Bonn. Corona - und plötzlich wird Banales museumsreif. Bonns „Haus der Geschichte“ hat bereits 500 Stücke, die von der Pandemie erzählen.
Ein Bierseidel zum Oktoberfest, tausendfach produziert – was soll das zum Museumsschatz machen? Dass es den Anlass zum Bierkrug (Aufdruck „2020“) nie gegeben hat, einer Seuche wegen. Kaum war Corona da, klingelten im Bonner Haus der Geschichte beim Sammlungsdirektor die Alarmglocken: ein neues Gebiet! Inzwischen hat Dr. Dietmar Preißler fast 500 Objekte. Lars von der Gönna fragte ihn, nach Wert und Wirkung von Narrenkappe und Fußball.
Kaum ist ein zeitgeschichtliches Phänomen da, beginnt Ihre Arbeit, dabei wissen wir noch gar nicht, wie es mit Corona ausgeht. Lesen Sie also Geschichte nicht erst vom Ausgang eines Geschehens?
Sie haben schon Recht: Im Prinzip tun Historiker das. Aber wir sind in einem zeithistorischen Museum. Da ist der Auftrag: bis in die Jetztzeit zu sammeln. Dahinter steht auch eine Erfahrung: Wenn wir die Dinge jetzt nicht von der Straße ins Museum holen, dann sind sie einfach verloren und verschwunden.
Weil wir dem Alltag, der Corona begleitet, erst einmal keinen Ausstellungswert beimessen?
Genau. Aber wir tun das eben. Es ist ja eine Aussagekraft mit den Objekten verbunden. Es müssen gerade im „Haus der Geschichte“ Stories in den Objekten sein, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden.
Ganz früh in der Geschichte von Corona in Deutschland steht wahrscheinlich der Getränkebon aus einer Kneipe in Gangelt. Sie besitzen bereits einen...
Nicht beliebig zu sammeln, steht bei uns ganz am Anfang. Wir haben für die Corona-Sammlung Kategorien gebildet: „Politik“, „Medien“, „Alltag“, auch „Tod“. Und „Beginn“ ist natürlich unverzichtbar. Gangelt als einer der ersten Hotspots musste dazugehören. Wir sind dort auf den Karnevalspräsidenten zugegangen und haben zum Beispiel einen Bierkranz erbeten und die Mütze des Präsidenten.
Hat er sich nicht geziert? Das ist ja nun kein Stück, auf das man im Kontext einer Seuche stolz ist?
Klar, es gibt historische Ereignisse, die negativ besetzt sind. Natürlich muss man dazu sammeln. Was den Präsidenten angeht: Der Kontakt war erstens vernünftig, zweitens humorvoll und drittens gab es absolutes Verständnis für eine Anfrage, die einen ernsten Hintergrund hat.
Seit 30 Jahren sammeln Sie professionell. Wie viel ist Instinkt, Schema, Methodik? Wie erkennen Sie ein ideales Objekt?
Über die Jahre hinweg entwickelt man ein Gefühl. Das ist geschärft worden von viel Erfahrung. Dazu gehört auch, das Vergängliche zu erkennen: Dinge, bei denen man ganz schnell sein muss, um sie zu bekommen. Der zentrale Qualitätsmaßstab ist, dass Menschen, die später in unsere Ausstellung kommen, sagen können: „Ja, ich finde in diesem Objekt Geschichte wieder.“
Und sogar eine sehr menschliche Geschichte: Sie haben bereits eine Absage-Karte zu einer Goldenen Hochzeit, die wegen Corona ausfallen musste.
Wir versuchen eben auch zu zeigen, wie der Mensch auf allen Ebenen durch das Ereignis betroffen ist. Es ist ja ein typischer Effekt eines medizinhistorischen Ereignisses, dass es die ganze Gesellschaft durchzieht. Da freuen sich Menschen, 50 Jahre verheiratet zu sein, haben einen großen Kreis eingeladen – und dann ist das alles weg. Die Karte enthält ein Gedicht, aus dem klar wird, dass Corona der Grund ist, nicht zu feiern.
In Ihrer Sammlung gibt es den ersten Fußball eines Geisterspiels, Schutzkleidung für Bestatter. Gibt es bei Ihnen auch das, was dauernd weg war: Klopapier?
Objekte, die es nicht mehr gibt, sind uns als Problem durchaus vertraut. In diesem Fall haben wir ein Schild in die Sammlung aufgenommen: „Bitte nur zwei Packungen pro Haushalt!“
Gibt es ein Corona-Artefakt, für das Ihr Herz besonders schlägt?
Ein Objekt, das mir unter die Haut ging, war Street Art, die sich auf einer Mauer vor den Helden dieser Zeit verneigt: Die fast übermenschliche Leistung einer Krankenschwester machte sie aus der Sicht von Kai Wohlgemuth zur „Super Nurse“. Eine Mauer kann man nicht einfach abreißen und bei uns archivieren, aber der Künstler hat sein Bild für uns auf Leinen gesprayt.
Was glauben Sie: Wie werden Menschen rückblickend die Zeit von Corona wahrnehmen?
Ich glaube, dass die Folgen von Corona lang andauern werden, auch wenn ich hoffe, dass ein Impfstoff in nicht allzu langer Zeit zu unseren Sammlungsstücken gehören kann. Ich denke, das Ereignis wird insgesamt unser Bewusstsein beeinflussen: als eine Krisensituation, die unsere Gesellschaft und unser Miteinander nachdrücklich verändert hat.
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ZUR PERSON
Der gebürtige Schwabe Dietmar Preißler (*1956) ist seit 1990, also schon vier Jahre vor der offiziellen Eröffnung, Sammlungsleiter im Bonner Haus der Geschichte. Der promovierte Historiker sitzt auch im Brüsseler Beirat des „Hauses der Europäischen Geschichte“.