Mülheim. Mit steigenden Temperaturen gedeiht es in Mülheims Vorgärten. Anstatt zu rupfen und zu spritzen appellieren Pflanzenprofis: „Lasst es sprießen.“
Karge Kieslandschaften breiten sich bereits seit einigen Jahren immer weiter in Vorgärten aus - auch in Mülheim. Der Schottergarten ist ein Trend, der tödlich für Insekten ist, das Stadtklima aufheizt und obendrein noch nicht einmal pflegeleichter ist. Bevor zum Start in die Gartensaison wieder gerupft und gespritzt wird, appellieren Mülheimer Gartenprofis daher: „Lasst es wild wachsen!“
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Im Vorgarten von Stephan Zarnikow blüht und grünt es bereits in voller Pracht. Man könnte seinen Vorgarten als Best-Practice-Beispiel eines naturnahen Gartens betrachten. Schließlich gärtnert der Saarner leidenschaftlich gerne und wirbt dafür, es wachsen zu lassen – ja, auch das Unkraut in den Fugen vorne vorm Haus. „Mein Motto lautet ‘Let it grow’“, lacht Zarnikow, der auch im Mülheimer BUND aktiv ist.
Vorgarten als Aushängeschild des Eigenheims
Für viele Bewohner ist der Vorgarten das Aushängeschild ihres Eigenheims – je ordentlicher, desto besser der erste Eindruck. Doch Stephan Zarnikow rät zum Umdenken: Solange das „Unkraut“ keine Stolperfallen im Eingangsbereich darstelle, störe es höchstens den Ordnungssinn der Nachbarn. „Dabei freuen sich Bienen über jeden Löwenzahn.“ Über 30 verschiedene Pflanzenarten zählt er in seinem Vorgarten, darunter Stauden wie Phlox, Goldfelberich und Funkien; Lungenkraut, Akeleien, Flockenblumen, Sternendistel. Hummeln lieben die Gelbe Taubnessel, Traubenhyazinthe und das Schöllkraut, „an den Silberpfenning geht der Aurorafalter gerne dran“, sagt Zarnikow. Das ganze Jahr über finden sie hier Nahrung.
Natürlich mache ein „wilder Garten“ auch Arbeit. „Man muss immer wieder rein ins Beet und was wegnehmen.“ Aber die Pflanzen dürfen ruhig mal Läuse, also Schädlinge, haben. „Die Läuse stellen eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele andere Insekten dar.“ Nur wenn solche Insekten überhand nehmen, sollte man tätig werden. „Läuse lassen sich etwa mit einem härteren Wasserstrahl größtenteils entfernen“, so Zarnikow. Auch Pflanzenjauchen wirken natürlich, sie stärken die Abwehrkräfte der Pflanzen gegen Insekten, Pilze und andere Organismen. „Die beste Alternative zu Pestiziden ist immer noch jäten und Boden auflockern.“
Keine gezüchteten, sondern bevorzugt heimische Pflanzenarten anlegen
Auch Sabine Arzberger plädiert zur Begrünung der Vorgärten. Die Mülheimerin engagiert sich in der Regionalgruppe des bundesweiten Vereins „Naturgarten“. Sie weiß, wer einen naturnahen Vorgarten anlegen möchte, sollte zunächst folgende Fragen klären: Wie sind die Lichtverhältnisse? Wie ist der Boden? Wie groß dürfen die Pflanzen maximal werden? Erst dann sollten Pflanzen ausgewählt werden, die sich für diesen speziellen Standort eignen.
Bevorzugt sollten Hobbygärtner heimische Arten anlegen, da Insekten diese bevorzugen. Da die meisten Gartencenter aber eher gezüchtete Pflanzen vertreiben, listet der Verein eine Übersicht über Händler, die heimische Arten anbieten, auf seiner Homepage auf: www.naturgarten.org. Dort gibt es auch Tipps für Anfänger, wie ein naturnaher Garten überhaupt angelegt werden kann, „denn manchmal reichen schon kleine Veränderungen aus, um Insekten und Vögeln zu helfen“. Einen Muster-Naturgarten legen die Naturgartenfreunde derzeit an der Dimbeck an. „Ende Mai wollen wir die Fläche rund um die Freilichtbühne bepflanzen“, sagt Sabine Arzberger.
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Auch auf Schotterflächen wachsen Wildkräuter
Stein- oder Schottervorgärten seien übrigens nach wie vor Trend unter Hausbesitzern, weiß Arzberger. Dabei sei es ein Trugschluss, zu glauben, solche Steinwüsten seien besonders pflegeleicht. Auf lange Sicht machten diese sogar mehr Arbeit: „Auch wenn eine Folie untergelegt wird – spätestens im zweiten Jahr kommen Saaten von oben auf die Fläche, so dass zwischen den Steinen Wildkraut wächst.“ Dies lasse sich meist schlecht entfernen. Zudem sind Steinbeete äußerst übel fürs Kleinklima im Wohnumfeld, denn die Steine heizen sich im Sommer stärker auf als bepflanzte Flächen, Niederschläge versickert schlechter.
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Um das Stadtklima zu verbessern, untersagen mehrere Kommunen in NRW mittlerweile die Steinflächen in Vorgärten. Auch in Mülheim dürfen keine Schottergärten mehr angelegt werden – das gilt jedoch nur für neue Bauvorhaben. „Wir schreiben das Verbot von Schottergärten heutzutage in jeden Bebauungsplan“, erklärt Stadtsprecher Volker Wiebels. Eine Satzung für das gesamte Stadtgebiet gebe es nicht. Die Bauordnung NRW (§ 8) schreibt aber bereits vor, die nicht mit Gebäuden überbauten Flächen wasseraufnahmefähig herzustellen, zu begrünen oder zu bepflanzen.
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Ob das aber für die Untersagung von Steingärten ausreicht, sei nicht gerichtssicher. „Theoretisch sind diese Flächen auch wasseraufnahmefähig. Wenn dann noch ein paar einzelne Pflanzen eingesetzt werden, ist die Fläche auch bepflanzt“, so Wiebels. Der Begriff „Begrünung“ sei äußerst schwammig und könne unterschiedlich ausgelegt werden. „Bislang gehen wir in Mülheim nicht systematisch gegen die Steingärten vor.“ Es sei aber auch kein flächenhaftes Phänomen, behauptet Volker Wiebels. Ob das wirklich so ist, lässt sich jedoch schwer sagen, schließlich gibt es bislang seitens der Stadt keine Erhebung über die Vorgartenflächen in Mülheim.