Mülheim. Das zähe Strafverfahren gegen zwei Mitarbeitende des Mülheimer AZ landet beim Landgericht. Auch um städtische Zuschüsse wird weiter gerungen.

Fast neun Monate ist es jetzt her, dass das Gezerre um einen völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz im Autonomen Zentrum (AZ) ausgiebig vor Gericht erörtert wurde. Das Mülheimer Amtsgericht stellte letztlich klar, dass die Beamten rechtswidrig handelten, als sie am 8. Juni 2019 eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter des AZ gewaltsam zu Boden warfen und fixierten, nur um deren Ausweise zu kontrollieren.

Mülheimer Amtsgericht sprach AZ-Mitarbeiterin von allen Vorwürfen frei

Der AZ-Mann kassierte auch noch einen Faustschlag auf den Kopf und wurde verletzt. In seinem Fall steht weiterhin Beleidigung im Raum, da er Polizisten beschimpft und bespuckt haben soll. Die junge Frau wurde dagegen vor dem Amtsgericht von allen Vorwürfen freigesprochen und hatte angekündigt, ihrerseits die übergriffigen Beamten zu verklagen.

Fortsetzung vor dem Landgericht

Das Strafverfahren gegen die 24-jährige AZ-Mitarbeiterin wird vor der Berufungskammer des Duisburger Landgerichtes fortgesetzt. Das Verfahren gegen ihren Kollegen ruht derweil.

Für die Verhandlung sind zunächst zwei Termine angesetzt: am 27. Juli und 10. August 2021, jeweils um 9 Uhr.

Die erstinstanzliche Verhandlung Ende August 2020 vor dem Mülheimer Amtsgericht dauerte rund sechs Stunden. Sie war begleitet von einer friedlichen Kundgebung gegen Polizeigewalt.

Das Strafverfahren ist jedoch längst nicht beigelegt: Die Staatsanwaltschaft Duisburg will sich mit dem Urteil vom 24. August 2020 nicht zufrieden geben und hat Rechtsmittel eingelegt gegen den Freispruch für die 24-jährige AZ-Mitarbeiterin. Nun läuft ein Berufungsverfahren vor dem Duisburger Landgericht. Ende Juli geht das politisch aufgeheizte Verfahren in die nächste Runde.

Durfte die Polizei die Ausweiskontrolle mit Gewalt durchsetzen? Dies möchte die Staatsanwaltschaft in der höheren Instanz klären lassen. Das Verfahren gegen den AZ-Mitarbeiter, der Beamte beleidigt und attackiert haben soll, ruht derzeit - es wird abgewartet, zu welchem Ergebnis die Berufung kommt. Nach Auskunft des AZ-Teams haben beide Angeklagten ihrerseits die beteiligten Polizeibeamten angezeigt: Sie hätten Anzeigen erstattet wegen Körperverletzung im Amt.

Anzeigen erstattet wegen Körperverletzung im Amt

Was ebenfalls nachwirkt, ist die politische Debatte, die der Polizeieinsatz im vorletzten Jahr ausgelöst hat. Denn das AZ bekommt einen jährlichen Zuschuss der Stadt von rund 140.00 Euro. Zudem darf es die „Alte Reithalle“ an der Auerstraße mietfrei nutzen - das Jugendamt hat ausgerechnet, dass sich daraus ein geldwerter Vorteil von gut 61.000 Euro pro Jahr ergibt. Nachdem im Ordnungsausschuss - auf Einladung der CDU - die Leiterin der Mülheimer Polizeiinspektion ihre Sicht der Dinge geschildert hatte, preschte die BAMH-Fraktion mit der Forderung vor, dem AZ die Gelder zu streichen.

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Der Antrag verpuffte wenig später im Stadtrat. Doch die CDU ließ anschließend nicht locker und deutete an, dass die Mietsubvention für das Autonome Zentrum eine Bevorzugung gegenüber anderen Häusern sein könnte. Bei der Aufstellung des neuen Kinder- und Jugendförderplans für 2021 bis 2025 sollte „genauer hingeschaut werden, wie wir in der offenen Jugendarbeit aufgestellt sind“, sagte der damalige Sozialdezernent, heutige OB Marc Buchholz, im Dezember 2019.

Tatsächlich ist der Kinder- und Jugendförderplan die entscheidende Stellschraube. Dort ist geregelt, welche Zuschüsse die einzelnen Einrichtungen bekommen. Die Summen werden an die allgemeine Preisentwicklung angepasst. Das AZ hat laut Subventionsbericht im Jahr 2019 rund 140.000 Euro bekommen, im Jahr 2020 etwas mehr als 141.700 Euro. Insgesamt wurden die Mülheimer Jugendeinrichtungen im vergangenen Jahr durch die Stadt mit fast 2,5 Mio. Euro gefördert.

Neuer Kinder- und Jugendförderplan verzögert sich

Nun ist 2021 schon weit fortgeschritten, ein neuer Kinder- und Jugendförderplan überfällig. Es gibt eine Steuerungsgruppe, in der auch die Einrichtungen selber vertreten sind. Ihr letzter Zwischenbericht stammt von August 2020. „Das Ganze wird sich aufgrund der aktuellen Situation noch etwas verzögern“, erklärt Lydia Schallwig, Leiterin des Jugendamtes. Eine Regelungslücke gebe es nicht. „Der alte Plan hat so lange Bestand, bis ein neuer beschlossen ist.“

In der nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 28. Juni haben Vertreter des AZ die Möglichkeit, die Arbeit des Zentrums zu präsentieren - und zugleich dessen Finanzierung zu erläutern. Die Einladung stand schon länger, berichtet Thorsten Schrodt, der für den Stadtjugendring im Ausschuss sitzt und als Sprecher der offenen Jugendzentren in Mülheim (AGOT) fungiert. Im Rahmen der politischen Debatten um das Zentrum und den Polizeieinsatz sei angeregt worden, die AZ-Leute zu Wort kommen zu lassen. „Damals haben wir es alle begrüßt, inklusive dem AZ.“ Wegen Corona habe man diese Präsentation verschieben müssen.

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Auch das AZ-Team bestätigt, es handle sich „um einen schon länger im Raum stehenden Bericht, der vor allem durch die Corona-Einschränkungen einige Male verschoben werden musste“.

Wegen Corona verschoben: AZ präsentiert seine Arbeit im Ausschuss

„Eigentlich“, meint Thorsten Schrodt, „ist es eine schöne Sache, wenn Jugendeinrichtungen die Möglichkeit bekommen, ihre Arbeit im Ausschuss vorzustellen.“ Alle geförderten Einrichtungen sollten dieses Recht oder auch diese Pflicht haben. „Auch kritische Fragen sollten erlaubt sein, aber keine zweite Prüfung erfolgen.“ Denn alle Mülheimer Jugendeinrichtungen, natürlich auch das AZ, müssen jeweils zum Jahresende einen umfangreichen Verwendungsnachweis für die Verwaltung vorlegen. Dieser zählt.

Schrodt sieht die bevorstehende Begegnung auf kleiner politischer Bühne daher gelassen „Es ist durchaus möglich, dass einige Fraktionen die AZ-Vertreter quasi verhören und vorführen wollen. Das wird aber sicher nicht die Mehrheit sein.“