgegebene Masken einer Internetseite übertragen, „eine ungeheure Fummelei“, und auch für die Gestaltung selbst gesorgt.
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Zu beziehen sind ihre Werke über den Buchhandel oder den direkten Kontakt: via Facebook (Helga.Loddeke.Autorin) oder Instagram (Helga.Loddeke). Band 1 mit 144 Seiten kostet 8 Euro, Band 2 mit 273 Seiten 12 Euro. Lektor war übrigens der Ehemann; „er wollte kein Geld, aber ich musste ihm etwas vom Griechen spendieren“.
Rentnerin genießt die wiedergewonnene Freiheit
Die Angst vor Corona hat die Rentnerin nach den zwei Impfungen deutlich besser im Griff. Sie genießt die wiedergewonnene Freiheit, trifft wieder Menschen, „und als ich letztens endlich mal wieder im Kino war, habe ich hinterher vor der Tür getanzt“. Sie sei so viel zuversichtlicher und fröhlicher als während der harten Lockdowns. Damit das so bleibt, werde sie sich bald zum dritten Mal impfen lassen. Sie sitzt auch wieder am Schreibtisch, arbeitet an Buch drei und vier. Vor allem dem voraussichtlich letzten Teil ihrer Corona-Aufzeichnungen entnehme man deutlich, „wie viel positiver ich jetzt wieder bin“.