Mülheim. Nach dem Konflikt mit der Polizei wird in Mülheim über die Finanzierung des AZ debattiert. Dessen Team hält dagegen und lädt zum Runden Tisch.
Der Polizeieinsatz vom 8. Juni mit mehreren Verletzten wirkt im Autonomen Zentrum heftig nach. Zum einen wegen der laufenden Strafanzeigen, zum anderen, weil die finanzielle Förderung des AZ öffentlich in Frage gestellt wird. Bislang nur von einzelnen politischen Akteuren, aber diese Signale werden durchaus ernst genommen, wie sich im Gespräch mit dem AZ-Team zeigt.
Wie berichtet, wurden die Vorfälle Anfang Oktober im Ausschuss für Bürgerangelegenheiten, Sicherheit und Ordnung (BSO) noch einmal recht zugespitzt diskutiert. Die Leiterin der Polizeiinspektion hatte den Einsatz aus ihrer Sicht geschildert, der Fraktionschef des BAMH forderte, dem AZ die „Staatsknete“ zu entziehen und kündigte einen entsprechenden Antrag für die Haushaltsberatungen des Rates an. Auch aus der CDU waren Stimmen in diese Richtung zu hören. Konkret geht es um 140.000 Euro, die das Autonome Zentrum jährlich an städtischen Geldern bekommt.
AZ-Mitarbeiter waren bei der Ausschuss-Sitzung nicht dabei – die Information habe sie zu spät erreicht, erklärten sie wenig später in einer Mitteilung. Im Gespräch mit dieser Redaktion machen sie deutlich, dass sie der Forderung nach finanziellen Konsequenzen aktiv entgegensteuern: „Wir sind im Gespräch mit allen stadtpolitischen Akteuren, und das läuft sehr gut.“
Jährlich rund 20.000 Besucher an der Auerstraße
Das Autonome Zentrum wirkt mit in der Arbeitsgemeinschaft der offenen Türen (AGOT), dem Verbund der Mülheimer Jugendzentren. Jährlich werden an der Auerstraße rund 20.000 Besucherinnen und Besucher gezählt, überwiegend junge Erwachsene. Konzept ist, dass sie die Einrichtung nutzen, um eigene Projekte zu bewerkstelligen. Rund 20 Mitarbeiter halten den Betrieb im Zentrum aufrecht, die meisten sind mit geringer Stundenzahl beschäftigt.
Durch die 140.000 Euro aus der städtischen Jugendhilfe deckt das AZ nach eigenen Angaben rund 40 Prozent seiner Kosten. Etwa 60 Prozent erwirtschaftet das Zentrum selber, etwa durch Eintrittsgelder oder Einnahmen aus dem Getränkeverkauf.
Wie viel Geld die einzelnen Mülheimer Jugendeinrichtungen bekommen, wird nicht jährlich neu ausgehandelt, sondern ist festgelegt im Kinder- und Jugendförderplan 2015-2020. Zu den erklärten Zielen des Amtes für Kinder, Jugend und Schule gehört es demnach auch, „ein plurales Angebot sicherzustellen“.
Finanzierung der Mülheimer Jugendeinrichtungen ist bis 2020 festgeschrieben
Ausgegangen wurde 2015 von insgesamt knapp 3,2 Millionen Euro für die Jugendförderung in Mülheim. Davon entfällt der Großteil – knapp 2,4 Millionen – auf die offene Kinder- und Jugendarbeit, darunter auch das AZ. Um den Jugendeinrichtungen Planungssicherheit zu geben, werden die Zuschüsse einmal jährlich im März erhöht: Drei Prozent mehr gibt es für Personal, 0,9 Prozent für Sachkosten. Diese Steigerung erfolgt automatisch, zumindest bis 2020. Danach muss ein neuer Förderplan erarbeitet und vom Rat verabschiedet werden.
Auch das AZ könnte demnach bis Ende nächsten Jahres mit einer verlässlichen Größe planen. Das Team sagt: „Es ist eine Dreistigkeit, aufgrund eines einzigen Konfliktes die gesamte, sehr produktive Jugendarbeit, die hier seit Jahren läuft, in Frage zu stellen. Wir verstehen uns als weit vernetzter Teil dieser Stadt. Viele wissen allerdings gar nicht, was wir eigentlich machen.“
„Dreistigkeit“, aufgrund eines Konflikts die gesamte Arbeit in Frage zu stellen.
Im Sicherheitsausschuss gab es auch gemäßigte Stimmen, etwa den Vorschlag der SPD, am Runden Tisch über die Sache zu reden. Zu einer solchen Runde lädt das AZ tatsächlich mehrmals jährlich ein, der nächste Termin soll im November stattfinden. Treffpunkt ist das Stadtteilmanagement in Eppinghofen, Teilnehmende sind Vertreter von Polizei, Ordnungsamt, Bürgeragentur.
„Wenn es Konflikte gibt oder Beschwerden von Anwohnern vorliegen, wird das in dieser Runde besprochen“, so die AZ-Mitarbeiter. Auch, wenn sie oder ihre Besucher den Eindruck haben, „dass Polizeikontrollen nach äußeren Merkmalen, etwa der Hautfarbe“ stattfinden. In letzter Zeit habe es aber nicht viele Einsätze gegeben war. Dass es – bis Anfang Juni – lange Zeit ruhig war, bestätigt auch die Polizei.
Auf Empfehlung der Anwälte keine Äußerung zum Vorfall am 8. Juni
Zum Vorfall am 8. Juni möchten sich die AZ-Leute, die daran beteiligt waren, derzeit nicht äußern. Ihre Anwälte haben davon abgeraten. Sie bestätigen nur, dass es Anzeigen gegen drei Mitarbeiter des Zentrums gibt, unter anderem wegen Widerstands und Beleidigung, sowie eine weitere gegen den Trägerverein, der sich auf die damals veröffentlichte Pressemitteilung bezieht.
Das AZ-Team seinerseits hatte nach dem Einsatz nicht nur dienstrechtliche Konsequenzen für die beteiligten Beamten gefordert, sondern auch erwogen, ebenfalls Strafanzeigen zu stellen. Auf Rat ihrer Anwälte hätten sie darauf verzichtet, erklärt eine Mitarbeiterin, und verweist auf eine neue Studie von Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum zu „Körperverletzung im Amt“. Danach wird nur ein minimaler Anteil dieser Fälle angezeigt und ein „bemerkenswert hoher“ Anteil der Verfahren eingestellt, weil die handelnden Beamten vielfach nicht identifizierbar sind.
„Wir glauben, dass die Chancen minimal sind“, sagt das AZ-Team. „Für uns wäre das ein Kostenfaktor, den wir schwer tragen könnten. Probleme haben wir sowieso schon genug.“