Mülheim. . Das Umweltamt ist offen für eine Diskussion über Satzung, die grüne Vorgärten vorschreibt – um Hitze und Insektensterben entgegenzuwirken.
Wieviel Stein verträgt eine Stadt? Die Mülheimer Klima-Initiative und der Verein Naturgarten e.V. sind besorgt über die zunehmende „Verkiesung“ der Vorgärten in unserer Ruhrstadt. Sie fordern angesichts aufgeheizter Stadt und Insektenschwund: „Rettet die Vorgärten. Wir brauchen mehr Aufklärung über die Folgen von Kiesgärten“, erläutert Susan Findorff vom Verein Naturgarten, Region Rhein-Ruhr. Auch im Umweltamt ist man offen, die Folgen anzugehen, und künftig Vorgaben für die Vorgartengestaltung zu machen.
Für die einen sind sie einfach praktisch zu pflegen, für die anderen wie eine in Stein gemeißelte Kapitulation vor der Gartenarbeit. Wer durch Mülheimer Siedlungen geht, erkennt schnell: Immer mehr Vorgärten verschwinden unter buntem Zierkies, grauem Basaltsplitt, Taunusquarz und Granit – 251 Artikel in 317 Ausführungen bietet der hiesige Baumarkt unter „Gartenbau“ an. Ein Mülheimer, nein, auch ein deutsches Phänomen.
Nahrungsquellen für Insekten sind begraben
Findorff sieht unter versteinerten Gärten wichtige Nahrungsquellen für Insekten begraben. „Die Fläche der Gärten in Deutschland ist größer als die der Naturschutzgebiete. Es gibt inzwischen eine große Biodiversität in der Stadt, weil Vögel und Insekten von der Monokultur der Landwirtschaft hierhin ziehen“, so die Naturschützerin. Verschwindet aber die Nahrung für Insekten, geht diese Vielfalt verloren. Schon jetzt registriert Findorff deutlich weniger Insekten in unserer Stadt als noch vor Jahren – „wer mit offenen Augen durch Mülheim geht, stellt das fest“.
Gerade in einer Wohnstadt wie Mülheim, in der die Gärten einen guten Teil der Stadt ausmachen, wirkt sich der Trend zum Stein negativ aus. Der Verein – gemeinsam mit dem Nabu – will aufklären und positive Beispiele zeigen, dass ein Vorgarten mit einheimischen Pflanzen ebenso leicht zu pflegen ist. Seit einiger Zeit bieten sie Beratungen und eine Tauschbörse für einheimische Pflanzen an.
Kanäle müssen mehr Wasser aufnehmen
Mit Zierkies und Co. werden auch die Klimaprobleme in Mülheim zementiert: „Städte sind durch die zunehmende Versiegelungen durchschnittlich drei bis fünf Grad wärmer geworden“, mahnt Anika Fünger von der Mülheimer Klimainitiative. Das gilt besonders für die Mülheimer Innenstadt. Der heiße Sommer in diesem Jahr hat gerade gezeigt, dass die Nacht nicht ausreicht, um die City abkühlen zu lassen, auch weil schattenspendendes Grün fehlt, argumentiert Fünger. Die Versiegelung führt daneben zu Problemen bei Starkregen, denn der Boden kann kein Wasser aufnehmen. Die Kanäle müssen die Mengen bewältigen. „Wir brauchen mehr Grünflächen auch in der Innenstadt“, betont Fünger.
Wieviele Mülheimer Gärten aktuell von der Versteinerung betroffen sind? Eine Untersuchung seitens der Stadt gibt es nicht. Die letzte große Klimaanalyse des gesamten Stadtgebiets stammt aus dem Jahr 2003. Doch Gabi Wegner, stellvertretende Leiterin des Umweltamtes, stellt fest: „Die Biomasse an Insekten hat um 75 Prozent abgenommen – das ist besorgniserregend.“
Keine Satzung zur Vorgartengestaltung
Dabei sei ein Kiesvorgarten noch kein Problem, 100 degegen verstärken die Probleme, warnt auch sie vor dem aktuellen Trend. Die Stadt hält daher 40 Prozent des Stadtgebiets unter Naturschutz, um der Aufheizung und dem Insektenschwund entgegenzuwirken. Allerdings ist gerade in der Wohnstadt Mülheim ein großer Teil der Fläche in privater Hand. Hier kann die Stadt nur begrenzt eingreifen.
Eine Satzung, die eine Begrünung von Vorgärten vorschreibt, gibt es nicht. Oder noch nicht, denn andere Städte wie Xanten haben damit begonnen, Kriterien für Begrünung bei neuen Bauvorhaben festzulegen. „Wir sind offen für eine Diskussion darüber – entscheiden muss jedoch die Politik“, sagt Wegner.
>>>Xanten hat Vorgartenordnung zum Wohle der Allgemeinheit
Kann man die Begrünung von Vorgärten vorschreiben? Einen findigen Schritt in Richtung Klimaschutz ging unlängst die Stadt Xanten. Sie änderte die Gestaltungssatzung und formulierte darin für Neubauprojekte: „Vorgärten sind zu begrünen.“
Christina Kuschaty, Fachbereichsleiterin der Stadtplanung in Xanten, sieht darin keinen Widerspruch zum Privateigentum, denn „zum einen verpflichtet Eigentum, es dient dem Wohle der Allgemeinheit, zum anderen sind Vorgärten ein halböffentlicher Raum, den wir als Stadt über die Gestaltungssatzung regeln dürfen“. Schließlich dürfe die Stadt selbst über Fassadenfarben und Klinker mitreden.
Die Satzung enthält keine Vorschriften, mit welchen Pflanzen die Vorgärten zu begrünen sind, aber „Anregungen wie Gehölze, Stauden“, sagt die Stadtplanerin. Allerdings: Von dieser Regelung sind künftige Bauprojekte betroffen, an den Bestand geht Xanten vorerst nicht.