Ein Musiktheater-Projekt im U-Bahn-Schacht bindet Anwohner ein: In einer Woche öffnet die Eichbaumoper

Essen. Helga Loddeke grüßt alle beim Vornamen. Cordula, die Opernregisseurin. Jan und Matthias, die Architekten. Sabine, die Dramaturgin. Helga Loddeke weiß auch, wo der Schlüssel für die Toilette in den tiefen Schächten der U-Bahn-Haltestelle versteckt ist. Sie kennt sich hier bestens aus.

Seit sie am ersten Workshop des Projekts „Eichbaumoper” teilgenommen hat, kommt sie regelmäßig in die Opernbauhütte an der Linie U18.

Dabei hat Helga Loddeke eigentlich wenig mit der Produktion von Kunst zu tun, zumindest beruflich. Die Frau mit den kurzen Haaren und der angenehm tiefen Stimme arbeitet in der IT-Branche. In die Oper geht sie aber selten. „Ich habe mal Verdi gesehen.”

Nein, Opern-Spezialistin ist Helga Loddeke nicht. Aber sie ist interessiert, sie ist engagiert, und sie wohnt ganz in der Nähe. Genau das macht sie zu einem wichtigen Teil der Eichbaumoper: Sie ist eine Expertin des Alltags vom Eichbaum, diesem betonlastigen Ort im Nirgendwo zwischen Mülheim und Essen, zwischen Autobahn und U-Bahn-Gleisen.

Im Workshop mit der Musikerin und Performerin Bernadette La Hengst hat Helga Loddeke ihren ersten Songtext geschrieben. „U Afrika” hat sie ihr Gedicht genannt, ein kurzer, persönlicher Text über ihre Tochter und deren Reise von der U-Bahn-Haltestelle bis nach Afrika. „Sie steigt ein in der / Rosendeller Strasse / Sie fährt U 18 / Nach Essen / Zum Hauptbahnhof / Dann nach Frankfurt / Übergepäck” heißt es da. Und es endet mit „LUANDA / Schwüle / Moskitos / Korruption / Mama / Afrika / Heimweh / Echtes richtiges… / Heimaterde / Doch nicht Angola?”

Für Bernadette La Hengst, die mit dem Komponisten Ari Benjamin Meyers eins der drei Opernteams bildet, war dieser Text ein Schlüssel für ihr Libretto. Bis auf winzige Änderungen hat sie das Gedicht eingearbeitet. Bald wird es als Arie zu hören sein.

Der enge Kontakt zu den Anwohnern gehört zum Programm. Hier soll nicht bloß eine Oper an einem ungewöhnlichen Ort, nämlich an einer U-Bahn-Haltestelle, aufgeführt werden. Der Transitraum selbst wird zum Motiv und Thema der Geschichte.

Bioladen eröffnet

Dafür sind die Künstler auf die Menschen vor Ort angewiesen. „Ich wollte nicht meinen Blick über diesen Ort stülpen”, sagt Bernadette La Hengst. „Ich musste ihn erleben, mit den Menschen sprechen, die hier arbeiten und leben.” Sie versteht sich als Jägerin und Sammlerin von Visionen, die sie an der U-Bahn-Station aufgeschnappt hat.

Zum Beispiel die Vision von Ursula Schneider. Die 51-jährige Mülheimerin hat eine Geschichte über einen Arbeitslosen geschrieben, der am Eichbaum einen Bioladen eröffnet. „Etwas Alltagstaugliches würde sich hier ja anbieten”, erklärt Ursula Schneider ihre Idee. Wie Helga Loddeke war auch sie beim ersten Workshop in der Opernbauhütte. Und ist immer wiedergekommen, zu Lesungen, Feiern, Konzerten, Gesprächsrunden.

Zusammen mit ihrer 86-jährigen Mutter Adelheid Höning, die seit 1926 im Stadtteil Heimaterde wohnt. „Hier macht man sich Gedanken, hier kommt man ins Gespräch”, beschreiben die beiden die lebendige Atmosphäre am Eichbaum. Und dokumentieren es auch gleich durch eine dicke Mappe: Zeitungsartikel, Fotos, ihre selbst verfassten Texte plus Randnotizen. Ein prall gefülltes Archiv ihrer Mitarbeit am Projekt Eichbaumoper. Auch wenn Ursula Schneider und Adelheid Höning nicht selbst auf der Bühne stehen: Ihre Geschichten machen diese Oper aus.

Helga Loddeke reagiert gelassen auf die Frage, ob es etwas Besonderes sei, wenn das eigene Gedicht zur Arie werde. Nicht einmal zur Premiere wolle sie kommen, erst zur anschließenden Feier „zum Abtanzen”. Es scheint, als zähle für sie weniger das Ergebnis als vielmehr der Weg. „Ich habe hier meine Kreativität wiederentdeckt”, sagt die Eichbaum-Anwohnerin, „Mein Kopf hat sich geöffnet.”